Demokratie im Rückbau: Wie Journalismus und Politik Vertrauen verspielen

Das Ende der Ampel­ko­ali­ti­on offen­bart nicht nur poli­ti­sche Kon­flik­te, son­dern auch die Rol­le der Medi­en bei der Ver­schär­fung gesell­schaft­li­cher Spannungen.

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Ich muss mich wie­der­ho­len: Scholz hat mit dem Raus­wurf Lind­ners aus dem Kabi­nett die Ampel für geschei­tert erklärt. Die Umstän­de, wann und wie Neu­wah­len von­stat­ten­ge­hen, stan­den zur Klä­rung an. 

Statt die Klä­rung zuzu­las­sen, gibt’s beim all­ge­mei­nen Kanz­ler-Bas­hing kein Hal­ten mehr. 

Poli­ti­ker der Uni­on und Medi­en­ver­tre­ter wer­fen Scholz vor, sich unwür­dig ver­hal­ten zu haben. Ihnen kann sein Abgang nicht schnell genug sein. Ich wünsch­te, die­ser Wolf­ram Wei­mer wäre nicht so oft Gast in irgend­wel­chen Talk­shows im ÖRR (Maisch­ber­ger). Man muss nur die Autoren­lis­te eines der Medi­en­pro­duk­te die­ses Herrn lesen, um zu begrei­fen, woher der Wind weht. Bei Roland Tichy scheint das funk­tio­niert zu haben. Viel­leicht ist der Mann weni­ger gut ver­netzt als der Ver­le­ger Wei­mer? Mir hat der Typ schon als Cice­ro-Grün­der vor vie­len Jah­ren nicht behagt. Wei­mer tut immer so jovi­al und freund­lich. In Wahr­heit ist der Mann ein Wolf im Schafs­pelz. War­um las­sen die ÖRR ihn sein Gift ver­sprü­hen, wäh­rend doch ande­ren qua­si der Mund ver­bo­ten wird, in dem sie nicht mehr ein­ge­la­den werden?

Chris­ti­an Lind­ner wird getrös­tet und gehät­schelt, als sei er nicht für alle sicht­bar der stän­di­ge Sta­chel im Fleisch der Ampel gewesen.

Ich schrei­be hier über mei­ne per­sön­li­chen Ein­drü­cke und Befindlichkeiten. 

Den meis­ten Leu­ten schien das Aus der Ampel nicht schnell genug zu kom­men. Wie bei „X“ und den ande­ren aso­zia­len Jau­che­gru­ben über die auf­grund ihrer Ämter etwas her­aus­ge­ho­be­nen Mit­glie­der die­ser Regie­rung gere­det wird, ist ver­mut­lich einzigartig. 

Es gab natür­lich auch frü­her har­te Zei­ten, in denen Regie­rung und Oppo­si­ti­on sich mas­si­ve Aus­ein­an­der­set­zun­gen gelie­fert haben, die auch unter die Gür­tel­li­nie gin­gen. Aber war es je so schlimm wie jetzt? 

Hel­mut Schmidt zeig­te sich not amu­sed dar­über, als er das Ende der sozi­al-libe­ra­len Koali­ti­on im Jahr 1982 im Bun­des­tag kom­men­tiert hat. Da fie­len har­te Wor­te. Lei­der erin­ne­re ich mich nicht mehr an die beglei­ten­den Zei­tungs- oder TV-Kom­men­ta­re. Aber ich den­ke, sie waren in kei­ner Wei­se ver­gleich­bar mit dem, was heu­te abgeht. Das ist in mei­nen Augen auch ein Resul­tat des Umzu­ges von Bonn nach Berlin. 

Haupt­stadt-Jour­na­lis­ten wer­den von ihrer eige­nen Zunft gele­gent­lich für Metho­den und Über­trei­bun­gen in ihrer Bericht­erstat­tung kri­ti­siert. Ich glau­be, Selbst­kri­tik täte vie­len die­ser Leu­ten gut. 

Selbst­kri­tik ist gera­de im Hin­blick auf die Wir­kung ihrer jour­na­lis­ti­schen Arbeit viel zu sel­ten. Dass es im poli­ti­schen Ber­lin längst zum Stil­mit­tel gewor­den ist, lau­fend Indis­kre­tio­nen zu bege­hen, ist nicht nur bedau­er­lich, son­dern ich glau­be Demo­kra­tie-schä­di­gend. Lind­ner scheint es in der Dis­zi­plin des Durch­ste­chens von Infor­ma­tio­nen an die Pres­se zu einer Meis­ter­schaft gebracht zu haben. Das spricht nicht für ihn. Aber es könn­te ja sein, dass Jour­na­lis­ten die Absicht hin­ter sol­chen Aktio­nen ein­schät­zen kön­nen und sich des­halb die­ser Absicht ver­wei­gern. Klar, das ist naiv. Schließ­lich müs­sen Jour­na­lis­ten heut­zu­ta­ge hart um ihre Exis­tenz kämpfen… 

Ethi­sche Beden­ken sind ange­sichts der Mög­lich­kei­ten, selbst Poli­tik zu machen, beiseitezuschieben. 

Über­haupt fin­de ich, dass Jour­na­lis­ten längst nicht mehr dem Nim­bus der 4. Gewalt im Staat fol­gen, son­dern pri­mär dem Eigen­in­ter­es­se. Wie längst durch­ge­drun­gen, fol­gen Jour­na­lis­ten zu häu­fig ihren poli­ti­schen Prä­fe­ren­zen oder per­sön­li­chen Ansich­ten. Ich wür­de zu ger­ne eine Mess­zahl dafür erfah­ren, wie hoch der Ein­fluss der Medi­en auf den Miss­erfolg der Ampel tat­säch­lich gewe­sen ist. Ich igno­rie­re dabei kei­nes­wegs, wel­che gra­vie­ren­den Feh­ler durch die­se Koali­ti­on bzw. ihre Prot­ago­nis­ten gemacht wur­den, son­dern möch­te die Fra­ge auf­wer­fen, die auf das abzielt, was in der erwei­ter­ten Öffent­lich­keit, frei­lich in aller Absicht, nur den soge­nann­ten rech­ten Medi­en zuge­schrie­ben wird. 

Ein­fluss haben alle Medi­en. Denn es gilt: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“. Aber die­ses Heiß­ma­chen mutier­te zum Prin­zip. Nicht die Infor­ma­ti­on steht im Vor­der­grund, son­dern die Mani­pu­la­ti­on. Das klingt furcht­bar, aber wenn wir uns die Wir­kung von Pres­se­be­rich­ten anschau­en, kön­nen wir mMn nur die­se Erkennt­nis erlan­gen. Bei „WDR aktu­ell“ wer­den all­abend­lich bestimm­te Bei­trä­ge wie­der­holt. Es kommt vor, dass ich die glei­chen Sät­ze und Bil­der mehr als drei­mal an auf­ein­an­der­fol­gen­den Tagen vor­ge­setzt bekom­me. Möch­te eine Redak­ti­on also einen bestimm­ten Sach­ver­halt ins kol­lek­ti­ve Gedächt­nis der Zuschau­er ver­an­kern, ist das eine bewähr­te Metho­de. Das kennt man aus der Päd­ago­gik.

Wie man am Bei­spiel von Mar­kus Lanz sieht, der sich mit Bei­fall hei­schen­den Bli­cken an sei­ne bevor­zug­ten Dau­er­gäs­te aus dem jour­na­lis­ti­schen Bio­top wen­det, funk­tio­nie­ren bestimm­te Metho­den her­vor­ra­gend. Der Blick zum Jour­na­lis­ten-Kol­le­gen geht nicht dort­hin, weil man Ein­ord­nung oder neue Aspek­te hören möch­te, son­dern er dient meis­tens dazu, den Druck auf den Gast, der auf dem „hei­ßen Stuhl“ gegrillt wird, zu erhö­hen bzw. um dazu vom jewei­li­gen Kol­le­gen Bestä­ti­gung zu erfah­ren. Zum Glück sind die meis­ten Poli­ti­ker erfah­ren genug, um Lanz’ Ver­su­chen, ihnen irgend­ei­ne Dumm­heit zu ent­lo­cken, zu widerstehen.

Es gibt oft mehr als zwei Sei­ten einer Geschich­te. Sich also nur auf rich­tig oder falsch fest­zu­le­gen, kann ein Feh­ler sein. Es gelingt mir immer sel­te­ner, mich auch mit Medi­en zu befas­sen, deren poli­ti­sche Ten­denz mir nicht liegt. Erst vor ein paar Tagen habe ich „NIUS“ bei Twit­ter stumm­ge­schal­tet, weil ich die­sen Mist nicht mehr ertra­gen habe. Ja, das zeugt nicht von über­mä­ßi­ger Tole­ranz. Aber es gibt ein­fach Grenzen. 

Der AfD-Ver­bots­an­trag ist nun auf dem Weg. Ich weiß nicht, ob und wann wir wie­der etwas von die­sem The­ma hören wer­den. Ich hal­te den Ver­bots­an­trag für falsch. Ande­rer­seits über­se­he ich nicht die Gefah­ren, die von die­ser Par­tei aus­ge­hen. Schüt­zen wir unse­re Demo­kra­tie künf­tig dadurch, dass wir Demo­kra­tie reduzieren? 

Ist Wil­ly Brandts Pro­kla­ma­ti­on „mehr Demo­kra­tie wagen“ geschei­tert, weil wir uns die Mög­lich­kei­ten neh­men, uns die Mei­nun­gen und Vor­schlä­ge ande­rer über­haupt noch zu Gemü­te zu führen? 

Alles in allem habe ich den Ein­druck, dass sich unse­re Demo­kra­tie eher im Rück­bau befin­det. Dazu tra­gen auch lin­ke Kräf­te bei und das ist für mich die tra­gi­sche Sei­te an der Ent­wick­lung. Den Rech­ten und den Kon­ser­va­ti­ven wür­de ich (Ent­schul­di­gung) zutrau­en, demo­kra­ti­sche Rech­te ein­zu­he­gen oder sogar zu beschränken. 

Nun mag das Gere­de über Ver­bo­te aus dem woken Lager auch wie­der nur auf Pro­pa­gan­da zurück­zu­füh­ren sein. Sieht man etwas genau­er hin, stellt man schnell fest, ob oder ob nicht. 

Mir kommt das Bei­spiel mit dem „Ober­india­ner“ in den Sinn. Muss das sein? Und wer hat die­se Geschich­te über­haupt in Gang gebracht und aus wel­chem Grund? Und wie ist es mög­lich, dass ein sol­ches The­ma die Repu­blik tage­lang beschäf­tigt? Ein Nach­weis für Klug­heit sieht anders aus. Das wür­de ich an bei­de Sei­ten adressieren. 

Ich stel­le auch bei mir Ver­än­de­run­gen fest. Viel­leicht sind die­se auf mein Alter zurück­zu­füh­ren. Jeden­falls nei­ge ich heu­te nicht zu mehr Tole­ranz. Heu­te neh­me ich Äuße­run­gen über poli­ti­sche Pro­zes­se schnel­ler übel, als ich das frü­her getan habe. Ich habe gedacht, mit höhe­rem Lebens­al­ter wei­ser und abge­klär­ter zu sein. Hm. Was für ein Schmarrn. 

Statt­des­sen habe ich das Gefühl, dass ich nie radi­ka­ler gedacht und gere­det habe als heu­te. Ich war nie into­le­ran­ter und generv­ter von man­chen Zeit­ge­nos­sen, Jour­na­lis­ten und Poli­ti­kern als jetzt. Und das Schlim­me ist, dass ich erken­nen muss, nicht allein zu sein. Auch die ande­ren sind unein­sich­tig, into­le­rant und miss­mu­tig. Wie lan­ge kann das andau­ern, und gibt es Hoff­nung auf Änderung?

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: ChristianLindner Medienkritik OlafScholz

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