Ein Unfall, ein Kran­ken­haus­be­such – und eine Begeg­nung, die Erin­ne­run­gen und Sor­gen um das Älter­wer­den wachruft.

Heu­te Mor­gen, kurz nach acht. Mei­ne Frau war wie so oft beim Bäcker um die Ecke, Bröt­chen holen – eine klei­ne täg­li­che Gewohn­heit, die für uns bei­de ein Stück Nor­ma­li­tät bedeu­tet. Doch die­ser Mor­gen hat­te ande­re Pläne.

Ein Sturz. Eine Platz­wun­de. Viel Blut. Und ein Schreck, der tief saß.

Seit der Schlie­ßung unse­res Kran­ken­hau­ses in Bedburg blieb uns nichts ande­res übrig, als den Weg nach Berg­heim auf uns zu neh­men. In der Ambu­lanz ver­gin­gen über drei Stun­den – nicht etwa, weil der War­te­be­reich über­füllt gewe­sen wäre. Nein, viel­mehr war es die Flut an RTW-Ein­sät­zen, die das Per­so­nal auf Trab hielt. Die Behand­lungs­räu­me waren belegt, das Sys­tem sicht­bar überlastet.

Man hat sich fast schon dar­an gewöhnt, trau­rig genug. Die Mise­re der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung auf dem Land ist ein alter Bekann­ter, der nicht geht, son­dern sich häus­lich ein­rich­tet. Die Refor­men, die von Pro­fes­sor Lau­ter­bach einst voll­mun­dig ange­kün­digt wur­den, erschei­nen mir heu­te, mit Blick auf Berg­heim und die geschlos­se­nen Häu­ser in Bedburg und Gre­ven­broich, wie ein Ver­spre­chen, das irgend­wo unter­wegs lie­gen geblie­ben ist.

Doch was mich heu­te wirk­lich bewegt hat, war etwas ganz anderes.

Im War­te­be­reich betra­ten zwei Men­schen den Raum, bei denen es einen Moment dau­er­te, bis der Gro­schen fiel. Ein ver­trau­tes Gesicht, das man lan­ge nicht mehr gese­hen hat – ihr kennt das viel­leicht. Es ist wie ein Echo aus der Ver­gan­gen­heit, das sich vor­sich­tig den Weg ins Heu­te bahnt.

Es war ein Kame­rad von frü­her. Aus mei­ner Zeit bei der Frei­wil­li­gen Feu­er­wehr. Ich trat 1982 aus – nach zwölf inten­si­ven Jah­ren, in denen wir als Jugend­li­che mit­ein­an­der gewach­sen, zusam­men­ge­wach­sen waren. Ich war 14, als ich damals zur Jugend­feu­er­wehr kam – zur aller­ers­ten, die Bedburg je hat­te. Eini­ge der Jungs, mit denen ich damals aus­rück­te, beglei­te­ten mich über Jahr­zehn­te durchs Leben. Und auch wenn der Kon­takt nicht mehr eng ist – das Band ist geblieben.

Wir waren mehr als Kame­ra­den. Es war ein Mit­ein­an­der, das getra­gen war von Ver­läss­lich­keit, von ech­tem Inter­es­se am Ande­ren. Es war… Wär­me, wür­de ich sagen. Eine Form von Brü­der­lich­keit, die ich heu­te oft vermisse.

Mein alter Feu­er­wehr­ka­me­rad ist heu­te Ende sieb­zig. Der Zahn der Zeit hat auch an ihm genagt, wie an uns allen. Bei ihm war sei­ne Frau. Ich erin­ner­te mich gut an sie – klug, lebens­froh, eine Frau, die Prä­senz hat­te. Doch heu­te… heu­te war da etwas ande­res. Der Blick lee­rer, das Lächeln gehemmt, der Griff an sei­nem Arm ein wenig zu fest. Sie lei­det, wie ich erfuhr, seit drei Jah­ren an Demenz. Und ich glau­be, sie hat uns nicht mehr erkannt.

Ich ver­such­te, mit ihr ins Gespräch zu kom­men. Ein Lächeln, ein Blick, ein Wort – irgend­et­was, das andeu­te­te, dass da ein Fun­ken Erin­ne­rung auf­glimmt. Aber nein. Es war, als stün­de ich in einer Geschich­te, in der mei­ne Zei­len gestri­chen wurden.

Viel­leicht schrei­be ich das alles auch des­halb auf, weil der heu­ti­ge Tag mich tief getrof­fen hat. Weil mir der Unfall mei­ner Frau zeig­te, wie fra­gil alles ist. Es war zum Glück nichts Schlim­mes. Die Platz­wun­de wur­de ver­sorgt, Prel­lun­gen, Schmer­zen im Kie­fer, ein paar Tage Scho­nung – das wird vorübergehen.

Und doch schlich sich mit dem Erschre­cken auch eine Erkennt­nis ein, still und uner­bitt­lich: Wir tre­ten ein in einen Lebens­ab­schnitt, in dem Stür­ze und Krank­hei­ten nicht mehr Aus­nah­me, son­dern Mög­lich­keit sind. Ein Alter, in dem wir ler­nen müs­sen, mit Zer­brech­lich­keit zu leben. Mit dem Wis­sen, dass sich Leben nicht nur durch Gro­ßes ver­än­dert, son­dern oft durch einen Moment, eine Sekun­de Unachtsamkeit.

Ich wün­sche mei­ner Frau und mir – wie uns allen – dass das Schick­sal, das ich heu­te in den Augen mei­nes alten Feu­er­wehr­ka­me­ra­den gese­hen habe, uns erspart bleibt. Aber wer weiß das schon?

Was bleibt, ist das Stau­nen. Über die Kraft alter Ver­bin­dun­gen. Über die Weich­heit der Erin­ne­rung. Und über das Leben selbst, das auch an gewöhn­li­chen Tagen plötz­lich ganz still wer­den kann – und uns mit einer Wahr­heit kon­fron­tiert, die wir all­zu oft zu über­se­hen versuchen.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Kategorie: Privat

Schlagworte: Alter

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10 Gedanken zu „Ein Vormittag, der mich beschäftigt“

  1. Lie­ber Horst, ich wün­sche dei­ner Frau schnel­le und gute Genesung.

  2. Su 11. April 2025 um 14:09

    Gute Bes­se­rung.

    Kraft­sport im Alter soll hel­fen, fit zu bleiben.

  3. Fred Lang 16 11. April 2025 um 16:33

    Zitat: «Ich wün­sche mei­ner Frau und mir – wie uns allen – dass das Schick­sal, das ich heu­te in den Augen mei­nes alten Feu­er­wehr­ka­me­ra­den gese­hen habe, uns erspart bleibt. Aber wer weiß das schon?»

    Dan­ke für die guten Wün­sche, die ich ger­ne erwi­de­re! Wie heißt es doch: «Die Hoff­nung stirbt zuletzt.»

  4. Lie­ber Horst, das Leben macht, was es will, und das ist gut so. Laßt uns mit­ma­chen und lachen. Das gefällt Gott am bes­ten. Ich bin sehr dank­bar für alles, was gewe­sen ist, auch über Dich, Irm­gard, und daß wir uns ken­nen. Dan­ke für die­ses lan­ge Leben. Ich bin ein Wrack, aber es ist mir egal. Ich darf noch immer ich sein, der mit­ler­wei­le alte Dick­kopf. Ich hof­fe, ich seh Euch bald wie­der. Dei­ne Tex­te sind wunderbar.

  5. Ein rich­tig guter, nach­denk­lich stim­men­der Erlebnisbericht!
    Ab einem (un-)bestimmten Alter, das bei jedem anders sein kann, ist «Arbeit an der Gesund­heit» ange­sagt – das habe ich ein­se­hen müs­sen. Also gesun­de Ernäh­rung, Bewe­gung, Kraft­sport, Ver­mei­den von Gif­ten, grund­sätz­lich Acht­sam­keit bei dem, was man so tut… ich fin­de es ja nach Tages­lau­ne mal ok, mal ner­vig, und bin bei Wei­tem nicht 100prozentig in all die­sen Din­gen per­fekt. Woh­ne im 3.Stock und muss mitt­ler­wei­le auf den Trep­pen eine Pau­se machen, die «Car­dio-Fit­ness» ist nicht so meins, immer­hin bin ich dank Kraft­sport und Yoga noch beweg­lich und so kräf­tig, dass es für Gar­ten­ar­beit etc. gut reicht. 

    Den­noch den­ke ich, es kann mich jeden Tag erwi­schen… in mei­nem nächs­ten Umfeld ist gera­de jemand an einem Hirn­schlag ganz plötz­lich ver­stor­ben. (Ein Mensch, der einen fitten/​gesunden/​bewegten All­tag hat­te!) Des­halb bin ich nun moti­vier­ter denn je, «die letz­ten Din­ge» zu regeln, sprich: es den Hin­ter­blei­ben­den ein­fach machen, mein Ver­schwin­den abzu­wi­ckeln. Also nicht nur Pati­en­ten­ver­fü­gung und Vor­sor­ge­voll­macht, son­dern auch alles doku­men­tie­ren und vor­be­rei­ten, was zur Abwick­lung der div. Ver­trä­ge, Blogs, phy­si­sche Habe, Kon­ten etc. nötig ist. Ich den­ke dran, aber es ist noch lang nicht alles fertig!

    Was bleibt: Car­pe diem! 🙂 Mir tun durch­aus die Leu­te ein biss­chen leid, die jetzt schon mit 30 mit der «Arbeit an der Gesund­heit» anfan­gen, um ihre Lon­ge­vi­ty zu optimieren!

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