Früher war alles… schlimmer!

Man sagt, alte Menschen erzählen gern von früher. Das stimmt. Ich kenne das von mir. Aber das allein wäre ja noch harmlos. Wären da nicht die Krankheiten. Die echten, die eingebildeten, die stolz getragenen Operationsnarben und die leidenschaftlich aufgezählten Medikamente – inklusive Packungsbeilage im Kopf.

Es ist ein bisschen so, als würde die Apotheken-Umschau auf zwei Beinen durch die Gegend laufen – mit Herzschrittmacher und Galle-OP in der Vita.

Doch warum ist das so? Warum verliert sich der Mensch ab einem gewissen Lebensalter in Geschichten, deren Handlungsorte bevorzugt „im Lazarett“, „beim Orthopäden“ oder „auf Station 3B“ liegen? Und warum beginnt jede zweite Erzählung mit dem mystischen Satz: „Also früher…“?

Die Antwort ist so alt wie das Methusalem-Komplott: Früher war das Leben keine Timeline, sondern ein echtes Abenteuer. Es wurde geraucht wie blöd, getrunken wie Durstige in der Wüste und gearbeitet bis zum Bandscheibenvorfall. Und wer das überlebt hat, hat etwas zu erzählen – notfalls auch dreimal, mit verteilten Pointen.

Die Krankheiten wiederum? Nun, das sind die Orden des Alters. Sie beweisen, dass man gelebt hat. Nicht bloß „existiert“, wie die Fitnessjünger von heute, die jeden Tag kalt duschen, Gurkenwasser trinken und ihren Ruhepuls in der Cloud speichern. Nein – ein echter Mensch hat wenigstens zwei neue Hüften, kennt das Wort „Stuhlprobe“ nicht nur aus dem Biologieunterricht und weiß, wie man seinen Blutdruck verbal gegen Null runterdiskutiert.

Natürlich hört sich das für Jüngere manchmal an wie eine Mischung aus Gruselkabinett und Mediziner-Karaoke. Aber das liegt nur daran, dass sie glauben, das Leben sei ein ewiges Jetzt. Dass Vergangenheit etwas ist, das man wegwischt wie eine Push-Nachricht. Sie ahnen nicht, dass Erinnern ein Trost sein kann. Und dass eine gute Leberzirrhose manchmal mehr verbindet als drei Netflix-Serien.

Wer also das nächste Mal in der Bahn oder beim Familienfest einem alten Menschen lauscht, wie er mit glänzenden Augen von „den Siebzigern“ spricht – und damit nicht diese Siebziger meint, sondern die echten, wo ein Fernseher noch ein halber Schrank war – der möge bitte geduldig sein. Denn dort, in diesen Geschichten von früher und von den Zipperlein, liegt das ganze Leben. Mit Liebe, Leid und manchmal sogar einem kleinen Lächeln am Rollator.

Und wer weiß:
Vielleicht erzählen wir eines Tages auch einmal…
…von der Zeit, als es noch Blogger gab.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Kategorie: Privat

Schlagworte: Altern Erinnerungen Krankheiten

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