Demokratie ohne Plebiszit, dafür nach Umfragen?

Sind Umfra­gen so aus­sa­ge­fä­hig, dass sie als Ent­schei­dungs­grund­la­ge tau­gen? Spie­geln sie nicht haupt­säch­lich kurz­fris­ti­ge Stim­mun­gen wider?

HS230625

Horst Schulte

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Ist es fair, einem Fuß­ball­club den Gewinn einer Meis­ter­schaft zu nei­den? Das ist es nicht, trotz­dem geschieht es jedes Jahr aufs Neue. Vor allem wohl, weil der FC Bay­ern dar­auf abon­niert ist. Ähn­lich ist es bei der Uni­on. Kei­ne Par­tei hat häu­fi­ger die Regie­rung gestellt. 

16 Jahre Merkel

In den 16 Jah­ren Mer­kel hat sich das Land stark ver­än­dert. Aus mei­ner Sicht gilt es weni­ger das Was, son­dern das Wie zu beach­ten. Bis zur Pan­de­mie beweih­räu­cher­te die Uni­on sich mit dem Slo­gan: „Deutsch­land geht es gut!“. Dabei haben die Fol­gen der Agen­da des wohl letz­ten SPD-Kanz­lers zu einem sozia­len Ungleich­ge­wicht geführt, gegen das die in man­chen Bevöl­ke­rungs­tei­len tra­di­tio­nell als Bon­zen­par­tei gehan­del­te Uni­on nichts ent­ge­gen­set­zen woll­te. Jeder Ver­gleich von Umfra­ge­wer­ten zeigt, dass die Ver­ant­wor­tung für die Ent­wick­lung im Wesent­li­chen wei­ter­hin allein der SPD ange­las­tet wird. Der fun­da­men­ta­le Ver­lust von Ver­trau­en wirkt nach und ist von Poli­ti­ke­rIn­nen mit den Her­zen von Appa­rat­schiks kaum zurückzugewinnen.

Populismus im Vormarsch

Die Ände­run­gen in der media­len und gesell­schaft­li­chen Atmo­sphä­re sind, wie alle wis­sen, kein deut­sches Phä­no­men. Die Ver­än­de­run­gen haben viel mit dem ins Uner­mess­li­che gestie­ge­nen Ein­fluss der Medi­en, vor allem der aso­zia­len (Social Media) zu tun. 

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat dem Gesetz­ge­ber Mit­te des vor­letz­ten Jahr­zehnts den kla­ren Auf­trag gege­ben, die Grö­ße des Bun­des­ta­ges neu zu regeln. Inzwi­schen hat Deutsch­land das mit Abstand größ­te Par­la­ment aller demo­kra­ti­schen Staa­ten. Nur der chi­ne­si­sche Volks­kon­gress hat mehr Mit­glie­der. Ich rei­te des­halb auf die­sem Tat­be­stand her­um, weil dies in der Kan­di­da­ten­de­bat­te um die Kanz­ler­kan­di­da­tur zwi­schen Söder und Laschet die zen­tra­le Rol­le spielt. 


Vie­le Abge­ord­ne­te haben Angst, ihr Man­dat bei den Wah­len zu ver­lie­ren und sehen in einer Leit­fi­gur namens Söder die bes­se­re, viel­leicht letz­te Chan­ce. Das klingt nicht nur unsym­pa­thisch, es passt zu dem Ein­druck, der in den Köp­fen noch über­prä­sent ist. Neben den Kor­rup­ti­ons­fäl­len der letz­ten Zeit spielt es auch eine Rol­le, dass es haupt­säch­lich die Uni­on war (nebst FDP-Anhang), die den Ber­li­ner Mie­ten­de­ckel beim Bun­des­ver­fassuns­ge­richt „erfolg­reich“ bekämpft hat. Die Men­schen in Ber­lin wer­den das der Uni­on nicht ver­ges­sen, wür­de ich mir wünschen!

Die Uni­on ist nach 16 Jah­ren am Ende, kor­rupt, ver­braucht, wie am Ende der Ära Kohl. Welch ver­mes­se­ne Arro­ganz zu glau­ben, dass die­se Par­tei, die gera­de mit der erfolg­rei­chen Kla­ge gegen den Mit­preis­de­ckel in Karls­ru­he mit­ten in der Pan­de­mie gezeigt hat, wes­sen Inter­es­sen sie in Wahr­heit ver­tritt, ewig wei­ter regie­ren kann? Dazu mit zwei mit­tel­mä­ßi­gen Hallodris?

Uni­on: Auf den Hund gekom­men | Post von Horn /​Aus einem Kom­men­tar zum Artikel

Umfrage als Ersatz für Volksbefragungen?

Einer­seits ist es längst nor­mal gewor­den, dass sich Poli­ti­ke­rIn­nen wie auch wir Bür­ge­rIn­nen an Umfra­ge­wer­ten ori­en­tie­ren. Das ist ins­be­son­de­re bei Wahl­um­fra­gen, also der damit mög­li­chen Ein­schät­zung von Wahl­chan­cen, schon des­halb nicht ver­werf­lich, weil die Zuver­läs­sig­keit sol­cher Umfra­gen durch die Metho­den der Insti­tu­te (Wahl​recht​.de) doch ziem­lich hoch ist. 

War­um soll­te spe­zi­ell ein gewähl­ter Abge­ord­ne­ter, des­sen Chan­cen auf Wie­der­wahl stark von den „Qua­li­tä­ten“ der Spit­zen­kan­di­da­ten abhän­gen, die von sei­ner Par­tei „auf­ge­stellt“ wer­den, nicht maß­geb­li­chen Ein­fluss neh­men kön­nen, son­dern die­sen Par­tei­gre­mi­en (Par­tei­vor­stand, Prä­si­di­um) überlassen? 

Wäre es für unse­re Demo­kra­tie nicht bes­ser, wenn das Volk auf dem Umweg über Umfra­ge­er­geb­nis­se erfährt, dass sein Votum bei einer Kan­di­da­ten­aus­wahl eine Rol­le spielt – trotz grund­sätz­li­cher Vor­be­hal­te gegen Umfragen?

Willensbildung durch politische Parteien

Wenn Par­tei­en an der poli­ti­schen Wil­lens­bil­dung des Vol­kes von Geset­zes wegen mit­wir­ken sol­len, soll­te man Ent­schei­dungs­vor­gän­ge nicht bes­ser an den Anfang stel­len und nicht ans Ende? Wir gehen brav wäh­len und sor­gen durch unse­re Voten dafür, dass die/​der Spitzenkandidat/​in Bun­des­kanz­le­rin oder Bun­des­kanz­ler wird. Ein­fluss auf die­sen Spit­zen­kan­di­da­ten hat­ten wir häu­fig nicht, höchs­tens indi­rekt. Ich erin­ne­re an den „flie­gen­den Wech­sel“ von Wil­ly Brandt zu Hel­mut Schmidt. 

Wie stand es damals um die Popu­la­ri­tät von Hel­mut Schmidt? Hät­ten die Deut­schen ihn zum Kanz­ler gewählt oder hät­te er eine Spit­zen­po­si­ti­on ein­ge­nom­men, wäre die Demo­sko­pie damals schon so weit gewe­sen? Ich den­ke nicht! Aus der heu­ti­gen Sicht erreich­te Schmidts lager­über­grei­fen­de Popu­la­ri­tät schon bei­na­he einen Heldenstatus.


Armin Laschet scheint ein net­ter Mensch zu sein. Einer, dem ich per­sön­lich die­ses Desas­ter wirk­lich gern erspart hät­te. Söder scheint vie­len Bür­ge­rIn­nen als der bes­se­re Kri­sen­ma­na­ger. Ein Mann mit Ecken und Kan­ten war er immer. Das wirkt in der Kri­se viel­leicht als posi­ti­ve Ver­stär­kung. Söder scheint ein Mann zu sein, der weiß, was er will und der über die Ell­bo­gen ver­fügt, sei­nen Wil­len durch­zu­set­zen. Denkt man an sei­ne Kar­rie­re zurück, so erin­nert man sich zwangs­läu­fig an die vie­len Aus­fäl­le und unmög­li­chen Auf­trit­te die­ses Herrn. 

Vorbehalte gegen Söder vergessen?

Obwohl ich vol­ler Vor­be­hal­te gegen Mar­kus Söder war, hat sich mei­ne Ein­stel­lung auch ver­än­dert. Bin ich so leicht zu mani­pu­lie­ren und wie steht es mit mei­nen Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­gern? Haben sie ver­ges­sen, wel­che fie­sen Sät­ze die­ser Söder in die Welt gebla­sen hat­te, bei­spiels­wei­se als er noch Gene­ral­se­kre­tär der CSU war? Dann den­ke ich an Hei­ner Geiß­ler. Er war in den 1970er und 1980er Jah­ren mein größ­tes Feind­bild. Den „spä­ten“ Hei­ner Geiß­ler habe ich ver­ehrt, und zwar sehr. Men­schen ändern sich eben doch. Der Ruf eines Men­schen hat sicher mit dem Amt zu tun, das die­ser innehat. 


Muss man sich Sor­gen machen um die CDU, wenn Beschlüs­se ihrer Füh­rungs­gre­mi­en vom Votum der Bun­des­tags­frak­ti­on „über­stimmt“ wür­den? Wie könn­te Armin Laschet als Par­tei­vor­sit­zen­der und auch als NRW-Minis­ter­prä­si­dent über­haupt wei­ter­ma­chen, wenn er von sei­nen eige­nen Leu­ten gekippt wür­de? Wäre er gege­be­nen­falls so stark beschä­digt, dass er am Ende viel­leicht sogar bei­de Ämter auf­ge­ben würde? 

Mich erin­nert die­ses Deba­kel an das von Mar­tin Schulz. Längst wis­sen wir, auch Dank des Buches von Spie­gel-Autor Mar­kus Fel­den­kir­chen, dass er von der Ber­li­ner SPD-Zen­tra­le nicht die Unter­stüt­zung erfah­ren hat, von der man als nor­ma­ler Bür­ger in einer sol­chen Aus­gangs­la­ge aus­ge­gan­gen wäre. Er ist in einem Hai­fisch­be­cken hoff­nungs­los allein geblie­ben. Dabei muss man den Ein­fluss der Haupt­stadt­me­di­en aller­dings beson­ders herausstellen. 

Martin Schulz’ Schicksal

Armin Laschet hat ein hohes poli­ti­sches Amt inne und ver­fügt im Gegen­satz zu Mar­tin Schulz über Regie­rungs­er­fah­rung als Minis­ter und Minis­ter­prä­si­dent. Das hilft ihm in Ber­lin nicht viel. Er hat seit sei­ner Wahl zum Par­tei­chef der CDU im Janu­ar kein Sze­na­ri­um ent­wi­ckelt, wie die Fra­ge der Kanz­ler­kan­di­da­ten­ent­schei­dung in der Par­tei von­stat­ten gehen soll. Er hät­te damit rech­nen müs­sen, dass Söders Zurück­hal­tung purer Koket­te­rie ent­sprach und das er, soll­te sich eine ech­te Chan­ce eröff­nen, genau­so knall­hart zugrei­fen wür­de wie beim Streit um den CSU-Parteivorsitz.

Die CDU kann nur noch ver­lie­ren. Selbst wenn die Par­tei­spit­ze es noch fer­tig­brin­gen soll­te, Söder ins Glied zurück­zu­schub­sen, wer­den ihr Chef und auch die Par­tei selbst beschä­digt sein. Die CSU samt ihren baju­wa­ri­schen Pol­ter­geis­tern konn­te sich hin­ge­gen pro­fi­lie­ren und könn­te die CDU wei­ter vor sich her­trei­ben. Das wird vor den Wah­len aus tak­ti­schen Grün­den eher nicht so sein. Aber es kommt ja die Zeit nach den Wah­len. Laschet wür­de viel aus­ste­hen müs­sen. Und ob er tat­säch­lich Kanz­ler wür­de, steht im Moment auch in den Sternen. 

Ges­tern gab es übri­gens einen merk­wür­di­gen „Aus­schlag“ bei den Umfra­gen. Die For­schungs­grup­pe Wah­len sah die CDU plötz­lich wie­der bei 31 Pro­zent, statt bei 27. 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Demokratie Deutschland Laschet Söder Wahlen

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