Sie befinden sich hier: Home » Blog » Gesellschaft » Ist Antisemitismus erblich, oder ist er ein Produkt unserer Umgebung?

Ist Antisemitismus erblich, oder ist er ein Produkt unserer Umgebung?

Vor dem Spiegel fallen mir – je älter ich werde – Ähnlichkeiten mit meinem Vater auf, die mir früher ™ entgangen sind. Allein schon Hände und Zehen sind denen meines Vaters so ähnlich, dass ein Gen-Test, hätte er je zur Debatte gestanden, ganz überflüssig gewesen wäre. Aber diese Ähnlichkeiten waren früh ausgemacht, die meine ich nicht. Es gibt Gesten, Teile meiner Mimik aber auch charakterliche Eigenarten die – jedenfalls in

Foto des Autors

von Horst Schulte

∼ 6 Min. Lesezeit

0

Vor dem Spiegel fallen mir – je älter ich werde – Ähnlichkeiten mit meinem Vater auf, die mir früher ™ entgangen sind. Allein schon Hände und Zehen sind denen meines Vaters so ähnlich, dass ein Gen-Test, hätte er je zur Debatte gestanden, ganz überflüssig gewesen wäre. Aber diese Ähnlichkeiten waren früh ausgemacht, die meine ich nicht.

Es gibt Gesten, Teile meiner Mimik aber auch charakterliche Eigenarten die – jedenfalls in meiner Erinnerung – denen meines Vaters sehr ähneln. Meine Frau findet das auch.

Mein Vater ist 1922 geboren. Er war von 1939 bis 1949 im Krieg, fünf Jahre davon in russischer Kriegsgefangenschaft. Zehn Jahre für ein Land, das seine historische Schuld nie wirklich hinter sich lassen wird. Allen Gaulands und Höcke zum Trotz.

Wenn wir heute von allen möglichen klugen Leuten zum tausendsten Mal daran erinnert werden, dass der Antisemitismus in Deutschland sehr verbreitet sei, frage ich mich, ob dafür nicht auch die Gene verantwortlich sind.

In meiner Schulzeit (Hauptschule) haben wir über das Dritte Reich und die abartige Rassenpolitik NULL gelernt. Vielleicht waren die Lehrpläne in den 1960er Jahren noch nicht soweit, sich mit derart heiklen Vergangenheitshemen auseinanderzusetzen. Vielleicht waren die Deutschen damals zu feige, sich an diese Themen heranzutrauen. Das Grauen war noch zu nah. Darauf, dass aus heutige Sicht keiner mehr behaupten kann, die Auseinandersetzung mit unserer Nazi-Vergangenheit habe nicht stattgefunden, macht mich stolz. Ich sage das in dem Bewusstsein, dass die 68er insbesondere von den Neurechten im Land für alles Negative im Land verantwortlich gemacht werden. Reaktionäre Kräfte, die sie schließlich repräsentieren, hätten das nie vermocht.

In der Rückwärtsbetrachtung scheint es mir jedenfalls so gewesen zu sein, dass die Traumabewältigung in meiner Schulzeit nicht einmal konzeptionell behandelt wurde. Immerhin, daran erinnere ich mich, haben wir gemeinsam Bernhard Wickis großartigen Antikriegsfilm „Die Brücke“ gemeinsam angeschaut und anschließlich darüber diskutiert. Von Anne Franks Tagebüchern und anderen Werken, die spätere Klassen beschäftigt haben, war damals in meiner Schule noch überhaupt nichts zu sehen.

Wie soll ich unter dieser Voraussetzungen verstehen, dass der Antisemitismus bis in die Gegenwart hinein noch so stark verbreitet ist? In Bedburg haben vor dem Krieg (1933) 52 Juden gelebt. Berichten zufolge gab es im Juli 1942 keine Juden mehr in unserer Stadt. Mein Vater konnte mir über seine persönlichen Erfahrungen in dieser Zeit wenig erzählen. Aufgrund seines jungen Alters zu dieser Zeit habe ich ihm geglaubt. Die Abweichungen zwischen den Erzählungen ganz verschiedener Menschen aus meinem Verwandten- oder Bekanntenkreis waren so gering, dass ich fast geneigt war, sie zu glauben. Im Grund meines Herzens weiß ich, dass die Menschen damals mehr gewusst haben als das, was sie nach Jahrzehnten bereit waren preiszugeben. Ich kann mir vorstellen, dass Schuldgefühle eine Rolle dabei spielten, ob nun bewusst oder unbewusst. Wir Menschen sind Meister darin, schlimme Dinge zu verdrängen. Auch und vor allem dann, wenn sie uns selbst betreffen.

Kindern beim Spielen zuzusehen ist schön. Sie interessieren sich nicht für die Herkunft ihrer Freundinnen und Freunde. Hautfarbe und Religion sind ihnen egal.

Daraus kann man nur den Schluss ziehen, dass so schlimme Geißeln der Menschheit wie Antisemitismus oder Rassismus nicht in uns sind, sondern dass uns diese anerzogen werden oder – um es weniger persönlich auszudrücken – wir dahingehend durch unsere Umgebung beeinflusst werden.

Wenn davon gesprochen wird, das in vielen europäischen Ländern Antisemitismus immer noch ausgeprägt vorhanden sei, muss dieser also von Menschen von Generation zu Generation weitergegeben worden sein. Von solchen Menschen, die diese Haltung ganz bewusst während ihrer persönlichen Entwicklung aufgenommen, gelebt und schließlich auch noch an andere Menschen weitergegeben haben. Für mich ist das wirklich schwer zu begreifen.

Aber wir wissen andererseits, dass „Kontaminierung“ mit Antisemitismus sehr einfach vonstatten geht. Auf unseren Straßen finden Manifestationen eines Antisemitismus statt, der ganz zweifellos anerzogen ist. Interessant dabei ist, wie wenig jüngere Menschen aus dem arabischen Raum über die Juden und ihre Religion wissen. Was sie eigenartigerweise überhaupt nicht davon abhält, Staat und Menschen gleichermaßen zu hassen. Deshalb finde es übrigens kritisch zu sagen, dass dieser Antisemitismus kulturelle Wurzeln hätte.

Unser Staat muss mit allen Mitteln gegen diese Aktionen von radikalen Muslimen vorgehen. Die jetzige Lage ist bereits kritisch genug. Wenn jetzt nur geredet und nicht gehandelt wird, erleben wir am Ende das, was die Neurechten uns vorhergesagt haben.

Zwei Beispiele

Mir fällt spontan der Name George Soros ein und die Kampagnen, die vornehmlich von Neurechten in Deutschland initiiert und gepusht wurden. Ich kann nicht sagen, ob Victor Orban, der ungarische Premierminister, ein Antisemit ist. Er legt die Thesen Soros’ zur Migration jedenfalls nicht anders aus als die Neurechten es tun bedient in meinen Augen klassische Ressentiments gegen Juden.

Als der deutsche Historiker Michael Wolffsohn geradezu reflexartig den Antisemitismusvorwurf erhob, weil in der deutschen Öffentlichkeit starke Kritik an Trumps Entscheidung laut wurde, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, mochte ich nur mit dem Kopf schütteln. Ich kann nicht verstehen, was die deutliche Kritik an Trumps Entscheidung mit Antisemitismus zu tun haben sollte.

Wir laufen immer noch Gefahr, die Motivation für Kritik an der Politik eines Staates und die von Generation zu Generation weitergegebenen  Vorurteile miteinander zu vermischen. Ich habe mich inzwischen damit abgefunden, damit leben und klar kommen zu müssen. Etwas anderes bleibt uns nicht übrig, weil uns Deutschen dieser Mühlstein bei passenden aber auch unpassenden Gelegenheit umgehängt wird. Vielleicht wäre es gut, nicht immer gleich mit Unverständnis und Wut darauf zu reagieren.

Ich wurde in meinen Blogs schon mehrfach des Antisemitismus bezichtigt – auch bei Facebook (natürlich!) und immer habe ich mich gefragt, was der Blödsinn soll. Immerhin – mit Fragen fängt jede Selbstreflexion wahrscheinlich an – wenn auch auf noch so kleinem Niveau. Fertig werde ich damit wohl nie.

Teilen

Share to...
Your Mastodon Instance