Das Volk ist der Souverän.
Natürlich!
Die Ursachen dafür, dass die Polarisierung voranschreitet, ist also Ihrer Ansicht nach die Erkenntnis und Gewissheit, dass die da oben uns in die falsche Richtung gelenkt haben? Ich fürchte, es ist komplizierter. Und dabei spielt das Internet die Rolle eines Katalysators, die ich hier schon häufig kritisiert habe. „Der Hass ist in den Köpfen, nicht im Internet“, sagt man. Das wird wohl stimmen. Allerdings entkräftet diese Tatsache nicht das Argument, dass das Internet nicht das tolle, demokratiefördernde Element darstellt, das man sich vor vielen Jahren einmal vorstellte. Das Gegenteil ist der Fall. Es geht nicht darum, dass Meinungen zugespitzt werden, sondern natürlich um die Form einer neuen Auseinandersetzung, die von beiden Seiten oft hasserfüllt geführt wird. Und es gibt leider Protagonisten, die an dieser Schraube nach Kräften drehen. Heute morgen lese ich folgendes in meiner Tageszeitung, dem Kölner Stadt-Anzeiger (Leitartikel):
Das ist irre? Zumindest ist es das Credo aller, die kein Pardon mehr kennen, wenn jemand einen Zusammenhang von Flüchtlingsschutz und Menschenwürde behauptet; das Credo aller auch, die die Zurückweisung von Hass und Rufmord zur „Zensur“ erklären. In diesem Lager – präziser: dieser Kampfgemeinschaft – stehen die rechtsradikale Zeitung „Junge Freiheit“ und der Publizist Roland Tichy („Es ist ein peinliches Netz der Zensur, das hier über Deutschland gelegt wird und im Zusammenspiel mit den Parteien und vielen Medien glänzend funktioniert“), die islamophobe „Achse des Guten“ um Henryk M. Broder, Anhänger der rechtsextremen „identitären Bewegung“, der auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien spezialisierte „Kopp – Verlag“ mit seinem fast schon ulkigen Chef-Verschwörungstheorien-Verbreiter, Udo Ulfkotte („Zensur-Republik Deutschland. So sollen Bürger eingeschüchtert werden“), der rassistische Blog „politically incorrect“ und was sich sonst noch auf dem Markt intellektueller Unredlichkeit und Unanständigkeit tummelt.“
Der „Tagesspiegel“ hatte sich erst vor wenigen Tagen diesem Thema gewidmet.
Der Kölner Stadt-Anzeiger wird vermutlich den links-versifften Medien zugerechnet. Insofern ist dieses Urteil des Journalisten Christian Bommarius vermutlich entsprechend eingeordnet werden – von der AfD und den Rechten im allgemeinen. Soweit sind wir ja längst gekommen. Wir sind kaum noch bereit, über Aussagen der „Gegenseite“ nachzudenken. Wir ordnen diese stattdessen in ein klares Freund-Feind-Raster ein und antworten oft genug wutentbrannt auf die Punkte, die uns das Frühstück verdorben haben.
Persönlich finde ich diese Entwicklung höchst bedauerlich und für unsere Demokratie gefährlich.
Kahane hat nie ein Hehl aus ihrer politischen Gesinnung gemacht, ebenso wenig Julia Schramm. Beide stehen ziemlich weit links. Die einzig mir bekannte kontroverse Aussage Kahanes bezüglich der Flüchtlinge und Ostdeutschland würde ich nicht auf die Goldwaage legen. Frau Schramm ist da von anderem Kaliber. Allerdings hat sie in ihrer politischen Arbeit (die Stationen haben sie aufgezählt), selbst auch viel „erduldet“. In der aktuellen Kontroverse werden ihre „Verfehlungen“ in sozialen Netzwerken gesammelt und hochgespielt. Die verstörenden Tweets, die Frau Schramm allein aufgrund ihrer politischen Haltung bekam, haben Sie nicht gelesen? Ich glaube, ich hätte das alles nur schwer aushalten können. Sie hat sich gewehrt und das in einer Art und Weise, die zumindest sehr eigen war. Sie merken. Ich habe immer noch Verständnis für sie. Es gehören eigentlich immer beide Seiten zusammen, bevor man ein eigenes Urteil fällt. Gerade im Fall von Frau Schramm, die so stark in den sozialen Medien aktiv ist, wird das schwierig. Einerseits kennt sie sich in diesem Bereich sehr gut aus, andererseits bleibt die Frage, ob sie als Fachreferentin für Hate-Speech eine gute Besetzung ist. Kein Wunder, dass nicht nur Rechte insbesondere diese Personalie sehr kritisch sehen.
Ich habe mich hinsichtlich der Hate-Speech-Kamagne zunächst nicht klar positionieren wollen. Inzwischen bin auch ich der Meinung, dass man diese stoppen sollte. Sie bringt uns kein Stück weiter bei dem, was m.E. damit beabsichtigt war. Ich habe dazu in den letzten Tagen hier ja einiges geschrieben.
Traurig, dass wir uns so auseinander dividieren lassen.