Das gibts nur im Film

Gegenseitig über­schrie­en hat man sich auch schon 1968, in den 70ern oder 90er Jahren. Haben wir das vergessen?

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Wenn die Streitereien in vie­len Ländern beson­ders auf­fal­len, redet man in den Medien von den Gefahren der Polarisierung der Gesellschaften und beklagt die Verrohung der Sprache. Rettungssanitäter, Ärzte, Polizisten und Vertreter ande­rer Institutionen wer­den ange­grif­fen oder beschimpft. Etwas ist aus den Fugen geraten. 

Gestern habe ich eine wei­te­re Folge der 5. Staffel der Historienserie „Poldark” gese­hen (zu emp­feh­len für Fans roman­ti­scher Historienfilme). Inzwischen ken­ne ich alle Charaktere und deren Temperamente ganz gut. Wir sind inzwi­schen im Jahr 1800. Sozialen Spannungen erle­ben eine Hochzeit. Der Adel ist immer noch in Sorge vor den Folgen der fran­zö­si­schen Revolution und führt ein restrik­ti­ves Regime. Die Sklaverei ist noch nicht abge­schafft. Das pas­sier­te in England erst 1807. 

Es fin­det eine abend­li­che Gesellschaft statt zu der aus­schließ­lich hoch­ge­stell­te Menschen Persönlichkeiten mit Begleitung ein­ge­la­den wur­den. Auch in die­ser Gesellschaft gilt Blasiertheit zum guten Ton. 

Die Ehefrau eines inzwi­schen von der Regierung ver­folg­ten ehe­ma­li­gen hohen Beamten ist schwarz. Einer der Anwesenden, ein ange­se­he­ner Arzt in vor­ge­rück­tem Alter, belei­digt die Frau auf scham­lo­se Art und Weise. 

Der pein­li­che und für eini­ge der anwe­sen­den kaum erträg­li­che Zwischenfall wird inter­es­san­ter­wei­se mit iro­ni­schen, spitz­zün­gi­gen Bemerkungen „über­spielt”. Der Urheber der Beleidigung wur­de nicht „raus­ge­schmis­sen”. Heute dürf­te dies wohl die unver­meid­li­che Konsequenz eines sol­chen Eklats sein. Die Lage ist für einen Moment sehr ange­spannt, aber sie eska­liert nicht. 

Ich fand das bemer­kens­wert, weil eine Gesellschaft in ähn­li­cher oder ver­gleich­ba­rer Situation heu­te ver­mut­lich gesprengt würde. 

Derjenige, der sich einen sol­chen ras­sis­ti­schen Ausfall erlau­ben wür­de, wäre heu­te gelie­fert. Oder gin­gen wir dar­über hin­weg, wenn der gesell­schaft­li­che Rahmen Zurückhaltung nahe­le­gen könn­te? Vielleicht sind Vorgesetzte oder Personen anwe­send, vor denen man sich lie­ber nicht expo­nie­ren möchte?

Waren uns die Briten mit ihren (heu­te jeden­falls) anti­quiert wir­ken­den gesell­schaft­li­chen Regeln und Feinheiten in die­ser Hinsicht nicht weit vor­aus? Das fand zu Beginn des 19. Jahrhunderts statt. Man pfleg­te mit­ein­an­der einen viel­leicht etwas künst­li­chen wir­ken­den, dafür aber schon zivi­li­sier­ten Umgang. 

2019 lesen wir, trennt das Brexit-​Thema gan­ze Familien und ehe­mals gute Freunde. 

Ist nicht doch was dran, dass unse­re Einstellung, unser Erfülltsein von einem Sinn für poli­ti­sche Korrektheit längst aus­geu­fert ist und unse­re „ganz nor­ma­le” zwi­schen­mensch­li­che Kommunikation zu behindern? 

Bevor jemand Schnappatmung bekommt: Man muss Rassisten oder Antisemiten mit kla­rer Kante begeg­nen. Generell muss es aber aus mei­ner Sicht unser Ziel blei­ben, den Gesprächsfaden nicht abrei­ßen zu las­sen. Und das scheint (s. Lucke, Lindner, de Maiziere) nicht mehr zu funk­tio­nie­ren. Da passt das fast 220 Jahre alte Beispiel aus „Poldark” doch ganz gut.


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