Im Jahr 1980 starb mein erster Chef. Er litt an Magenkrebs, schon seit Jahren. Ob es einen Zusammenhang mit dem Konkurs des Familienunternehmens gab, in dem er mit Herzblut gewirkt hatte â ich weiĂ es nicht. Aber mein GefĂŒhl sagte mir damals: Die seelischen Wunden, die dieser Verlust riss, waren tief. Tiefer vielleicht als jene, die ein Arzt je diagnostizieren könnte.
Viele Jahre spĂ€ter verstarb der langjĂ€hrige Chef meiner Frau. Ăber drei Jahrzehnte hatte sie als VerkĂ€uferin in seinem Modehaus gearbeitet. Auch dieses Unternehmen musste aufgeben. Auch hier ein Zusammenbruch, der nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eine menschliche Tragödie war. Denn mit dem Untergang solcher Betriebe brechen oft nicht nur Existenzen weg, sondern auch LebensentwĂŒrfe â bei Unternehmern ebenso wie bei ihren Mitarbeitenden und deren Familien.
Wenn ich an das Unternehmertum in Deutschland denke, kommt mir unweigerlich Wolfgang Grupp in den Sinn â der streitbare, wortgewaltige Chef von Trigema. Eine Persönlichkeit, die polarisiert. Ein Mann, der oft laut war, wo andere flĂŒsterten. Der klare Kante zeigte, wo andere sich duckten. Manchmal wirkte er auf mich unduldsam, fast herrisch â und ich fragte mich bei mancher Talkshow: Wie mag das Klima in seiner Firma wohl sein?
Doch fest steht: Grupp lebte sein Unternehmen. Er atmete seine Firma, seine Verantwortung â Tag fĂŒr Tag. Und wenn heute seine Kinder Trigema weiterfĂŒhren, dann ĂŒbernahmen sie nicht nur ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen, sondern auch ein Erbe, das mit viel persönlicher Hingabe aufgebaut wurde.
Heute las ich, dass Wolfgang Grupp schwer erkrankt ist. Altersdepression. ZunĂ€chst war nur von âUnruheâ die Rede. Dann die schockierende Wahrheit: Er habe versucht, sich das Leben zu nehmen. Ein Mann, der so viel getragen hat, zerbrach vielleicht an der Leere nach dem letzten Arbeitstag. An dem, was bleibt, wenn das Lebenswerk weiterzieht â ohne einen selbst.
Ein Freund sagte mir vor vielen Jahren einmal, ich wĂŒrde mich zu sehr ĂŒber meinen Beruf definieren. Und ja â er hatte recht. Ich war leidenschaftlich, manchmal zu sehr. Ich konnte schwer loslassen, redete oft und gerne ĂŒber âdie Arbeitâ. Es gibt solche Menschen. Die, die sich freuen, wenn der Urlaub endet und sie wieder âans Werkâ dĂŒrfen. Heute, im Zeitalter der Work-Life-Balance, wirkt das fast wie ein Anachronismus â oder einfach wie eine liebevolle Ăbertreibung.
Doch auch ich habe gelernt: Wir sind alle ersetzbar. Und ja â es gibt Dinge, die wichtiger sind als Arbeit. Liebe. Freundschaft. Gesundheit. Stille.
Und dennoch: Ich habe Menschen wie Wolfgang Grupp immer bewundert. Nicht wegen ihrer LautstĂ€rke. Sondern wegen ihres VerantwortungsgefĂŒhls. Ihrer Konsequenz. Ihrer Bereitschaft, sich dem Leben â und dem Scheitern â zu stellen. Verantwortung war fĂŒr ihn kein schönes Wort aus einem Handbuch, sondern tĂ€glicher Anspruch an sich selbst.
Es tut mir leid, dass dieser Mann, der so viel geleistet und getragen hat, nun an einer Krankheit leidet, die unsichtbar ist und doch so zerstörerisch sein kann. Es macht mich traurig, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah.
Und es lĂ€sst mich zurĂŒck mit einer gewissen Scham. Denn ich erinnere mich an all die pauschalen VorwĂŒrfe, die ich wĂ€hrend meines Berufslebens gegenĂŒber Managern und Unternehmern ausgesprochen habe â oft vorschnell, oft hart, selten differenziert.
Vielleicht hÀtte ich öfter hingeschaut, mehr verstanden, leiser geurteilt.