Julian Reichelts NIUS präsentiert sich als Aufstand gegen die vermeintlich gleichgeschalteten «Altmedien». Er war Chef von Bild, einem Blatt, das aus meiner Sicht an Schäbigkeit und elenden Inhalten, kaum zu toppen ist.
Schlagzeilen sind hier keine Türöffner zu Informationen, sondern im Sinne dieser Feinde unseres Gemeinwesens eher so etwas wie Fanfarenstöße für einen Kulturkampf, deren parlamentarischer Arm weiter anwächst. Was solche Redaktionen liefern, ist keine neutrale Darstellung, sondern eine Dauererregung, die sich als Widerstand verkauft. Obwohl sie genau diese neutrale Darstellung bei anderen massiv anmahnen und das ohne Unterlass.
Immer, wenn ein Freund oder Bekannter einen Artikel von NIUS teilt, trifft mich das. Wie kann man nur?
Spiegel, FAZ und SZ: Journalismus im Kern
Die klassischen Medienhäuser wie Spiegel, FAZ oder Süddeutsche Zeitung leben von Differenzierung. Auch dort wird zugespitzt, auch dort sind Meinungen präsent – aber eingebettet in Recherche, in überprüfbare Fakten und in ein journalistisches Handwerk, das auf Balance und Transparenz setzt. Kritik an der Regierung? Ja. Polemik als Stilmittel? Eher selten.
NIUS: Meinung statt Maßstab
Bei NIUS dagegen geht es weniger um Erklärung, mehr um Einpeitschen. Schlagzeilen funktionieren wie Boxhiebe, die den Gegner markieren sollen: Politiker, Medien, «die da oben». Eine inhaltliche Tiefe, wie man sie im klassischen Feuilleton oder in einer Leitkolumne erwarten könnte, fehlt fast immer. Es bleibt die Empörung – blankgezogen und in Endlosschleife.
Fallbeispiel ZDF-Reporter: Bühne oder Enthüllung?
Ein besonders typisches Beispiel liefert der Artikel «Zum ersten Mal packt ein ZDF-Reporter …» bei NIUS (ohne Link!). Schon die Wortwahl – «packt aus», «Machenschaften»– ist weniger nüchterne Information als kalkulierte Dramatisierung. Möglich sind solche schäbigen Artikel deshalb, weil der Zeitgeist schon seit einiger Zeit zuungunsten des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks gekippt ist. Vielleicht auch deshalb, weil sich Teile unserer Gesellschaft informationstechnisch von solchen Auswüchsen eines sogenannten Journalismus zu speisen scheinen.
Der Bericht inszeniert eine individuelle Aussage vor einem Parlamentsausschuss als Beweis für ein ganzes Systemversagen. Generalisierung ersetzt hier Analyse. Gegendarstellungen? Fehlanzeige. Der Artikel wirkt wie ein Bühnenstück, das dem Leser eine Rolle zuweist: Zuschauer der Empörung. Klassische Medien würden zumindest den Anspruch formulieren, Belege zu prüfen und Gegenstimmen einzuholen. NIUS dagegen liefert vor allem die Kulisse, auf der das eigene Narrativ aufgeführt wird. Als Nebeneffekt werden die Narrative der AfD und Demokratiefeinde genährt.
Das Geschäftsmodell der Erregung
Wer NIUS liest, bekommt keine Gesellschaftsanalyse, sondern eine Dauerbestätigung eigener Vorurteile. Für mich ist dies das ebenso eigentümliche wie selbstzerstörerische Verhalten einer Leserschaft, die mit ihren Lebensumständen nicht klarkommt und in der Zerstörung des Bestehenden gewissermaßen Heilung sucht. Das unterscheidet das Projekt fundamental von den klassischen Redaktionen, die sich in ihren Fehlern zumindest an journalistischen Standards gebunden fühlen. Reichelt hat sich aus dieser Verantwortung verabschiedet. Sein Produkt ist weniger Presse als Performance.
Demokratie benötigt mehr als Krawall
Gerade im Vergleich zu etablierten Blättern zeigt sich: NIUS ist kein Gegengewicht, sondern ein Zerrbild. Wer Medienvielfalt will, sollte kritische Differenz suchen – nicht den Tunnelblick der Empörung. Journalismus lebt von offenen Fragen, nicht von abgeschlossenen Weltbildern. Die Krawalljournalisten von NIUS haben diese Demokratie satt und sie sammeln sich, um sie umzufirmieren in eine illiberale Version, in der Denkmuster wie die ihren die Oberhand gewinnen.
Nius ist ein furchtbares, rechts-konservatives Krawall-Medium – darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren.
Wo ich aber die Stirn runzle, ist bei der Glorifizierung der klassischen Medien. Dort wäre die Berichterstattung „eingebettet in Recherche, in überprüfbare Fakten und in ein journalistisches Handwerk, das auf Balance und Transparenz setzt“, und es würde der Anspruch formuliert, „Belege zu prüfen und Gegenstimmen einzuholen.“
Tatsächlich? Ist es nicht vielmehr so, dass auch die klassischen Medien gerne einen krachigen Aufmacher bringen, solange die Story in die Blattlinie passt? Dass es dann mit dem Belege prüfen und Gegenstimmen einholen nicht weit her ist, hat der Spiegel in der Relotius-Affäre eindrücklich demonstriert.
@Leopold Ploner: Als Glorifizierung betrachte ich meinen Vergleich mit den anderen Medien nicht. Es gibt allerdings eine Berichterstattung, der ich alles in allem wesentlich mehr vertraue als manchen dieser Krawallblätter. Dazu zähle ich übrigens Focus, Cicero, Tichys Einblick oder die Achse des Guten. Allesamt Rechtsausleger, die in ihrer Einseitigkeit schon echte Alternativen zu den von mir genannten Medien sind. Obwohl ich sie sehr kritisch sehe, lese ich dort. Und manchmal glaube ich selbst, dass sie richtig und die anderen falsch liegen. Reichelts Krawallblatt oder auch die Bild sind für mich nie Informationsquellen gewesen. Ich lehne diese Medien rundweg ab und schätze im Vergleich dazu die anderen.
@Horst Schulte: Da hast Du mich jetzt echt überrascht, das hätte ich nicht gedacht. Ich nehme das mit der „Glorifizierung“ zurück.
Es ist gruselig. Kritik an der Regierung ist wichtig für die Demokratie. Aber NIUS ist Gift für die Demokratie. Und ich frage mich, wie wir das wieder einfangen werden.
@Angela: Es wäre schön, wenn wir solche Medien „einfangen“ könnten. Aber die Meinungsfreiheit hindert uns daran. Die Gerichte würden ein Verbot solcher Hetzpostillen nicht tragen (s. Compact). Ob NIUS als rechtsextrem oder demokratiefeindlich (in Teilen) betrachtet werden muss, darüber besteht im Land einfach keine Einigkeit. Und da jeder seinen Sermon dazu abgeben kann, werden die unterschiedlichen Sichtweisen darauf sich wohl kaum verändern. Wenn die AfD bald übernimmt, weil so viele sich von denen so viel versprechen, wird alles noch viel schlimmer. Dann werden NIUS und Reichelt wohl die Hofberichterstatter der AfD-Führung sein.