Die Heimat – ein Ort, der Gerüche, Geräusche und Gesichter speichert. Im Rheinischen Revier sind diese Erinnerungsarchive bedroht. Über sieben Jahrzehnte verschwanden Dörfer, Wälder und jahrhundertealte Kulturlandschaften unter den Schaufelradbaggern des Braunkohletagebaus. Was bleibt, sind Narben in der Landschaft und in den Biografien der Menschen.

Verlorene Dörfer, zerrissene Wurzeln
Über 40.000 Menschen haben seit den 1950er-Jahren ihre Heimat verloren – allein im Rheinland. Orte wie Lützerath, das 2023 dem Tagebau Garzweiler weichen musste, oder Holzweiler, dessen Geschichte über 1.100 Jahre zurückreicht, sind heute nur noch Koordinaten in alten Landkarten.
„Man verliert nicht nur ein Haus, sondern das Geflecht aus Nachbarschaften, Vereinen und vertrauten Wegen“, heißt es in Berichten von Umsiedlern. Selbst wenn neue Siedlungen entstehen, bleiben die seelischen Wunden: „Die Rekultivierung kann keine Heimat ersetzen“, betonen Umweltverbände wie der BUND.

Erinnerungen an ein „schwarzes Gold“
Für viele war die Braunkohle einst Segen und Identität zugleich. „Als Kind sah ich die Kühltürme als Wolkenfabriken“, erzählt ein Bergheimer Bürger. Familien heizten mit Briketts, Kinder sammelten „Knabbeln“ von den Schienen – Kohle prägte den Alltag. Doch diese Nostalgie trügt: „Was uns Wärme gab, fraß sich zugleich durch unsere Dörfer“, resümiert ein Zeitzeuge.
Landschaften im Zwiespalt
Wo einst Äcker und Wälder standen, klaffen heute Krater von bis zu 450 Meter Tiefe. Zwar entstehen durch Rekultivierung neue Seen und Wälder, doch „künstliche Wasserflächen ersetzen keine gewachsene Natur“, kritisiert der BUND. Das Lausitzer Seenland zeigt zwar, wie Tagebaulöcher zu Erholungsgebieten werden – doch die ursprüngliche Artenvielfalt kehrt nicht zurück.
Ein Abschied ohne Rückkehr
Bis 2030 soll der Kohleausstieg kommen, doch die Spuren bleiben. „Jeder abgerissene Hof, jede verpflanzte Linde ist ein Stück erodierte Geschichte“, sagt eine Anwohnerin aus Kerpen-Manheim, dessen Reste heute wie ein Geisterdorf wirken. Selbst gerettete Dörfer wie Merzenich-Morschenich tragen die Unsicherheit in sich: „Man lebt mit dem Wissen, dass die Bagger jederzeit wieder kommen könnten.“
Ich war 14 Jahre alt und hatte gerade meine Ausbildung begonnen, als die Familie vom „Sonnenhof“ weggezogen ist. Meine Kindheit habe ich dort ab meinem 3. Lebensjahr verbracht. Meine Schwester ist dort geboren. Wir sind uns einig: Das war die schönste Zeit unseres Lebens. Diese wunderbare Zeit kann einem keiner mehr nehmen, die Wehmut über dieses für alle Zeiten verlorene Idyll auch nicht. Als ich Anfang der 1970er Jahre meine Frau kennenlernte, konnte ich ihr nur noch vom Sonnenhof erzählen. Er war verschwunden — für alle Ewigkeit.
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