Die Wokeness-​Debatte als Spiegel unserer Gesellschaft

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Antwort auf den heu­ti­gen Post bei gigold​.me:

Woke bedeu­tet am Ende nur, dass ich Achtsamkeit gegen­über Schwächeren zei­ge. Wer damit ein Problem hat, ist halt ein­fach ein Arschloch.

Thomas Gigold

Wokeness – ein Begriff, von der Rechten entkernt und zum Feindbild stilisiert

Es gibt Wörter, die sich wie Tarnkappen durch die Debatten schlei­chen, bis sie plötz­lich in aller Munde sind – aber nie­mand weiß so recht, was sie eigent­lich bedeu­ten. „Woke“ ist so ein Fall: einst ein Begriff für das wache, kri­ti­sche Bewusstsein gegen­über Diskriminierung und gesell­schaft­li­chen Ungleichheiten, heu­te für vie­le ein Schimpfwort, das alles (z. B. Gendern) und nichts meint.

„Woke“ stammt ursprüng­lich aus dem afro­ame­ri­ka­ni­schen Englisch. Seit den 1930er-​Jahren mahn­te der Begriff, wach­sam gegen­über ras­sis­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Missständen zu blei­ben. Mit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er-​Jahre gewann „stay woke“ an Bedeutung: Es war ein Aufruf zur Achtsamkeit, zum genau­en Hinsehen, dort, wo Unrecht zum Alltag gehör­te. Quelle: Bundeszentrale für poli­ti­sche Bildung

Vom Weckruf zur Waffe

Erst mit den 2010er-Jahren schwapp­te der Begriff nach Europa. Was als Ruf nach Gerechtigkeit begann, wur­de bald poli­tisch instru­men­ta­li­siert – wahl­wei­se als Ehrenabzeichen der Linken oder Spottbegriff der Rechten. Wokeness wur­de zum Codewort: für die einen Ausdruck einer angeb­li­chen „Moral-​Diktatur“, für die ande­ren not­wen­di­ge Achtsamkeit gegen­über Schwächeren und Minderheiten.

Die Fronten ver­här­ten sich. „Woke“ wird zum rhe­to­ri­schen Skalpell, mit dem Gegner seziert wer­den – oder zum Knüppel, mit dem man Kritiker nie­der­knüp­pelt. Plötzlich reicht ein biss­chen Achtsamkeit, um als Feindbild zu dienen. 

Warum Mitgefühl polarisiert

Was ist pas­siert, dass „Mitgefühl“ zur Provokation wur­de? Vielleicht, weil das Eingeständnis gesell­schaft­li­cher Schwächen unser Selbstbild kratzt. Vielleicht, weil ech­te Solidarität unbe­quem ist und alte Machtstrukturen erschüt­tert. Wer sich gegen Wokeness empört, will oft nicht weni­ger als die eige­ne Ruhe vor dem schlech­ten Gewissen verteidigen.

Dabei lie­ße sich die Debatte ent­gif­ten, wür­de man „Woke“ wie­der als das begrei­fen, was es ein­mal war: ein Appell an unse­re Menschlichkeit.

Zwischen Empörung und Empathie

Vielleicht ist es ja ganz ein­fach: Wer sich über Wokeness auf­regt, ist kein Arschloch, Herr Gigold. Sie oder er sind ande­rer Meinung als Sie! Für mich sind es sol­che unqua­li­fi­zier­ten Beschimpfungen, die zur Vergiftung unse­rer Debattenkultur bei­tra­gen. Sie wer­den lei­der von man­chen Menschen wie Monstranzen vor sich her­ge­tra­gen und pro­vo­zie­ren auf der ande­ren Seite Leute, die für der­art laut zur Schau gestell­ten Gratismut in Form sol­cher Statements aus ver­schie­dens­ten Gründen kein Ohr frei­ha­ben. Man muss sich die rüde Umgangssprache, die aus dem rech­ten Milieu her­über­schwappt, nicht zuei­gen machen. 

Oder, wie ich es sagen wür­de: Achtsamkeit kos­tet nichts. Deshalb ist es bedau­er­lich, dass die­ser dem Wert Toleranz nahe­ste­hen­de Begriff von vie­len aus Opportunitätsgründen igno­riert bzw. zum Kampfbegriff umfunk­tio­niert wird. Dass Sie, Herr Gigold, sich auf die­se rüde Art dar­an betei­li­gen, ist kri­tik­wür­dig. Diese Einstellung fin­det man heut­zu­ta­ge lei­der über­all. Man will halt poli­tisch kor­rekt sein. Dieses untaug­li­che Mittel kommt uns letzt­lich nur alle teu­er zu stehen.

HS230625


Horst Schulte, Blogger und politisch interessierter Rentner aus dem Rheinland. Schreibt mit Leidenschaft über Gesellschaft, Medien und Zeitgeschehen – pointiert, kritisch und mit Herz.

2 Gedanken zu „Die Wokeness-​Debatte als Spiegel unserer Gesellschaft“

  1. Durch das puber­tä­re Festhalten an Gendersternchen und Co. dis­qua­li­fi­ziert sich die eigent­lich gut gemein­te – ja was nun – Wokeness? zuse­hend. Das ist wie mit den Straßenklebern, eigent­lich gut gemeint, aber doch nicht mutig genug für spek­ta­ku­lä­re Aktionen a la Greenepeace, mach­ten eini­ge weni­ge mit dem Blödsinn die gan­ze Bewegung zunichte. 

    Und so sehe ich das auch mit dem Begriff Woke. Freiheit – Brüderlichkeit – Gleichheit, die Begriffe schei­nen unmo­dern, obschon sie das aus­drü­cken, was im Anglizismenkauderwelsch nie­mand mehr versteht. 

    Kommt dann noch Albernheiten hin­zu, wie Sternchen oder Würgelaute beim Sprechen ob der ver­meint­li­chen poli­ti­schen Korrektheit, hat die eigent­lich gute Sache bereits ver­lo­ren. Ich wage mal eine Prognose: in fünf Jahren weiß nie­mand mehr, was ein Gendersternchen war und man spricht wie Erwachsene, bei­spiels­wei­se von Kolleginnen und Kollegen.

  2. Ich fra­ge mich ja, auf wen sich Gigolds Empathie sonst noch nicht erstre­cken wür­de. Hätte er zum Beispiel Empathie mit Geschäften, die kei­ne Kartenzahlungen anneh­men möch­ten und dafür als Steuerhinterzieher werden.

    Nach Gigolds Dichotomie… äh… „Logik” wür­de ich die­sen Nils Heck defi­ni­tiv eher als Arschloch denn als „woke” betrach­ten. (Aber ande­rer­seits ist Mastercard ein Sponsor von Paymentbanking und dem­entspre­chend muss man denen gegen­über natür­lich unter­wür­figs­te rek­ta­le Höhlenforschung betreiben.)

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Kategorie: Gesellschaft

Schlagworte: Gesellschaftskritik Wokeness

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