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Was sie ertragen muss – und was uns das über unser Land sagt

Die Richterin und der Mob

Was bleibt von einem Menschen, wenn man ihn nicht mehr als Menschen sieht?

In die­sen Tagen ist viel geschrie­ben wor­den über Paragrafen, Wahlausschüsse, Fraktionslogik und Medienkampagnen. Über Richtlinienkompetenz, ver­fas­sungs­recht­li­che Eignung, Plagiatsvorwürfe. Doch viel zu wenig wur­de dar­über gespro­chen, was all das mit einem Menschen macht. Was es bedeu­tet, wenn sich der poli­ti­sche Hass Bahn bricht und aus­ge­rech­net jene trifft, die für das Recht eintreten.

Ich möch­te dar­über schrei­ben, was mich an der Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf wirk­lich erschüt­tert. Es ist nicht nur die poli­ti­sche Feigheit derer, die sich vor sie hät­ten stel­len müs­sen. Es ist nicht nur die wider­wär­ti­ge Rhetorik aus rech­ten Medienlagern, in denen sie als „links­ra­di­ka­le Verfassungsfeindin“ gebrand­markt wird. Es ist die kal­te, kalt­schnäu­zi­ge Art, mit der über sie gespro­chen wird – als sei sie ein Fall. Ein Hindernis. Eine Schachfigur.

Sie ist ein Mensch.

Die Erinnerung an einen TV-Abend

Ich sah sie zum ers­ten Mal bei Markus Lanz, zusam­men mit Gerhart Baum und Heribert Prantl. Es ging um das AfD-​Verbotsverfahren – ein schwie­ri­ges, emo­tio­nal auf­ge­la­de­nes Thema. Und da saß sie: ruhig, klar, ohne jeden ideo­lo­gi­schen Überschwang. Juristisch prä­zi­se, aber nicht abge­ho­ben. Aufmerksam, aber nicht beleh­rend. Es war ein beein­dru­cken­der Auftritt, weil er etwas zeig­te, das heu­te sel­ten gewor­den ist: Überzeugung ohne Rechthaberei. Eine Formulierung hat sie ges­tern (bei Lanz) gera­de­ge­rückt. Ich bin sicher, dass sie damit NICHT durch­drin­gen konn­te. Nicht bei denen, die längst ihr Urteil gefällt haben.

Dass aus­ge­rech­net die­ses Thema – das AfD-​Verbot – spä­ter zum Brandbeschleuniger für die Hetze gegen sie wur­de, ist nur fol­ge­rich­tig. Die Rechtsextremen in die­sem Land spü­ren sehr genau, wer ihnen gefähr­lich wer­den könn­te. Und wer noch das Vertrauen der bür­ger­li­chen Mitte genießt.

Eine Frau wird zur Zielscheibe

Seit ihrer Nominierung zur Verfassungsrichterin wur­de Brosius-Gersdorf zur Zielscheibe einer dif­fa­mie­ren­den, ent­mensch­li­chen­den Kampagne. Ihre Worte wur­den ver­dreht, ihre Wissenschaftlichkeit ange­zwei­felt, ihre Loyalität infra­ge gestellt. Aus einer Juristin wur­de eine „Aktivistin“, aus einem Gutachten eine „Agenda“, aus ihrer Familie ein poten­zi­el­les Druckmittel.

Und dann wur­de es ganz still.

Still auf Seiten derer, die es hät­ten bes­ser wis­sen müssen.

Was das mit einem Menschen macht

Meine Frau und ich haben sie noch ein­mal gese­hen – wie­der bei Markus Lanz, dies­mal nach den Vorwürfen. Man konn­te sehen, was die­se Tage mit ihr gemacht haben. Wie schwer das Atmen fällt, wenn Worte plötz­lich Waffe wer­den. Wenn nicht mehr dis­ku­tiert wird, son­dern ver­ur­teilt. Wenn Drohbriefe ins Haus flat­tern. Wenn die Kollegen an der Universität nicht nur Mails mit schlim­men Inhalten lesen, son­dern Polizeischutz brauchen.

Es ist schwer, das zu schrei­ben, ohne wütend zu werden.

Denn wer sich ein­mal fragt, wie Demokratien zer­fal­len, der muss nicht auf die gro­ße Gewalt war­ten. Es beginnt mit Verachtung. Mit dem Missbrauch der Sprache. Mit dem sys­te­ma­ti­schen Entzug von Empathie.

So war es in den letz­ten Jahren der Weimarer Republik. So ist es wieder.

Das Ende der Menschlichkeit als Methode

Tichy, Reichelt, Reitz, Fleischhauer – sie füh­ren die­se Angriffe mit der eis­kal­ten Präzision pro­fes­sio­nel­ler Populisten. Sie bedie­nen sich am Arsenal der alten Demagogen: Verdacht säen, Sprache ver­zer­ren, Schuld zuwei­sen. Ihre Agenda ist klar: die­se Regierung dele­gi­ti­mie­ren, jeden Widerstand bre­chen, das Vertrauen in unse­re Institutionen zersetzen.

Dass Brosius-Gersdorf nicht nur Juristin, son­dern auch Ehefrau, Kollegin, Freundin, Professorin ist – inter­es­siert sie nicht. Für sol­che Leute ist sie ein Symbol. Und Symbole darf man vernichten.

Die Verantwortung liegt bei uns

Ich schrei­be die­sen Text, weil ich glau­be, dass wir nicht nur über Politik spre­chen dür­fen, son­dern auch über Haltung. Und über Menschlichkeit.

Frauke Brosius-Gersdorf ver­dient Schutz. Nicht nur, weil sie fach­lich über jeden Zweifel erha­ben ist. Sondern weil sie mit Würde und Klugheit etwas ver­kör­pert, das vie­le schon ver­lo­ren haben: Anstand im öffent­li­chen Raum.

Wer sie mund­tot machen will, will uns alle mund­tot machen. Und das darf nicht gelingen.

—-

P.S.: Ich wünsch­te, Brosius-Gersdorf wür­de die­sen Sturm durch­ste­hen. Ich fürch­te, dass sie das nicht schafft. Sie wird ver­mut­lich auf das Amt ver­zich­ten. Sie hat in der Sendung bei Markus Lanz gesagt, wor­um es ihr geht. Viele haben nicht zugehört.


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8 Gedanken zu „Was sie ertragen muss – und was uns das über unser Land sagt“

  1. Die Verantwortung liegt bei uns

    Ich füh­le mich nicht ver­ant­wort­lich. Ich habe es weder ver­ur­sacht, noch mitgemacht.

    Was soll ich als ein­zel­ner, unbe­kann­ter Mensch tun?

  2. Sie hat sich nicht bewor­ben, son­dern ist gefragt wor­den. Anders geht es über­haupt nicht.

  3. @Horst Schulte: Befürchte ich auch 🙁
    Das ist nur noch abar­tig, was da alles abläuft und rauskommt!

🧘 In der Ruhe liegt die Kraft.

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