Sorry, your browser does not support inline SVG. Horst Schulte

7 Minuten

Die Milch kocht über

Der Sonnenhof hatte für uns Kinder etwas Paradiesisches. Meine Schwester wurde dort geboren. Ich bin fünf Jahre älter als sie und war etwa 3 Jahre alt als wir dorthin gezogen sind.

Mein Vater war 29 Jahre alt als er aus 5jähriger russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause zurückgekehrte. 1939 war er einberufen worden und erst 1949 nach Hause zurückgekehrt. Ich denke, wie viele in dieser Lage, hat er versucht, wenigstens ein Fitzelchen der durch den Krieg verlorenen zehn Lebensjahre nach- oder aufzuholen.

Meine Mutter und er lernten sich im Sommer in der „Badeanstalt“ unseres Städtchens kennen. Meine Mutter erzählt heute noch, dass sie von seinen wunderbaren weißen und makellosen Zähnen begeistert gewesen wäre. Ich glaube ja, ein bisschen mehr wird es wohl gewesen sein. Schließlich hat ihre Ehe über fünfzig Jahre gedauert.

Meine Mutter war 19 Jahre alt als sie meinen Vater kennenlernte. Sie kümmerte sich als Älteste ganz allein um ihren Bruder und ihre kleine Schwester. Die drei Geschwister waren schon seit einigen Jahren Vollwaisen. Mein Vater nahm gewissermaßen die väterliche Rolle ein.

Als gelernter Gärtner bekam er eine entsprechende Stelle auf dem Sonnenhof. Seine Aufgabe bestand in der gärtnerischen Pflege eines, jedenfalls für heutige Verhältnisse, sehr großen Privatbesitzes. Dieser gehörte einem der Industriellen, die es damals noch in unserer Stadt gegeben hat. Neben seinem Chef gab es außer meinem Vater in der Gärtnerei noch drei Kollegen – alle ebenfalls Gärtner.

Als Mitte der 50er-Jahre der Chef meines Vaters verstarb, trat er dessen Nachfolge an.

Damit war unser Umzug auf den Sonnenhof in ein „eigenes“ Haus beschlossene Sache. Übrigens, ein Haus mit Zentralheizung und Badezimmer. Ich war damals noch zu klein, um mich an diese geradezu luxuriösen Veränderungen für unsere Familie erinnern zu können. Anfang der 1970er, der Sonnenhof musste dem Rheinbraun – Tagebau weichen, zogen wir in eine Mietwohnung in Blerichen. Dort gab es keine Heizung. Den Unterschied habe ich damals kennengelernt. War nicht schön. Man gewöhnt sich halt leichter an positive Veränderungen 🙂

Bilder vom alten Sonnenhof:

Wir wohnten gleich neben der Gärtnerei, zwei riesige Gärten lagen keinen Steinwurf von unserem Wohnhaus entfernt. Die Familie Holtkott, die Besitzer des Anwesens, führten neben den RLB Werken in Bedburg u.a. noch ein mittelgroßes Hotel in Köln auf dem Kaiser-Wilhelm-Ring. Dafür wurden unzählige Blumen, Gemüse und eben alles Mögliche gebraucht.

(Luftaufnahme Sonnenhof. Das ist das Hauptgebäude. Um dieses herum erstreckte sich ein Waldgebiet mit zwei große Gärten und einige Kilometer Wanderwege.)

Meiner Schwester und mir mangelt es nicht an wunderbaren Erinnerungen an eine richtig schöne Kindheit. Unsere Freunde, die den Sonnenhof kennengelernt haben, teilen bis heute unsere Begeisterung.


Ich möchte eine Geschichte erzählen, die passiert ist, als ich ungefähr fünf Jahre alt war. Also zu einer Zeit, als meine Schwester noch nicht geboren war. Ich erinnere mich noch ziemlich genau.

Auf dem Gelände des Sonnenhofs gab es einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb, einen Tennisplatz, ein Schwimmbecken, einen Seerosenteich und zwei große Weiden für Kühe. Ich glaube, es waren 5 oder 6. Schweine und Hühner gab es auch. Für die Pflege der Kühe war ein so genannter „Schweizer“ zuständig.

Jeden Abend gab es für uns einen Liter frische Milch. Diese wurde nach dem Melken in der so genannten Milchküche (siehe Bildbeschreibung in der Foto-Galerie) bearbeitet, so dass sie danach nur noch abgekocht werden musste. Meine Aufgabe war es, unseren Liter Milch abends abzuholen und in unsere Küche zu bringen.

Eines Abends, draußen war es schon fast dunkel, wollte mein Vater die gerade von mir abgelieferte Milch kochen. Meine Mutter war noch zum Einkauf in Bedburg. Übrigens hatten wir nie ein Auto. Deshalb wurden die wöchentlichen Einkäufe grundsätzlich zu Fuß oder mit dem Rad erledigt.

Bedburg lag ca. 3 bis 4 km (?) vom Sonnenhof entfernt, genauer gesagt von unserem Haus. Das war eine der Schattenseiten unserer ansonsten privilegierten Wohnlage. Zur Bedburger Schule war es ein langer Weg, auch mit Rad. Im Winter lag leider schon damals nicht so häufig Schnee, dass ich oft in die Verlegenheit gekommen wäre, meine geliebten Gleitschuhe anzulegen. Was hat das für einen Spaß gemacht, wenn man mit diesen Dingern auf noch unberührten weißen Wegen unterwegs war! Sogar dann, wenn es in die Schule ging.

Unsere Küche war groß. Neben dem Kohleofen gab es noch einen Elektroherd, einen Tisch mit vier Stühlen und eine große Couch. In der Ecke stand ein altes Radio, das ständig lief. Ein Kühlschrank fehlte damals noch. Zum Kühlen diente der Keller. Es gab ein mit Fliegendraht abgetrenntes Schränkchen. Das war’s.

Der Lichtschalter in der Küche bestand in einer Quaste, den ich (später) gern als einen Hauch von Luxus bezeichnet habe. Das Ding insgesamt kann man sich ungefähr so vorstellen.

Mein Vater stand am Herd und war dabei die Milch abzukochen. Ich hatte Langeweile. Große Langeweile. Ich wedelte ein bisschen mit der Quaste (dem Lichtschalter) und ließ ihn kreuz und quer, hin und her pendeln. Mein Vater bekam das mit und ermahnte mich, jetzt bloß nicht das Licht auszuschalten. „Die Milch kocht gleich!“

Gute Idee, dachte ich. Ich wartete, bis die Milch aufkochte und mein Vater Anstalten machte, mit den zwei Topflappen den heißen Milchtopf vorsichtig vom Herd zu nehmen. In diesem Moment…

Klick. Licht aus. Es war (inzwischen) stockfinster. Ein Schrei, Wut. Hooooorst.

Die Operation war also gelungen, und ich war deshalb schon eiligst unterwegs nach draußen. Ich durchquerte schnell den langen mit einem „Teppich“ aus bedruckter Teerpappe (Feltbase war damals in) ausgelegten Flur. Gleich vor unserem Haus stand eine Hecke (s. Foto). Sie umgab beinahe die gesamte Front der Gärtnerei und stellte für mich als damals Fünfjährigen noch ein Hindernis dar. Mein Vater und ich spielten zwischendurch gern mal Olympiade. Eine der Disziplinen war das Überspringen dieser Hecke. Würde mir das ausgerechnet heute in dieser Notlage zum ersten Mal gelingen?

Es war dringend nötig, denn mein Vater war bereits kurz hinter mir. Ich nahm Anlauf und … Mist! Ich blieb hängen und fiel fast aufs Gesicht. Das war nicht weiter schlimm, aber der Sturz raubte mir den Vorteil. Mein Vater hatte mich am Schlafittchen.

Ich erinnere mich nicht daran, wie die anschließende Standpauke ausfiel. Schlagen war kein Erziehungsmittel meiner Eltern. Ich weiß noch, dass es später vier-, vielleicht fünfmal Situationen gab, in denen mein Vater die Beherrschung verlor und mir eine geklatscht hat. Das war später.

Im 1. Schuljahr von einem Lehrer eine Ohrfeige bekommen, weil ich nicht aufgepasst hatte. Damals (Anfang der 60er Jahre) war das noch ganz normal.  Nicht für meinen Vater. Er fuhr – mit dem Rad – zur Schule und hat dem Lehrer die Meinung gesagt. So war das. Dieser Lehrer und ich sind keine Freunde geworden. Als er sich, ich war schon in der 4. Klasse, den Arm brach, lernte ich im Blitzverfahren, wie sich Schadenfreude anfühlt.

Die Geschichte geht noch weiter: Nachdem Papa mich also gestellt hatte, folgte die Ansage: „Ab ins Bett!“

Wenig später kam meine Mutter nach Hause und fragte sofort: „Wo ist der Jong?“ „Im Bett!“ antwortete Papa ein wenig zu harsch. „Wie im Bett, was ist denn passiert?“. Ich erinnere mich daran, dass ich Spaß hatte, dass die beiden jetzt Knatsch hatten. Schlimmes Kind!

Am nächsten Morgen war alles wieder gut.

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13 Gedanken zu „Die Milch kocht über“

  1. Danke, Nicol. Vielleicht schreibe ich ja noch ein paar andere Geschichten. Mal gucken. Wäre schön, wenn man dafür immer altes Fotomaterial hätte. Aber damit ist es bei mir leider nicht so weit her. Früher hat man einfach zu wenig geknipst. Heute vielleicht manchmal zu viel. 🙂

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  2. Danke für die interessante Geschichte. Ich habe den berühmten Sonnenhof, auf dem mein Vater lebte, nicht mehr erlebt. Nachdem der Sonnenhof der Braunkohle zum Opfer fiel, lebte ich später auf dem Lindenhof in Oppendorf. Für mich interessante, nie gesehene Fotos.

    Grüsse aus der Schweiz

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    • Hallo Herr Holtkott, bei der Gelegenheit kann ich Sie gleich mal etwas fragen. Den Freddy kennen Sie doch bestimmt auch. Der war mal ein Schuljahr über mir (4.Schuljahr). Das 3.und das 4.Schuljahr haben sich damals in der evangelischen Volksschule einen Klassenraum geteilt. Freddy hatte damals viele Flausen im Kopf. Was ist aus ihm geworden?

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  3. Na ich bin sehr angetan von dieser Story und den Fotos eines Hauses, an dass ich mich sogar noch gut erinnern kann. Hier und am nahe gelegenen sog. OT-Gelände suchten wir als Jungs das „große weite Abenteuer“. Es war für uns schon erwas Besonderes, wenn wir mit dem Rädchen von Geddenberg bis hier hin (!) geradelt waren, „fern der Heimat“!
    Tolle Aufnahmen und ein toller Bericht, lieber Heimatforscher Horst. Ich fühle mich um gut 50 Jahre zurück versetzt. Übrigens wurde einer der Bewohner des Sonnenhofes, Fredi Holtkott einer unserer Clique auf dem Gymnasium. Lange ist es alles her und doch so fest in guter Erinnerung.

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  4. Ja, Fredi ist inzwischen auch schon 63 🙂 Es ist irgendwie tröstlich, dass wir (fast) alle älter werden. Das OT-Gelände hatte es, glaube ich, vielen Jungen und Mädchen angetan. Erinnerst du dich an die kleine „Schlucht“. Wenn man dort hineinwanderte, kam es einem fast so vor, als wäre man in einem Karl-May-Film. Das waren schöne Zeiten.

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  5. Ja natürlich lieber Horst. Ich erinbere mich an die lan gezogene Rampe, die im Bogen nach unten führte. Mein Vater vermutete immer, dass dort Züge nach unten fahren sollten, oder fuhren um dan irgendwo unterirdisch zu verschwinden. Ich weiß nicht ob es wahr war oder nur eine abenteuerlische Vermutung über den Bau der Organisation Todt.

    Ich erinnere mich auch noch an zwei siloartige Rundtürme im unteren Teil der Schlucht. Man Horst, ist das lange her. Mir wird ganz warm ums Herz, wenn ich alle Erinnerungen wieder durchlebe. Du hast einen großen Anteil „Schuld“ daran.

    Übrigens sollten wir im Rahmen von Bergschadensrenovierung für eine Zeit in das Haus des ehemaligen Tierartzt Dr. Meier an der Bergheimer Strasse ziehen. Kurz bevor Rheinbraun das Haus für uns bezugsfertig hatte, lehnte mein Vater es ab dorthin zu ziehen. Er tat das mit den Worten: „Nee Kenger, dat losse mer blieve, do kumme mer nie mie erus.“ Er zrsute der Rheinischen nicht, obwohl er dort arbeitete. Meine Schwester und ich wären gerne dorthin gezogen.

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  6. Dr. Meier ist den meisten von uns – unserer Generation – noch als Startrampe für Skilauf und vor allem für wilde Schlittenfahrten bekannt. Alles futsch. Unwiederbringlich. Einfach schade.

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  7. Da ging meine Frau immer rodeln, als sie noch sehr jung war.

    Da oben sind mir noch Frengers mit den Schafen ein Gedanke wert und es gab noch den Rosenhof.

    Es kommen so viele alte Erinnerungen, je mehr man darüber nachdenkt. Und ein Auto haben wir auch lange nicht gehabt. Als ich zum Impfen ins Kreishaus nach BM musste, saß ich dabei auf dem Fahrrad-Gepäckträger meiner Mutter.Über die Bergheimer Strasse ging es in etwa wo heute die Grubenrandstrasse verläuft nach Bergheim. Auf der Rückfahrt kamen wir ins Gewitter. Das vergesse ich mein Lebtag nicht. Mama strampelte, was das Zeug hielt um die etwa 8 km mit Muskelkraft und „Gepäck“ zu bewältigen.

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