Das nervt mich besonders am Älterwerden

Mit 61 merke ich die Hypothek, die mir das Älterwerden allmählich aufbürdet. Mir ist klar, dass das für sehr viele in meinem Alter überhaupt kein Thema ist. “Jedes Alter hat seine schönen Seiten”. Nee, is klar.

Man kann viel machen. Man kann sich vernünftig ernähren, Sport treiben, sich sozial engagieren, Gutes tun, einer Partei beitreten. Oder was für den Kopf tun – was Letzteres vielleicht wiederum ausschließt. 🙂 Man könnte beispielsweise studieren oder, wenn das Abi fehlt, als Gasthörer ein paar Vorlesungen des Fachs besuchen, das einen schon immer interessiert hat.

Tricks, um jung zu bleiben

Manche ziehen etwas extremere Formen vor, um jung zu bleiben. Sie tauschen die Frau, den Mann oder wagen eine Schönheits-OP, Fett absaugen und so. Das jugendliche Selbstverständnis bietet heutzutage viele Alternativen.

Bei mir ist es anders. Älterwerden liegt mir nicht. Das gebe ich unumwunden zu. Die Frage nach der Alternative muss mir aber auch keiner stellen. Nein, ich bin kein Jammerlappen – auch wenn es danach klingt. Ich versuche nur ehrlich zu sein. Mir gehts nicht um zu viele Kilos, die ich meinem Körper seit Jahren zumute und auch nicht um andere, auch optische Begleiterscheinungen des Alters.

Nach dem Berufsleben

Wenn daran denke, dass ich sehr bald meinen Beruf an den Nagel hänge und eine neue Zeitrechnung beginnt, schwanken meine Gefühle hin und her.

Wie werde ich das hinbekommen? Ich möchte meine Zeit sinnvoll nutzen und sie nicht verplempern? Ich will, solange ich kann, nicht mehr auf meinem Hintern sitzend, am Bildschirm (TV oder Internet) das Leben tracken. Ich will aktiv leben! Wie gelingt ein solches Projekt nach fast 47 Berufsjahren? Eine ganz schön große Umstellung. So viel ist mal klar. Bei meinem Vater habe ich das aus nächster Nähe beobachtet und auch bei vielen anderen. Die haben das geschafft, und ich werde es wohl auch hinbekommen.

Jeder wird Fehler machen

Vielleicht war es einer der Fehler meines (bisherigen) Lebens, zu passiv gewesen zu sein. Kann man das überhaupt noch ändern, wenn man die 60 überschritten hat? Immerhin gibt es ein Bewusstsein und Einsichten sollen ja entscheidend sein, wenn man was ändern möchte. Aber Verhaltensänderungen sind bekanntlich das schwerste, was man sich vornehmen kann.

An einer Sache will ich jedenfalls mit Vorrang arbeiten: Ich muss dringend etwas gegen meine Rührseligkeit tun. Keine Ahnung, ob das wissenschaftlich zu belegen ist. Aber mir scheint, Sentimentalität wächst mit zunehmendem Alter exponentiell. Früher habe ich das bei Älteren beobachtet und mich oft genug sogar darüber amüsiert. Bei der Selbstbespiegelung geht mir der Humor völlig ab. Es nervt einfach.

Heute passiert es mir, dass ich bei einem Konzert urplötzlich von einem Lied so ergriffen bin, dass mir die Tränen kommen. Wie peinlich! Beim Filmgucken ist das nur deshalb nicht so schlimm, weil es im Dunkeln passiert.

Rührung als Ventil

Ich kann es gar nicht nicht leiden, wenn mich die Rührung packt. Ich versuche dann krampfhaft an etwas ganz anderes zu denken. Aber das gelingt nur ganz selten. Diese Gefühle sind eigentümlich. So sehr mich auch die Szene ergreift, ein paar Minuten später ist es damit vorbei. Im wahren Leben scheint dafür ja ohnehin kein Platz. Die Prioritäten liegen anderswo.

Aber – nichts ist schwerer zu ertragen als das Leid anderer Menschen anzusehen. Es ist kaum zu ertragen, verhungernde Kinder am Fernsehbildschirm zu sehen. Und was habe ich in meinem Leben speziell dagegen getan? Ja, gespendet habe ich mal was und (natürlich) das Maul aufgerissen. Nicht nur hier im Blog.

Sentimentalität hat per Definition nichts mit Sensibilität oder Empathie zu tun. Wikipedia beschreibt den Begriff so: “Sentimentalität ist somit eine Form der emotionalen Selbststimulation ohne Handlungsantrieb.”

„Denn Sentimentalität ist das sich Erlaben an Gefühlen, die man in der Wirklichkeit nicht ernst genug nimmt, um ihnen irgendein Opfer zu bringen, um sie irgend je zur Tat zu machen.“ Hermann Hesse

Hermann Hesse

Damit ist noch nicht erklärt, weshalb ältere Menschen häufiger zu dieser Selbststimulation “greifen” als jüngere. Das Gefühl habe ich nämlich. Bestimmt gibt es auch dagegen Pillen! Aber mir reicht ehrlich gesagt schon das Blutdruckmittel.

Ich frage mich, warum Sentimentalität bei jungen Leuten weniger ausgeprägt zu sein scheint. Vielleicht hat das mit zunehmender Lebenserfahrung zu tun. Scheiße nicht? Die Rührseligkeit nimmt also möglicherweise parallel mit der Erkenntnis zu, dass wir fast nichts an den vielen grauenhaften Dingen ändern konnten, die wir während unseres Lebens gesehen und vielleicht sogar selbst erlebt haben. Aber wir empfinden sie als sehr belastend.

Probleme, die wir nicht lösen, vergraben wir in unserem Unterbewusstsein. Deshalb können einem eben auch schon mal die Tränen kommen.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Kategorie: Gesellschaft

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