War­um alte Tugen­den wie „Bit­te“ und „Dan­ke“ mehr Cha­rak­ter zei­gen als moder­ne Erziehungsdogmen.

Viel­leicht ist es der 71-jäh­ri­ge (alte Sack) in mir. Viel­leicht ist es aber auch nur gesun­der Men­schen­ver­stand, der sich beim Lesen eines Arti­kels im Tages­spie­gel ($) regt. Der Tenor: Höf­lich­keit, wie wir sie kann­ten, ist heu­te ein Aus­druck dres­sier­ter Seelenlosigkeit.

Na dann: Guten Appe­tit, Gesellschaft!

Ein Kind der guten Schule

Ich war ein schüch­ter­nes, bra­ves Kind. Viel­leicht sogar ein biss­chen zu brav. Der Typ, der sich bei der Leh­re­rin ent­schul­digt hat, weil er einen hal­ben Ton zu laut gehus­tet hat. Mei­ne Schwes­ter und ich wuch­sen in einem lie­be­vol­len Eltern­haus auf – ein Zuhau­se, das uns kei­ne gol­de­nen Löf­fel, aber gol­de­ne Wer­te mit auf den Weg gab. Allen vor­an: Höflichkeit.

„Bit­te“, „Dan­ke“, „Ent­schul­di­gung“ – die­se Wör­ter waren kei­ne Flos­keln, sie waren Teil der Fami­li­en-DNA. Und ja, wir sag­ten sie auch dann, wenn wir nicht fühl­ten, was wir sag­ten. Wir sag­ten sie, weil sie dazu­ge­hö­ren. Weil sie zei­gen: Ich bin nicht allein auf der Welt. Es gibt ande­re, und die ver­die­nen Respekt.

Floskel oder Fundament?

Heu­te sagen moder­ne Erzie­hungs­rat­ge­ber: Wenn ein Kind nicht intrin­sisch moti­viert ist, soll es sich bit­te nicht bedan­ken. Aha.

Was bit­te ist das für eine Hal­tung? Soll der Nach­wuchs dem­nächst auch nur noch dann grü­ßen, wenn er vor­her ein Sinn­fin­dungs­se­mi­nar absol­viert hat? Oder den Müll raus­brin­gen, wenn er sich inner­lich wirk­lich bereit dazu fühlt?

Nein, wirk­lich. Ich ver­ste­he ja, dass Kin­der heu­te selbst­be­wuss­ter erzo­gen wer­den sol­len. Aber Selbst­be­wusst­sein ohne Rück­sicht­nah­me ist ein­fach nur Ego mit WLAN.

Die Sache mit der Birne (und dem Holzscheit)

Ich erin­ne­re mich noch genau an eine Sze­ne aus mei­ner Kind­heit. Mein bes­ter Freund und ich hat­ten eine klei­ne… nen­nen wir’s „Unei­nig­keit“. Es ging um eine Bir­ne. Eine gro­ße, saf­ti­ge, vom Baum gepflück­te Bir­ne. Ich hat­te sie. Er woll­te sie. Was folg­te, war ein beherz­ter Schlag mit einem Holz­scheit auf mei­nen Kopf.

Mein Vater nahm das nicht ganz so locker. Er zerr­te mich samt Beu­le und Moral­an­spruch zum Vater mei­nes Freun­des. Er for­der­te eine Ent­schul­di­gung. Die Ant­wort mei­nes Freun­des? „Das muss ich mir aber noch mal überlegen.“

Und doch: Wir blie­ben Freun­de. Viel­leicht, weil es damals noch nor­mal war, dass eine Ent­schul­di­gung nicht immer spon­tan, aber eben not­wen­dig war. Und weil nie­mand auf die Idee gekom­men wäre zu sagen: „Wenn du’s nicht fühlst, sag’s halt nicht.“

Die neue Unverbindlichkeit

Heu­te erle­ben wir es häu­fig: Kin­der, die bei Geschen­ken nicht mal den Anstand haben, einen Blick über das Geschenk­pa­pier hin­aus zu ris­kie­ren. Das Prä­sent wird kom­men­tar­los in die Ecke gelegt, zwi­schen das kaput­te fern­ge­steu­er­te Auto und den Ama­zon-Kar­ton von letz­ter Woche.

Ach ja, die gute alte Erklä­rung: “Die Eltern haben sich halt kei­ne Mühe gege­ben.” Stimmt. Das Geschenk kam ja nicht aus hand­ge­schöpf­tem Filz­pa­pier, son­dern vom Wunsch­zet­tel. Und der kam von Ama­zon. Also: selbst schuld, lie­be Großeltern.

Aber der eigent­li­che Skan­dal liegt nicht im Geschenk – son­dern in der Grund­hal­tung. In einer Erzie­hung, die jeg­li­ches höf­li­che Ver­hal­ten nur gel­ten lässt, wenn es ver­meint­lich „echt“ ist. Wo sind wir denn da hingekommen?

Eltern, Experten und enthemmte Empathie

Die Erzie­hungs­exper­ten unse­rer Zeit haben vie­le klu­ge Bücher geschrie­ben, aber offen­bar weni­ge Holz­schei­te abbe­kom­men. Sie sagen: „Erzwun­ge­ne Höf­lich­keit ist keine.“

Ich sage: Erzwun­ge­ne Höf­lich­keit ist bes­ser als gar kei­ne. Und viel­leicht wird aus dem „Dan­ke“, das zuerst nur eine sozia­le Pflicht war, irgend­wann ein ech­tes. Weil man erlebt, dass Höf­lich­keit Türen öff­net, Her­zen wärmt – und Bezie­hun­gen rettet.

Wir sind nicht nur Kopf und Bauch. Wir sind auch Gewohn­heits­tie­re. Und wenn wir unse­ren Kin­dern bei­brin­gen, dass man ande­re grüßt, sich bedankt und sich auch mal ohne tie­fer­lie­gen­de Sinn­kri­se ent­schul­digt, dann for­men wir Men­schen, die in einer Gemein­schaft bestehen können.

Fazit? Bitte. Danke. Gern geschehen.

Ich blei­be dabei: Manch­mal ist eine Flos­kel doch bes­ser als «moder­ne Erzie­hungs­me­tho­den». Und bevor wir die letz­ten Res­te höf­li­cher Umgangs­for­men auf dem Altar der Authen­ti­zi­tät opfern, soll­ten wir uns viel­leicht mal wie­der gegen­sei­tig dar­an erin­nern, wie gut ein „Dan­ke“ tut.

Und falls das jeman­dem zu old­school ist – dem wer­fe ich kei­ne Bir­ne an den Kopf. Aber viel­leicht einen Blick. Einen, der sagt: Ich wün­sche mir ein biss­chen mehr gegen­sei­ti­gen Anstand. Nicht, weil ich’s füh­le – son­dern weil ich’s wich­tig finde.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Kategorie: Empfehlung Gesellschaft

Schlagworte: Erziehung Gesellschaftskritik Höflichkeit

Quelle Featured-Image: Symbolbild zum Wandel der Erziehung . von Dankbark...

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6 Gedanken zu „„Bitte“ und «Danke» waren gestern – Erziehung ohne Floskeln“

  1. Höf­lich­keit mach das Leben leich­ter, das lernt man aber erst spä­ter im Leben. Den Kids ist kein Vor­wurf zu machen, die Eltern sind es, Ver­feh­lun­gen zu Unguns­ten des spä­te­re Erwach­se­nen­le­bens zulas­sen. Mir fällt bei­spiels­wei­se an den jun­gen Eltern immer wie­der die Kon­se­quenz­lo­sig­keit auf. Da wird etwas gesagt, meis­tens noch mit einer vor­ge­spiel­ten Dra­ma­ti­sie­rung; die Hand­lung des Nach­wuch­ses bleibt aller­dings fol­gen­los. Über­für­sor­ge, kum­pel­haf­tes Ver­hal­ten, fal­sches Vor­le­ben und die oben beschrie­be­ne Kon­se­quen­zo­sig­keit sind kei­ne Erzie­hungs­auf­ga­ben, son­dern das Auf­ge­ben von Erzie­hung. Bei den Wör­ten Dan­ke und Bit­te jeden­falls, ver­tut man sich ja ich nix 😉

  2. Also ich erle­be bei jun­gen Men­schen in aller Regel die alt­be­kann­te Höfl­lich­keit samt der Flos­keln und For­ma­li­en, mit denen auch ich auf­ge­wach­sen bin. Die ich nach wie vor lebe und schät­ze. Abneh­mend erle­be ich das eher bei Leu­ten so um die 40 bis 50.

    Aber ich wür­de mir durch­aus erlau­ben, ande­re, die mir «befreit» von sol­chen Höf­lich­keits­for­men begeg­nen und das für den neu­en Stil der Zeit hal­ten, gege­be­nen­falls völ­lig empa­thie­frei und kalt abzu­fer­ti­gen. Arro­gant und geschäfts­mä­ßig sozusagen.

  3. Gerhard 246 2. Juli 2025 um 23:06

    Ja, Flos­keln sind bes­ser als keine.
    Ich schät­ze die Hal­tung eines Wis­sen­schaft­lers, der auf man­chen merk­wür­di­gen Kom­men­tar in sei­nem Blog immer freund­lich reagiert. Ich fin­de das gut. Wie­so soll­te er die­se Leu­te vor den Kopf stossen?
    Er hat ja frei­wil­lig sei­nen Blog begonnen.

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