Was macht eine Opposition, die sich ihrer baldigen Rückkehr an die Macht gewiss war? Sie schärft ihr Profil. Zwei Oppositionsparteien, mit einem Hang zu extremen Positionen, werden dem Land in den nächsten Jahren wohl noch zu schaffen machen. Linke und AfD reiben sich an der Regierung, bis die Funken fliegen – schätze, die Demokratie wird leiden. Dass sich die Rechten darüber freuen, dass Faesers Entscheidung zum Compact-Verbot vom Bundesverwaltungsgericht zurückgenommen wurde, passt zur Lage. Ich bin gespannt, ob sich nun überhaupt noch jemand an ein AfD-Verbot herantraut.
Die Union hat sich im Schatten der Ampel neu sortiert – rhetorisch. Inhaltlich kam in meinen Augen eher wenig. Aber immerhin – es keimte Hoffnung, dass die Konservativen es besser machen als die Ampel-Regierung mit dem Störenfried erster Güte, namens FDP. In fast jedem Politikfeld erhob die Union den Zeigefinger: mal als Mahnerin, mal als Verteidigerin des gesunden Menschenverstands. Doch was steckt hinter den Worten von Friedrich Merz, Jens Spahn, Thorsten Frei, Johann Wadephul und Co.? Eine Sorge um das Land? Oder doch eher ein Katalog altbekannter Antworten auf neue Herausforderungen?
Wirtschaft: Die Ordnungspolitik als letzte Bastion
Der Begriff „Haushaltsdisziplin“ klingt wie aus einem anderen Jahrhundert. Die Union trägt ihn vor sich her, als sei er eine Monstranz im Krisenprozessionszug. Die Schuldenbremse? Sakrosankt. Sondervermögen? Teufelswerk. Investitionen in Digitalisierung oder Transformation? Ja, aber bitte ohne Umwege und mit spitzer Feder gerechnet. Wie sehr wurden in den paar Monaten seit der Machtübernahme solche Grundüberzeugungen geschrumpft? Egal! Mit dieser Haltung hat die Union die Ampel vor die Wand fahren lassen.
Die Kritik an der Ampel war NIE unbegründet – das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat ihre Finanzakrobatik entlarvt. Das war bereits der Anfang vom Ende. Doch was bietet die Union als Alternative? Steuererleichterungen für Unternehmen und Bürokratieabbau – nicht neu, nicht konkret, nicht visionär. Der Vorwurf bleibt: Man will zurück in eine Vergangenheit, die so nicht mehr existiert. Und dann dieser Schuldenaufbau, der insbesondere mit der Angst vor dem Russen begründet wird.
Migration: Ordnung über Humanität
Kein anderes Thema lässt die Union so leidenschaftlich auftreten wie die Migrationspolitik. Von „Kontrollverlust“ ist die Rede, von „Anreizsystemen“, die Menschen ins Land lockten. Die Ampel habe den Überblick verloren. Die Union fordert dagegen mehr Abschiebungen, Asylzentren in Drittstaaten, eine restriktive Einwanderungspolitik. Dass sie damit den rechten Rändern die Tür aufstößt, nimmt sie billigend in Kauf – oder kalkuliert es gar ein. Wie weit sind wir gekommen?
Besonders verstörend finde ich den Plan, die finanzielle Unterstützung privater Seenotretter einzustellen. Außenminister Johann Wadephul verteidigt die Maßnahme. Wörtlich:
Deutschland bleibe „immer der Humanität verpflichtet und wird auch immer sich an allen Plätzen, wo Menschen leiden, dafür einsetzen“.
Quelle
Das ist nicht nur kaltschnäuzig, sondern zynisch. Es geht hier um Menschenleben. Um Ertrinkende, die keine Stimme haben – außer derer, die sie retten. Die Kriminalisierung zivilgesellschaftlichen Engagements auf hoher See ist ein Armutszeugnis für jede Partei, die sich christlich nennt.
Was bedeutet es, wenn ein Staat nicht mehr willens ist, das Retten von Menschen aus dem Mittelmeer zu unterstützen? Es bedeutet, dass politische Härte über Moral gestellt wird. Dass Bilder vom Sterben im Mittelmeer offenbar weniger stören als die Vorstellung von „Pull-Faktoren“. Diese Debatte ist mehr als Symbolpolitik – sie zeigt, in welchem Geist konservative Migrationspolitik derzeit formuliert wird. Im Kampf gegen die Migration ist jedes Mittel recht. Auch, wenn die Begründung lautet, dass man durch diese Maßnahme etwas gegen professionelle Schlepperbanden unternehmen will. Man lässt Menschen bewusst sterben, weil man auch durch die Austrocknung finanzieller Ressourcen der Helfer Abschreckung erzeugen will. Was für eine Scheiße!
Klimapolitik: Gegen das „Heizungschaos“ – aber wofür?
Im Streit um das Gebäudeenergiegesetz hat sich die Union als „Anwalt der Eigentümer“ in Szene gesetzt. Gegen grüne „Verbote“, gegen Habecks „Heizungs-Hammer“. Dass sie selbst unter Merkel ein ähnliches Gesetz mitgetragen hätte? Schnee von gestern.
Statt echter Alternativen hört man nur Schlagworte: „Technologieoffenheit“, „realistische Übergänge“, „Bezahlbarkeit“. Alles richtig – aber auch alles unkonkret. Der konservative Kurs pendelt zwischen fossilem Beharren und grünem Misstrauen. Wer nach vorn will, schaut anders aus.
Bürgergeld: Fordern statt fördern
Die Ampel wollte mit dem Bürgergeld einen neuen Weg gehen. Die Union ruft zurück nach Hartz IV. In der jüngsten Debatte um Anpassungen an den Arbeitsmarkt tönt es wieder: Wer arbeiten könne, solle das auch tun – notfalls mit Zwang. Leistung müsse sich lohnen. Diese Mantren klingen bekannt – sie erinnern an 2005, nicht an 2025.
Der Blick der Union auf Armut ist technokratisch: Wer nicht leistet, wird sanktioniert. Die gesellschaftlichen Ursachen von Erwerbslosigkeit, prekärer Beschäftigung oder Bildungsferne bleiben im Schatten dieser Debatte.
Gesellschaft: Von Leitkultur bis „Wokeness“
Die Union tritt auch als Kulturkämpferin auf. Gendergerechte Sprache? Ein Irrweg. Diversität? Eine „Verirrung der Linken“. Die CDU pflegt den Mythos einer „bürgerlichen Normalität“, die man gegen gesellschaftlichen Wandel verteidigen müsse. Diese Tonlage zielt nicht auf Integration, sondern auf Polarisierung.
Rückwärtsgewandt mit gespitztem Zahn
Die Union präsentiert sich als letzte Bastion der Vernunft – doch ihre Rezepte sind meist Rezidive. Statt Antworten auf die großen Fragen der Zukunft liefert sie Abgrenzung, Moralisierung und technokratische Kälte.
Die Forderung, privaten Seenotrettern die Mittel zu entziehen, ist nicht nur ein Skandal. Sie ist ein Symptom. Ein Hinweis darauf, wie sehr sich eine Partei verrenken kann, um „bürgerliche Härte“ als Tugend zu verkaufen – auch wenn dabei Menschen auf der Strecke bleiben.
Der Preis solcher Politik? Eine Gesellschaft, die sich daran gewöhnt, dass Moral als Schwäche gilt – und Menschlichkeit als Gefahr.
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