Thema: Rücktritte

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“So dürfen politische Debatten nicht ausarten”

Diesen Satz sagte Robert Habeck bei der Pressekonferenz, die er anlässlich der Entlassung von Staatssekretär Graichen hielt. Der Jubel der Rechten und Konservativen ist überbordend. Jetzt fordern viele den Kopf Habecks. Mir tut er jetzt fast schon wieder leid.

Ich finde, Habeck hat in der Pressekonferenz die richtigen Worte gefunden. Seine Gegner werden das nicht anerkennen, allein schon deshalb, weil es gedauert hat, bis ihr zweit-sehnlichster Wunsch sich erfüllte.

Dieses Gesetz hat es schwer

Habeck muss den Job nun in aller Eile neu vergeben. Ob das gute Voraussetzungen für die vor ihm liegende Debatten über das Gebäudeenergiegesetz sind? Wohl kaum. Die Opposition, einschließlich der FDP, haben diese Lage als Trumpf im Ärmel.

Es hieß im Rahmen dieser Affäre in den Medien häufig, dass die Blase übersichtlich sei, aus der sich die Leute mit Sachverstand rekrutieren, die in Habecks Ministerium an der Energiewende arbeiten. Dass solche Netzwerke leicht angreifbar sind, haben wir verstanden und vielleicht ist das gut so.

Graichen als Garant für gutes Management

Wer aber kann schon beurteilen, welchen Anteil Graichen am von Habeck mehrfach besonders positiv herausgestellten Management der Krise hatte? Haben wir es wirklich Graichen zu verdanken, dass trotz des ausbleibenden Russland-Gases, keiner frieren musste und es zu keiner Wirtschaftskrise kam? So habe ich den Wirtschaftsminister nämlich verstanden.

Gut, Graichen hat nicht nur einen Fehler gemacht. Wie Habeck sinngemäß selbst sagte, war der neue einer drüber. Er sah sich deshalb genötigt, seinen Spitzenmann in den vorgezogenen Ruhestand zu versetzen. Der Mann ist noch nicht alt und darf sich nun auf Staatskosten ausruhen von seinem Stressjob. Wenn das nicht auch schon wieder Ärger mit den Medien und der Union gibt! Aber – insoweit vertraue ich Habeck -, der wird das schon genau geprüft haben, was er tut und mit welchen Worten er dies “verkauft”.

Eine Wissenschaftlerin als Staatssekretärin?

Es gibt eine Wissenschaftlerin, die mir nicht erst im Kontext mit dem neuen Gesetz aus dem Hause Habeck positiv aufgefallen ist. Sie äußerte sich zuletzt durchaus kritisch über Teile der Ausgestaltung des Gesetzes, ist grundsätzlich allerdings durchaus dabei. Ob Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker (parteilos) mit ihren kritischen Standpunkten ins Team von Habeck passt, sei dahingestellt.

Ich habe sie schon mehrfach in Diskussionen erlebt und sie wäre als Wissenschaftlerin vielleicht gar keine schlechte Alternative zu einem Lobbykämpfer und Funktionärsprofi wie Graichen. Hoffentlich fällt die Wahl nicht auf Leute wie Prof. Kempfert oder Prof. Quaschning (Btw: was sagt Quaschnings Aussage von 2020 über den perspektivischen Einsatz von Wasserstoff wohl aus?). Beider Einseitigkeit überzeugt mich schon seit Langem nicht.

Ob Messari-Becker überhaupt für ein politisches Amt zur Verfügung stehen würde, weiß ich natürlich nicht. Sie war mal im Sachverständigenrat der Bundesregierung und verfügt aber wahrscheinlich nicht über politische Erfahrungen. Ich würde dies nach den Kapriolen im Wirtschaftsministerium von Herrn Graichen allerdings auch nicht behaupten wollen.

Wie viel Zeit hat Habeck?

Irgendeinen neuen Staatssekretär wird es geben. Wie lange es dauert, hängt vielleicht nicht nur von Habeck und seinen Leuten ab. Vielleicht müssen die Irritationen über einen weiteren Staatssekretär im gleichen Ministerium zuerst ausgeräumt werden? Keine gute Zeit für Robert Habeck. Wie gesagt, jetzt tut er mir schon fast ein bisschen leid.

Für Herrn Merz: Wann treten eigentlich folgende CDU/CSU – Leute von ihren Ämtern zurück: Amthor, Scheuer, Klöckner, Spahn – um nur ein paar zu nennen, die mir nicht wegen ihrer Glanzleistungen in den Sinn kamen, sondern… wg. Filz und Korruptionverdachts.

Ein Kapitel der Unvereinbarkeit von Familie und/oder Politik und Beruf

Der “Spiegel” nutzt in “Die Lage am Morgen” die Aussagen zweier Spitzenpolitikerinnen zu ihren Rücktritten, um einen Aspekt herauszustellen. Beide, Frau Anne Spiegel, Grüne, wie Susanne Hennig-Wellsow, Linke, erwähnten im erweiterten Kontext ihrer Rücktritte familiäre Gründe.

Bei Frau Spiegel ging es um den Corona-Stress der Kinder, bei Frau Hennig-Wellsow war es ein achtjähriger Sohn, um den sie sich mehr kümmern möchte. “Spiegel”-Autor Dirk Kurbjuweit vertritt die Meinung, dass beide Frauen die Aspekte der Familie im Grunde missbrauchen, um sich selbst ins rechte Licht zu rücken.

Ich kann gar nicht sagen, wie widerlich ich diese Unterstellung finde!

Beiden Frauen macht Kurbjuweit die konkrete Vorhaltung, dass sie die bekanntermaßen stressigen Jobs unter diesen Voraussetzungen erst gar nicht hätten annehmen dürfen. Im Fall von Frau Spiegel ist dieser Vorwurf vielleicht nicht ganz unbegründet, weil sie von einem Stressjob in einen noch stressigeren als Bundesministerin wechselte.

Kurbjuweit bezeichnet es als hochnotpeinlich, dass er diese privaten Angelegenheiten in seinem Beitrag überhaupt erörtert. Aber dies müsse sein, weil es sich in beiden Fällen ja um Politiker handle und man solche Aussagen daher hinterfragen müsse.

Männer hätten ihre Rücktritte wohl nicht mit solchen Details begründet, könnte man sagen. Dabei gab es auch Rücktritte von männlichen Politikern, die – aber mit anderen Hintergründen – bei denen Familie oder der Ehepartner Gründe waren.

Für mich bleibt die unangenehme Wahrnehmung, dass dieses Hinterfragen des Herrn Kurbjuweit ein immer noch typisch männlicher Reflex ist. Er hätte auch schreiben können: Wer die Hitze nicht verträgt, hat in der Küche nichts verloren. Das ist ein schiefes Bild. Aber auch der Satz wurde von einem männlichen Journalisten geschrieben (wenn auch als Zitat), der den Rücktritt Anne Spiegel kommentierte.

Was das Kirchenrecht hergibt!?

Das ist ja ein Ding. Papst Benedikt war einer von denen, weshalb ein Blogger vor ein paar Jahren uns Katholiken “Kinderfickersekte” genannt hat. Ich war empört. Benedikt hat während seiner Zeit als Kardinal die Hand über seine Schäfchen gehalten. Leider jedoch in einem grottenfalschen Sinn.

Statt die Täter, die Kinderseelen für ihr Leben schwer verletzt, wenn nicht sogar getötet haben, mit allen Mitteln zu verfolgen und sie der weltlichen Staatsanwaltschaft zu übergeben, hat er die Vorgänge vertuscht und dazu beigetragen, dass diese so genannten Priester der katholischen Kirchen auch weiter Kinder missbrauchen konnten. Wie zuvor erwähnt, das liegt schon einige Jahre zurück. Den Namen des Bloggers habe ich vergessen, den deutschen Papst auch.

Zu denen, die immer noch zahlende Mitglieder dieser Institution sind, zählen meine Frau und ich uns trotz all dieser schrecklichen, verabscheuungswürdigen Dinge. Wie müssen sich erst die Menschen fühlen, die in den vielen katholischen Pfarrgemeinden des Landes trotz allem ihrer Arbeit nachgehen und gute Dinge tun? Auf diese schaut jedenfalls, außerhalb der Kirche, seit Jahren kaum noch jemand. Die Skandale beherrschen die öffentlichen Debatten.

Ich übernehme Verantwortung für das Systemversagen einer Institution, wofür ich stehe.

Kardinal Marx im Juni 2021

Dass es Menschen gibt, wie Kardinal Marx, die als Symbol der Verantwortung ihren Rücktritt angeboten haben, ist aller Ehren wert. Daran, dass der amtierende Papst solche Gesten nicht gewürdigt bzw. angenommen hat, ist inzwischen keine Besonderheit mehr. Papst Franziskus legt die von Jesus Christus gepredigte Nachsicht großzügig aus, zu großzügig in den Augen der meisten Menschen.

Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst wurde wegen mangelhafter Amtsführung von seinen Verpflichtungen entbunden. Papst Franziskus hatte wohl Sorge, dass die Öffentlichkeit auf längere Sicht am Verhalten dieses Würdenträgers Anstoß nehmen könnte. Heute ist er Kurienbischof im Vatikan. Die hohen Priester der Katholiken fallen also weich – auch wenn sie massiv gefehlt haben. Dass ausgerechnet ein Mann wie Tebartz-van Elst zuständig für Neukundengewinnung (Neuevangelisierung) ist, klingt für mich wie ein Treppenwitz.

Es gibt weitere Beispiele dafür, dass dieser Papst seinen Biss verloren hat. Wie will die Führungspersönlichkeit die nötigen Akzente setzen, wenn er den wichtigsten Repräsentanten katholischen Kirche Spielräume einräumt wie den hochrangigen Glaubensbrüdern Rainer Maria Woelki oder den Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße? Der Papst nimmt Rücktrittsgesuche nicht an. Ich frage mich, ob auch im Vatikan die Personalknappheit so weit vorangeschritten ist, dass der Papst sich diesen Aderlass nicht leisten könnte? Ich finde, diese Haltung des Vatikans unglaublich und angesichts der Dimensionen, die sich mit diesen Vorgängen verbinden, für indiskutabel und letzten Endes selbstzerstörerisch.

Während der Coronapandemie habe ich keine Kirche besucht. Ich bin nicht stolz darauf. Da wir aber auch aus anderen Gründen ans Haus gebunden sind, habe ich kein schlechtes Gewissen. Ich bin jetzt 68 Jahre alt und es macht für mich immer noch wenig Sinn einfach aus der Kirche auszutreten. Aber die Handlungen vieler der aktuellen Würdenträger meiner Kirche, einschließlich der Päpste, sprechen dafür, dass die Institution sich auf einem Pfad befindet, der geradewegs in ihren Untergang führen wird.

Was hätte man erwarten dürfen, nachdem vor Jahren die schrecklichen Missbrauchsvorfälle der Öffentlichkeit bekannt wurden? Dabei war es schon ein riesiger und unverzeihlicher Mangel, dass sich die Verantwortlichen bis zur Öffentlichwerdung dieser Verbrechen bedeckt hielten. Leider legt dieses Verhalten, das – man muss es so brutal sagen – bis heute andauert, offensichtlich im System. Diese alten Männer (Sorry für das Klischee) haben nicht die Kraft, die dringend nötige Erneuerung der katholischen Kirche voranzutreiben. Wahrscheinlich denken sie, dass es weltweit immer noch genug Gläubige gibt, so dass der Aderlass in einigen Ländern der Erde ohne Weiteres verkraftbar ist. Anders als so lässt sich diese unglaubliche Ignoranz der Führung meiner Kirche gar nicht erklären.

Selbst die Bitte um Entschuldigung ist für viele schon zu viel

Klar, noch ist nicht aller Tage Abend. Dass Politiker für gemachte Fehler und Schlimmeres nicht zurücktreten, scheint sich international immer stärker auszubreiten.

Bundeskanzler Kurz war die Ausnahme und es hat gedauert. Vor Trumps Abschied aus dem Präsidentenamt hörten wir ständig davon, dass er gleich danach mit einer Verhaftung rechnen müsse. Gründe dafür gab es einige. Davon ist nichts mehr zu hören. Nicht einmal dafür, dass er seine fragwürdigste Klientel (gewaltbereite Durchgeknallte von QAnon oder den rechtsradikalen Proud Boys) dazu aufforderte, das Kapitol einzunehmen, führte nicht zu strafrechtlichen Maßnahmen gegen Trump.

Der deutsche Ex-Verkehrsminister, Andreas Scheuer, wurde für seine gute Arbeit nicht ersetzt. Ich vermute, Merkel fehlte die Energie, sich in den letzten Monaten ihrer Amtszeit mit der CSU anzulegen. Der Untersuchungsausschuss war in dieser Beziehung nicht erfolgreich, wenngleich die federführenden Politiker der Opposition glaubten, ihren Stich gemacht zu haben.

Nun ist es einmal wieder der britische Premier Boris Johnson. Er steht gewaltig unter Druck, weil er an einer Party in 10 Downing Street teilgenommen hatte. Diese Party fand just im Mai 2020 statt, zu dem Zeitpunkt also, als in Großbritannien ein sehr strenger Lockdown mit ausgeprägten Kontaktverboten vorherrschte. Es war bemerkenswert und an Peinlichkeit kaum zu überbieten, als Boris Johnson im britischen Parlament seine Anwesenheit damit erklärte, dass er die Veranstaltung nicht für eine Party, sondern für ein Arbeitsessen gehalten hätte. Er macht keine Anstalten zu gehen. Nun setzen Teile der britischen Öffentlichkeit darauf, dass die Tories ihm die Unterstützung versagen werden.

Dabei werden es viele Briten auch ziemlich satthaben, unter den Folgen des über lausige Lügen u.a. dieses Premiers und seiner Spannmänner erreichte Brexit zu leiden.

Ist es nicht irre, was solche demokratisch gewählten Politiker ihrem Souverän antun? Aber wir haben schließlich gelernt, wer der Souverän in Wahrheit ist. Das sind nämlich die, die einen Ausnahmezustand (siehe Corona) ausrufen können. Das Volk ist es also nicht. Nun hat die Ohnmacht während dieser schlimmen beiden letzten Jahre diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse gebracht. Es war einfach immer so.

Und weil das immer mehr Leuten gegen den Strich geht, werden wir uns auf harte Diskussionen darüber einstellen müssen, wie wir unsere Demokratien vor dem Zugriff großkotziger Selbstermächtiger wehren können. Das Schlimmste, was uns in diesem Zusammenhang passieren konnte, war die Pandemie. Sie hat die Wirklichkeit der Machtverhältnisse in Demokratien in einer Form deutlich gemacht, die vielen Menschen im Land inakzeptabel scheint. Ich bin nicht auf ihrer Seite! Im Gegenteil.

Wir laufen Gefahr, das, was wir uns unter Demokratie vorgestellt haben, zu verlieren, wenn wir, die stillen Teile unserer Bevölkerung, uns nicht mehr engagieren und so dafür sorgen, dass die Dinge in Gang kommen, die wirklich auf die Agenda gehören. Leute wie den Kommunikations- und Führungsverweigerer, Bundeskanzler Olaf Scholz, braucht Deutschland eher nicht. So kann er nicht weitermachen, oder es wird nach einer sehr langen, nun die kürzeste Regierungszeit ever dabei herauskommen.

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