Eine Welt ohne „Derrick” ☠ ist trotzdem lebenswert. Aber!

In ARD und ZDF wer­den zur­zeit zur Freude der Zwangsbeitragszahler fast nur Wiederholungen gezeigt. Viele sind ver­är­gert dar­über, aller­dings wohl mehr über die Zwangsabgabe an sich.

Bei einem der Flagschiffe deut­scher Krimi-​Unterhaltung ist end­gül­tig nicht mehr damit zu rech­nen, dass noch Folgen auf dem Wiederholungs-​Knaller-​Dienstplan des ZDF erschei­nen wer­den. Die von Esprit über­sät­tig­ten Dialoge zwi­schen Derrick, Harry und drin­gend Tatverdächtigen wer­den uns feh­len. Das ZDF ließ ver­lau­ten, dass „Derrick” end­gül­tig aus dem Programm genom­men wird.

Warum das?, wer­den vie­le Krimifans fra­gen. Was könn­te das ZDF davon abhal­ten, frei­wil­lig auf die Ausstrahlung von Konserven die­ser Güteklasse zu ver­zich­ten? Nicht nur die deut­schen Fernsehzuschauer, auch die in ca. 100 Ländern, in denen die­se erfolg­rei­che Serie vom ZDF ver­mark­tet wur­de, müs­sen wei­ter Verzicht üben.

Langeweile der Zuschauer bei Derrick-Krimis

Was könn­te die­sen schmerz­haf­ten Verzicht erzwun­gen haben? Langeweile der Zuschauer wird es nicht sein, denn dar­auf pfeift das ZDF bekannt­lich. Nein, es muss etwas gesell­schaft­lich Relevantes sein.

Hat das Nazigerücht im Sommerloch Auftrieb erhal­ten? Man hör­te ja schon 2013, dass Horst Tappert mit 19 Jahren Mitglied der Waffen-​SS gewe­sen sei. Eventuell dar­über hin­aus­ge­hen­de Verstrickungen Tapperts in die Untaten des Nazi-​Regimes blie­ben unklar. Wissen die ZDF-​Oberen mehr? Die Medien berich­ten jeden­falls kei­ne Neuigkeiten über den Fall.

Bisschen spät: Deutsche Juristen gegen Nazis

Vielleicht hat die ZDF-​Entscheidung ihren Ursprung in dem neu auf­ge­flamm­ten Ehrgeiz eini­ger Teile der deut­schen Gesellschaft, mög­lichst noch leben­den Nazis vor Gericht und auch mit über 90 ins Gefängnis zu sper­ren? Die Juristen sind mit nach jahr­zehn­te­lan­gem Nichtstun in die­sen Fällen so aktiv, dass ich mich fra­ge, wes­halb die­se Ambitionen so schreck­lich lang ver­schüt­tet waren.

Verlorene Abzeichen

Mein Vater (*1922) war ein knap­pes Jahr älter als Tappert. Er war Obergefreiter der Wehrmacht und mit dem Eisernen Kreuz ers­ter und zwei­ter Klasse sowie dem Goldenen Verwundetenabzeichen ver­se­hen. Er war bei Kriegsbeginn 17 Jahre alt, Tappert 16. Zum Kriegsende war mein Vater 23 Jahre alt, Tappert also 22. Als er nach 5jähriger Kriegsgefangenschaft 1949 nach Hause zurück­kehr­te war mein Vater knapp 27 Jahre alt. Er war, die Gefangenschaft mit­ge­rech­net, 10 Jahre im Krieg. Weg von zu Hause. In einem Schrecken, über den er mit mir nur sehr wenig gere­det hat.

Der Dank des Vaterlandes war den Soldaten gewiss. Die schwe­ren Verwundungen und die Krankheiten, an denen so vie­le nach Krieg und Gefangenschaft gelit­ten haben, wur­den über­wie­gend nicht als Kriegsfolgen aner­kannt. Diese Erfahrungen haben die Männer der Generation, die Pech gehabt hat, zu Millionen gemacht. Darüber wird bis heu­te nicht gespro­chen. Aber auch sie waren Opfer. Nicht alle, aber sehr, sehr vie­le. Sie hat­ten das Pech, für einen Staat gekämpft zu haben, den wir bis heu­te scham­haft als Nazi-​Deutschland bezeichnen.

Wie gesagt, über die Umstände, unter denen mein Vater an der Ostfront und anschlie­ßend in rus­si­scher Kriegsgefangenschaft ver­brach­te, hat mein Vater, der 2010 mit 80 Jahren ver­starb, nur wenig gespro­chen. Meistens über­haupt nur dann, wenn er bei einem aus­führ­li­chen Frühschoppen etwas zu tief ins Glas gese­hen hatte.

Ich weiß von ihm, dass er die Abzeichen, die er im Krieg erhielt, weg­ge­wor­fen hat und zwar bevor er in rus­si­sche Kriegsgefangenheit kam. Er wäre sonst, so sei­ne Erklärung, unter denen gewe­sen, die sofort von den Russen erschos­sen wor­den wären. Es exis­tie­ren nur zwei Fotos mei­nes Vaters in Uniform, das wäh­rend eines Heimaturlaubs zusam­men mit zwei Brüdern gemacht wur­de. Auf die­se Fotos trägt er die Auszeichnungen.

Mein Vater hat­te einen wesent­li­chen Beitrag an der Entwicklung mei­ner Einstellung zu Krieg und Vaterland. Deshalb habe ich es nicht so mit Begriffen wie Nation oder Vaterland, schon gar nicht mit Krieg. Es erfüllt mich mit Angst und Sorge, wie leicht­fer­tig Politiker mit dem Frieden umge­hen, den Europa in den letz­ten sie­ben Jahrzehnten genie­ßen durf­te. Es reicht ein Blick in die Geschichtsbücher, um zu erken­nen, dass der Frieden, den wir hier seit so vie­len Jahren genie­ßen, kei­nes­wegs so selbst­ver­ständ­lich ist, wie er für vie­le von uns heu­te zu sein scheint.

Wenn Horst Tappert, wie berich­tet wur­de, sei­ne Kriegsauszeichnungen ver­schwie­gen oder viel­leicht ver­steckt hat, kann ich dies nach­voll­zie­hen. Die wenigs­ten deut­schen Soldaten hät­ten ihre Kriegsauszeichnungen im Nachkriegsdeutschland her­um­ge­zeigt. Heute käme dies einer Selbstbezichtigung als Nazi gleich. Das ist nicht in Ordnung!

Waffen – SS nicht immer freiwillig

Alle, die sich ein biss­chen für Geschichte inter­es­sie­ren, dürf­ten wis­sen, dass die Mitgliedschaft in der Waffen-​SS nicht unbe­dingt frei­wil­lig war. Tappert war am Kriegsende gera­de 22 Jahre alt. Sein Andenken auf­grund der Mitgliedschaft zur Waffen-​SS so zu behan­deln, fin­de ich per­sön­lich schäbig.

Mir geht der erschre­cken­de Gedanke durch den Kopf, dass „die Rechten” mit ihren pau­scha­len Vorwürfen gegen Teile einer von poli­ti­scher Korrektheit getrie­be­nen Gesellschaft am Ende doch nicht ganz falsch lie­gen könnten.

Das ZDF streicht „Derrick” aus dem reich bestück­ten und abso­lut ener­vie­ren­den Wiederholungsrepertoire. Manche wird das mit Trauer erfül­len. Ich für mei­nen Teil bin froh, dass die­ser Sendeplatz nun mit einer zusätz­li­chen Wiederholung des Traumschiffs oder eines Pilcher besetzt wird. Das haben wir uns verdient.

War Spaß.

Update 22.07, 15:00 Uhr: Eben kam die Meldung, dass das ZDF die BILD-​Meldung kor­ri­giert hat:

Das ZDF ist einem Medienbericht ent­ge­gen­ge­tre­ten, wonach die kul­ti­ge Krimi-​Serie „Derrick” wegen der SS-​Vergangenheit des Hauptdarstellers Horst Tappert dau­er­haft abge­setzt sei. „Das ZDF plant der­zeit kei­ne Wiederholungen aus­zu­strah­len”, sag­te ein Sprecher des Senders zu n‑tv.de. Allerdings gebe es auch kei­ne Entscheidung über eine künf­ti­ge Ausstrahlung von „Derrick”-Wiederholungen. Die Verbannung sei eine „Geschichte der Bild”, sag­te der Sprecher wei­ter. „Wir hat­ten schon damals kei­ne „Derrick”-Wiederholungen im Programm und pla­nen auch im Moment kei­ne”, sag­te der ZDF-​Sprecher wei­ter. Der „Derrick”-Sender ZDF, der zwi­schen 1973 und 1997 mehr als 280 Folgen der Krimireihe pro­du­zier­te, hat­te kei­ne Wiederholungen gezeigt, seit im Jahr 2013 bekannt gewor­den war, dass der 2008 ver­stor­be­ne Tappert im Zweiten Weltkrieg bei der Waffen-​SS war. Das geht aus einem Dokument her­vor, das bei der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächs­ten Angehörigen von Gefallenen der deut­schen Wehrmacht (Wast) gefun­den wor­den war.Quelle: ZDF wider­spricht „Bild”-Bericht: „Derrick” ist doch nicht abge­setzt – n‑tv.de | LINK

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Horst Schulte, Blogger und politisch interessierter Rentner aus dem Rheinland. Schreibt mit Leidenschaft über Gesellschaft, Medien und Zeitgeschehen – pointiert, kritisch und mit Herz.

4 Gedanken zu „Eine Welt ohne „Derrick” ☠ ist trotzdem lebenswert. Aber!“

  1. Das wird gera­de ziem­lich hoch­ge­spielt. Die Mitgliedschaft bei der Waffen SS heißt ja erst mal noch gar nichts, wie du es ganz rich­tig dar­legst. Viel wich­ti­ger ist es, wie Tappert sich spä­ter poli­tisch posi­tio­niert hat. Aber dafür weiß ich zu wenig über ihn. Ich war nie ein Tappert‑, Derrick oder Webber-Fan.
    LG Sabienes

  2. Mein Gott wie schlimm, jetzt kön­nen wie­der ein Teil der Menschen sich bekla­gen, dass kei­ne ver­nünf­ti­gen Wiederholungen im TV lau­fen, als Sie noch „Jung waren” ^^

    Mich wun­dert bei Wiederholungen eher der per­sön­li­che Eindruck, dass nur bestimm­te „Folgen” und „Serien” teils über Jahre hin­weg wie­der­holt wer­den – z.B. Tatort aus Münster, hier hat man doch immer den Eindruck das immer nur die 5 Folgen wie­der­holt wer­den, wo der WDR feder­füh­rend bei der Produktion war.

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Kategorie: Gesellschaft

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