Immer wieder wird in politischen Diskussionen auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zum Existenzminimum verwiesen. So auch gestern bei Markus Lanz, wo der Co-Vorsitzende der Linkspartei, Jan van Aken, dieses Argument in die Debatte einbrachte. Natürlich gilt: Urteile des höchsten deutschen Gerichts sind zu respektieren. Doch Respekt bedeutet nicht, dass man sie nicht hinterfragen dürfte. Manche Entscheidungen stammen aus einer Zeit, die unmittelbar von den Erfahrungen der Nachkriegs- und Nachkriegsjustiz geprägt war. Es ist daher legitim zu prüfen, ob die damaligen Maßstäbe noch zur heutigen gesellschaftlichen Realität passen.
Spielräume für Reformen nutzen
Was mich an der immer gleichen Argumentation aus dem „linksgrünen“ Spektrum stört, ist die Tendenz, das Bundesverfassungsgericht wie ein unantastbares Schutzschild gegen nötige Reformen (Migration/Versorgung) zu verwenden. Dabei hat der Gesetzgeber durchaus Spielräume, um das Sozialrecht anzupassen – insbesondere, wenn es darum geht, Missbrauch zu verhindern und den Sozialstaat zukunftsfest zu machen. Dass es Missbrauch gibt, wird von manchen politischen Kräften gerne kleingeredet, obwohl viele Bürgerinnen und Bürger genau damit ihre Alltagserfahrungen machen. Eine ehrliche Debatte müsste anerkennen, dass Schutz vor Armut und die Verantwortung des Einzelnen keine Gegensätze sind. Das gilt sogar für Grundrechte, die in einem völlig anderen zeitlichen Zusammenhang entstanden und damals gut zu begründen waren. Sie heute gleichermaßen als Schutzschild vor nötigen Veränderungen zu nutzen, ist aus meiner Sicht nicht in Ordnung.
Um dem Einwand zuvorzukommen, Gesetze könnten nicht je nach Tagesform oder Kassenlage verändert werden, lohnt ein Blick in die Geschichte. Willy Brandt (Herbert Frahm) etwa fand im Exil keinen Schutz, weil Norwegen damals ein besonders großzügiges Einwanderungsrecht besaß. Er war vielmehr auf die persönliche Hilfe einzelner angewiesen und ging bei seiner Flucht große Risiken ein. Gerade dieses Beispiel zeigt: Rechtslagen sind immer Ausdruck ihrer Zeit – und sie können, ja müssen, sich verändern. Deshalb ist es unredlich, heutige Urteile oder Gesetze als unantastbar darzustellen, als wären sie überzeitliche Naturgesetze. Herr van Aken argumentierte meiner Ansicht nach bei Markus Lanz also ganz falsch.
Mehr Ehrlichkeit in der politischen Debatte
In Talkshows wie „Markus Lanz“ wirkt es mitunter so, als würden einige Politiker eher Schlagworte bedienen, um ihre eigene Klientel zu mobilisieren, statt die komplexen Probleme offen zu diskutieren. Das ist schade, weil es die ohnehin aufgeheizte Debatte um Themen wie das Bürgergeld oder soziale Gerechtigkeit noch weiter polarisiert. Was wir brauchen, ist keine Rhetorik der einfachen Wahrheiten, sondern eine nüchterne Auseinandersetzung: Wo ist das Existenzminimum tatsächlich nicht gesichert? Wo gibt es Fehlanreize? Und wie können wir Solidarität und Eigenverantwortung sinnvoll austarieren?
Das europäische Asylsystem gleicht einer Lotterie um Leben und Tod, um Freiheit und Unterdrückung.
Ruud Koopmans
Höchst interessant fand ich die Informationen, die Ruud Koopmans, Migrationsforscher, zur Sendung beitrug. Vor allem, weil ein Schlaglicht auf angebliche Studien fiel, mit deren Ergebnissen bestimmte Kreise in diesen Diskussionen operieren. Zu der Tatsache, dass über die Hälfte aller Bürgergeld-Empfänger migrantischer Herkunft sind, wies Koopmans u. a. darauf hin, dass diese Realität ein großes Problem sei, an dem man zudem erkennen könne, dass die Migrationspolitik unseres Landes von Dysfunktionalität und mangelnder Bereitschaft geprägt sei, die Dinge im Sinne der Bevölkerung zu ordnen. Das haben in meinen Augen die merkwürdigen Statements von Herrn van Aken bestätigt.
Nur wenn wir uns diesen Fragen stellen, anstatt uns hinter Gerichtsurteilen oder politischen Schlagworten zu verschanzen, kommen wir zu tragfähigen Lösungen, die unserer Gesellschaft wirklich gerecht werden.
Die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zum Existenzminimum verdienen Respekt – dürfen aber nicht als Dogma jede Reform blockieren. Politische Debatten sollten Missbrauchsrisiken anerkennen und ehrlicher geführt werden, statt sich in Schlagworten zu erschöpfen.
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