Eine Kritik zu „Suspect: The Shooting of Jean Charles de Menezes“
Der Fall Jean Charles de Menezes ist eine Narbe im Gedächtnis Großbritanniens – und die Channel-4-Miniserie „Suspect: The Shooting of Jean Charles de Menezes“ bringt sie schmerzlich eindringlich wieder zum Vorschein. Doch sie belässt es nicht bei der bloßen Chronologie eines tragischen Irrtums. Nein – sie wagt den schwierigen Blick hinter die Schutzwesten, hinein in die Seelenlage derer, die eigentlich schützen sollten.
Der 27-jährige Brasilianer, von Spezialkräften der Londoner Polizei 2005 in einer fatalen Verwechslung erschossen, wird in dieser Serie nicht zum bloßen Opfer einer überforderten Sicherheitsmaschinerie stilisiert. Vielmehr gelingt es den Machern, die Grauzonen zwischen Pflicht, Panik und persönlichem Versagen zu ergründen – ohne zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist.
Besonders eindrucksvoll ist dabei, wie die emotionale Überforderung der Polizisten in dieser akuten Phase der Terrorangst sichtbar gemacht wird. Nicht als Entschuldigung, sondern als Mahnung. Als Einladung zur Reflexion. Denn die Serie zeigt: Hinter jeder Uniform steht ein Mensch – getrieben von Angst, Pflichtgefühl, aber auch von der Bürde, Entscheidungen in Sekunden zu treffen, die über Leben und Tod entscheiden.
Dabei wird auch die Unzulänglichkeit institutioneller Kommunikation sichtbar. Es sind nicht nur Einzelne, die versagen – es ist ein ganzes System aus Anspannung, Halbwissen und stillschweigender Erwartung, das in der Londoner U-Bahn an jenem Tag zum Kollaps führte. Die Serie inszeniert das nicht reißerisch, sondern mit bitterer Nüchternheit. Das macht sie so kraftvoll.
Besonders hervorzuheben ist die ruhige, fast dokumentarische Ästhetik. Kein Bombast, kein moralisches Aufdröhnen – nur das Geschehen, das sich entfaltet. Die Kamera hält inne, wenn andere Serien längst weitergeschnitten hätten. Sie lässt Raum für Nachdenken. Und das braucht es auch, denn diese Serie verlangt dem Publikum viel ab: Mitgefühl, Empörung, Zweifel.
„Suspect“ ist kein einfacher Stoff – aber ein notwendiger. Eine aufwühlende Auseinandersetzung mit der fatalen Spannung zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Schutzauftrag und Kontrollverlust. Und vor allem: ein Aufruf, den Menschen in der Uniform nicht zu vergessen – aber auch nicht jene, die in ihren Fadenkreuz geraten, weil das System sie im falschen Moment auf die falsche Weise sieht.
Ich habe einige Kritiken zu dieser Serie gelesen, die aus meiner Sicht zu sehr auf die Verfehlung der Polizei abhebt. Ich fand sehr authentisch, als die Polizeibeamten vor einem verstörenden Hintergrund ihren furchtbaren Fehler begingen. Für mich wurden die Angst und die Panik deutlich, mit der die Beamten das vermeintlich Richtige tun sollten. Dass diese Lage in den tragischen Fehler mündete und die Institution Polizei damit furchtbar umgegangen ist, ist auch kennzeichnend für das Verhältnis von Bürger und Bürger in Uniform. Natürlich auch hier in unserem Land.
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