„Eigenbedarf“ – wenn ein Zuhause plötzlich zur Verfügungsmasse wird

Eigen­be­darf trifft beson­ders älte­re Mie­ter hart. Ein per­sön­li­cher Erfah­rungs­be­richt und ein Appell für mehr Mensch­lich­keit im Mietrecht.

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Es gibt Wor­te, die in Para­gra­fen harm­los klin­gen, im Leben aber wie ein Fall­beil wir­ken. „Eigen­be­darf“ ist solch ein Wort. Gesetz­lich legi­tim, juris­tisch sau­ber – und doch: Für vie­le, die ihr Leben lang in einer Woh­nung ver­bracht haben, ist es ein Stich ins Herz.

Wir waren damals Anfang vier­zig, als unser Ver­mie­ter Eigen­be­darf anmel­de­te. Die Schwie­ger­mut­ter war krank, die Fami­lie rück­te zusam­men – und wir muss­ten raus. Wir hat­ten Ver­ständ­nis, ja, aber die Fol­gen waren spür­bar und ein­schnei­dend. Der Umzug führ­te uns zu einem Desas­ter, das erst mit einem erneu­ten Wech­sel ende­te. Heu­te, nach 33 Jah­ren im neu­en Zuhau­se, bli­cken wir zurück – mit etwas Abstand, aber nie ohne Gefühl.

Und doch war unse­re Erfah­rung fast harm­los ver­gli­chen mit dem, was wir kürz­lich erfuh­ren: Bekann­te, Ende 60 und Anfang 70, ver­wur­zelt in ihrem Zuhau­se, müs­sen gehen. Ein gro­ßer Hund ist auch betrof­fen. Allein die­ser Umstand schränkt die Chan­cen ein. Eigen­be­darf. Das trifft hart, tief — ja existenziell.

Wenn ein Paragraf das Leben auflöst

Was wie eine tro­cke­ne Fuß­no­te im Miet­recht wirkt, kann der Anfang einer see­li­schen Erschüt­te­rung sein. Die­se Men­schen haben Jahr­zehn­te gelebt, geliebt, getrau­ert in ihren vier Wän­den. Sie sind mit der Woh­nung alt gewor­den – sie ist kein Objekt, son­dern ein Zuhau­se. Und nun soll die­ses Zuhau­se auf­ge­ge­ben wer­den, weil der Enkel stu­diert oder weil die Ren­di­te nicht mehr stimmt.

Wie soll ein 70-Jäh­ri­ger eine Woh­nung fin­den in einem Markt, der auf Fle­xi­bi­li­tät, Mobi­li­tät und Kapi­tal setzt? Här­te­fall­re­ge­lun­gen? Theo­re­tisch. In der Pra­xis zählt, wer den län­ge­ren Atem und das bes­se­re Kon­to hat.

Alt und ohne Lobby

Der Begriff „sozi­al­ver­träg­lich“ wird oft zitiert, wenn es um Eigen­be­darf geht. Doch sind es wirk­lich fai­re Ver­fah­ren, wenn sich Rent­ner mit 1.100 € Monats­ren­te gegen Eigen­tü­mer mit juris­ti­schem Bei­stand behaup­ten sol­len? Der Umzug selbst ist schon eine Qual, psy­chisch wie phy­sisch. Die gewohn­te Umge­bung gibt Sicher­heit – Nach­barn sind Anker, der Bäcker ein Stück Heimat.

Es wird viel gere­det über Woh­nungs­bau und Miet­preis­brem­se – und wenig pas­siert. Der Woh­nungs­markt ist ein Hai­fisch­be­cken, kein Schutz­raum. Eigen­tum genießt Ver­fas­sungs­rang – und das soll auch so sein. Doch wenn Besitz über Mensch­lich­keit tri­um­phiert, ver­sagt das System.

Ich habe über Hei­di Rei­chi­nek von den Lin­ken geschmun­zelt, als sie laut über eine Abschaf­fung des Kapi­ta­lis­mus nach­dach­te. Und doch fra­ge ich mich: Was ist das für ein Land, das es zulässt, dass alte Men­schen ent­wür­digt aus ihrem Leben geris­sen werden?

Ein Appell an Politik und Gesellschaft

Es braucht mehr als war­me Wor­te. Es braucht:

  1. ein Mie­ter­recht, das den Schutz im Alter stärkt,
  2. Kri­te­ri­en, die Eigen­be­darf noch stär­ker begrenzen,
  3. und vor allem: gesell­schaft­li­che Solidarität.

Wer jahr­zehn­te­lang sei­ne Mie­te bezahlt hat, soll­te nicht um sein Zuhau­se fürch­ten müs­sen. Und wir als Gesell­schaft? Wir dür­fen nicht zuse­hen. Wir müs­sen unse­re Stim­me erhe­ben, nicht erst dann, wenn wir selbst betrof­fen sind.

Denn am Ende ist eine Woh­nung nicht ein­fach ein Ort. Sie ist Geschich­te, Gebor­gen­heit, geleb­tes Leben.

Ein Zuhau­se.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Alter Armut Kündigung

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