Die große Talkshow-Müdigkeit, die keine ist

stroke="currentColor" stroke-width="1.5" stroke-linejoin="round" stroke-linecap="round" /> 4 Kommentare

talkshow umfrage vs quoten

Umfragen behaupten, die Mehrheit der Deutschen wolle keine politischen Talkshows sehen. Die Quoten zeigen jedoch Millionen Zuschauer pro Woche. Ein süffisanter Blick auf die Diskrepanz zwischen Umfragegefühl und Fernsehwirklichkeit.

Es gibt Dinge, die in Deutschland verlässlich sind: der Stau auf der A3, das Wetter an Pfingsten – und Umfragen für alles und nichts. Heute fiel mir eine Umfrage ins Auge, in der wir uns einreden, wir seien der Talkshows überdrüssig. Mich erinnert das an einen alten Werbespot mit Thomas Gottschalk und McDonald’s. Die Älteren unter uns werden sich erinnern.

Laut einer aktuellen Civey-Umfrage schaut die Mehrheit angeblich ungern politische Talkshows. Über 50 Prozent winken ab: „Eher nein“ oder gleich „auf keinen Fall“. Und doch: Woche für Woche sitzen Millionen vor dem Bildschirm, wenn Caren Miosga, Maybrit Illner oder Markus Lanz das Mikro heben. Ich natürlich auch! So manchen Artikel von mir gäbs hier nicht, müssten wir ohne Talkshows auskommen. Gut, dass ich jetzt nicht höre, was ihr denkt.

keine Talkshow Zuschauer
keine Talkshow Zuschauer

Ein klarer Fall von Massenhalluzination? Oder schlicht die alte Wahrheit: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“?

Zwischen Befragung und Fernbedienung

Die Diskrepanz ist grotesk. Da wird in der Umfrage keck angeklickt: „Talkshows? Niemals!“ – und am Donnerstagabend sitzt man dann doch wieder auf dem Sofa, Illner an, Lanz an.

Die Quoten beweisen es: Caren Miosga schafft über 3,8 Millionen im Schnitt, Maybrit Illner liegt bei über 2 Millionen, selbst die Spätformate wie Markus Lanz kommen noch auf fast 1,5 Millionen Zuschauer. So sehr kann das Land seine Abneigung offenbar also nicht ausleben.

Umfragen mit eingebautem Bauchgefühl

Das Problem liegt weniger bei den Talkshows als bei den Umfragen. Online-Panels wie bei Civey liefern schöne Tortendiagramme, die das Bauchgefühl der Teilnehmenden spiegeln – nicht unbedingt ihr Verhalten. Oder sollte ich nicht richtigerweise einfach feststellen: Es ist diese Unaufrichtigkeit vieler Menschen?

Es klingt einfach besser, zu sagen: „Ich sehe mir so etwas nicht an“, als zuzugeben, dass man sich doch wieder den üblichen Schlagabtausch gibt. Der Wunsch, sich abzugrenzen, schlägt die Realität. Und sonderlich ergiebig sind Talkshows schon eher selten. Mich erinnert das immer gleich an Georg Schramms schon jahrealten Vortrag von der emotionalen Pissrinne, also vom Sprechblasenentleeren bei Christiansen1 und Illner.


Solche Umfragen taugen eher als Seismograph fürs Bauchgefühl als fürs Fernsehprogramm. Wer glaubt, Talkshows wären Dauerberieselung, klickt natürlich brav „Nein, auf keinen Fall“. Und dann? Kaum flackert eine Schlagzeile heiß genug, hockt man (ich selbstverständlich auch) wieder vor der Glotze. Man kritisiert jede Sendung, aber konsumiert sie treu wie die Tagesschau. In der Bibel gab’s für diese Sorte Mensch schon ein Label: Pharisäer. Man könnte sagen, der Heiligenschein der Konsequenz ist auch damals schon schief getragen worden.

  1. hat früher mal eine Sonntagabend-Talkshow moderiert ↩︎

Horst Schulte

Herausgeber, Blogger, Amateurfotograf

- alleiniger Autor dieses Blogs -

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

hs010225 a

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


4 Gedanken zu „Die große Talkshow-Müdigkeit, die keine ist“

  1. Die meisten Konsumenten solcher Unterhaltungssendungen – denn nichts anderes sind diese „Polit“-Talkshows – halten den Widerspruch wohl aus zwischen „eigentlich nicht gucken wollen“ und dem „dann eben doch gucken“, weil sie wohl glauben, sie gucjen zu müssen, um auf irgendeinem vermeintlichen „Laufenden“ zu bleiben, was politisch gerade diskutiert wird.

    Fertig ist die perfekte Unterhaltungsblase. Zuschauer glauben zu machen, irgendein Programm aus Gründen gucken zu müssen.

    Dabei ist es, wie gesagt, bloß Unterhaltung durch erzeugte Aufregung in gut gepflegten Empörungsblasen geschickt vorgegebener Themen, und das einzige Maß dabei ist die Einschaltquote.

  2. So eine Umfrage kann man offenbar beliebig interpretieren, nämlich auch so: 60,1 % schauen ständig, gelegentlich oder zumindest ab und zu mal politische Talkshows. Sonst hätten sie nämlich „Nein, auf keinen Fall“ angekreuzt. Das ist jedenfalls näher dran an den Ergebnissen als der Schluss, „die Mehrheit wolle keine Talkshows sehen“.

    Ich bin es soooo leid, überall diese realitätsverzerrenden Click-Bait-Themen zu sehen – reine Lebenszeitverschwendung! (Damit meine ich NICHT deinen Blogpost!)

🌬️ Manchmal ist ein Lächeln die beste Antwort.