Den folgenden Text habe ich 2007 geschrieben und eben im Web-Archiv wiedergefunden. Schade, dass ich nicht die Weitsicht hatte, all diese Texte zu behalten, sondern sie samt der diversen Blog-URL’s gelöscht habe. Das ist vergossene Milch.
Ich war überrascht, dass wir schon vor achtzehn Jahren nicht nur über Relevanz und Einfluss von Blogs diskutiert haben, sondern auch über ihren Einfluss auf Demokratie und Anstand. Dass dabei die sozialen Netzwerke überhaupt noch nicht erwähnt wurden, zeigt allerdings, wie sich die „Werkzeuge zur Pflege unserer Demokratie“ seitdem verändert haben. Blogger und die sozialen Netzwerke sind natürlich Feinde. So würde ich das »Verhältnis« jedenfalls aus meiner heutigen Sicht etwas emotional beschreiben.
Die damals fehlende Relevanz dieser Verblödungsmaschinerie war darauf zurückzuführen, dass manche von ihnen noch frisch oder auch noch nicht am Start waren.
- 1997: SixDegrees
- 2002: Friendster
- 2003: LinkedIn, Myspace
- 2004: Facebook
- 2005: StudiVZ (Deutschland)
- 2006: Twitter
- 2010: Instagram
- 2011: Snapchat
- 2017: TikTok
Hier also der Text von damals:
Sonntag, 21. Oktober 2007
Hans Leyendecker ist einer der bekanntesten und wahrscheinlich auch bedeutendsten Journalisten Deutschlands. Außerdem ist er mir in seiner Art, in der er sich auch zu emotional sehr aufgeheizten Themen in der Vergangenheit geäußert hat, sehr sympathisch. Er ist jemand, der seine Verantwortung offenbar sieht und ernst nimmt. Nicht selbstverständlich, angesichts entgegengesetzter Erfahrungen, die wir mit unseren Medien machen.
Umso wichtig ist es, was Leyendecker bei der Präsentation seines neuen Buches: “Die große Gier” zur “Standortbestimmung” von Weblogs angemerkt hat:
Ich sehe sehr viel vorurteilsbewusste Leute, die im Internet schreiben. Leute, die zum Teil antidemokratisch sind. Was ich verfolge im Internet, ist nicht, dass es eine neue Stimme gibt, die wichtig ist für eine gesellschaftliche Diskussion, sondern es gibt eine unglaubliche Vorverachtung gegenüber jedermann.
Ich hab das Gefühl, dass im Internet ganz viele Menschen schreiben, weil sie irgendwas mal rauslassen können, was man sonst nicht mehr am Stammtisch rauslassen kann. Unqualifiziert, zum Teil.
Ich hatte gedacht, dass durch das Internet und durch die Blogs auch eine Sicht reinkommt (die gibt’s auch mitunter, das muss man auch sagen … ) Aber der Großteil der Sachen, die ich lese, ist böse, ist zynisch, ist verachtend, ist gegen jedermann. Und das ist eigentlich nicht die Vorstellung, wie man einen gesellschaftlichen Diskurs zu führen hat. Nun wird man abwarten müssen, ob es beispielsweise Blogs gibt, die die Situation in der Stadt oder so beschreiben.
Dass man das, was die Zeitungen nicht leisten können, was der Rundfunk nicht leisten kann, ob man das da hinbekommt. Das gibt’s in Amerika ja, solche Geschichten, dass Menschen sich da auch wiederfinden. Nur ich finde, in Deutschland (das, was ich jedenfalls sehen kann) ist eine unglaubliche antidemokratische, antiparlamentarische Form, die eigentlich von der Vorverachtung lebt.
Mich haben Leyendeckers Ansichten über Weblogs deshalb nicht überrascht, weil ich sie teile. Viele von uns schreiben, um etwas „rauszulassen“ (ich nehme mich da keineswegs aus) und leider äußert sich in manchem Text eine, wie ich finde, ausgesprochen mangelhaft entwickelte demokratische Kultur, wenn man von einer solchen überhaupt reden möchte und nicht eher bereits das Gegenteil unterstellen müsste. Dass er wirklich enttäuscht darüber ist, nehme ich ihm allerdings nicht ganz ab. Mancher Leute Aussage, die sie im Internet beispielsweise besonders kritisch zum Zusammenleben mit Muslimen tun, wird sich nicht auf den virtuellen Raum begrenzen. Vielleicht sind sie dort nur ungehemmter. Man wird gegen solche Stimmen nicht viel ausrichten können. Außer natürlich, dass man gegen sie anbloggt. Und das tue ich und halte dies für ein urdemokratisches Vorgehen.
Für meinen Teil gebe ich mir Mühe, mir die Ansage Leyendeckers hinter die Ohren zu schreiben und mich darum zu bemühen, mein Blog nicht mit «Vorverachtung» zu füttern.
https://www.literaturcafe.de/hans-leyendecker-gier-weblogs-journalismus-buchmesse-podcast/
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