Wir haben gewählt und wählen nicht mehr!

Wenn sich viele Deutsche mit Bratwurst, alternativ mit Kaffee und Kuchen zum Impfen animieren lassen, mag ich mir nicht ausmalen, welche trivialen Gründe viele haben, irgendwo ihr Kreuzchen auf dem Wahlschein zu machen.

Irgendein Schlaumeier begründete dieses lächerliche Verhalten (das mit der Bratwurst!) damit, dass nur derjenige diese Handlungsweise kritisieren könne, der Armut aus eigener Erfahrung kenne. Das soll auch heißen, dass sich viele Leute schon so krass in ihrer Armut eingerichtet hätten, dass sie reflexartig reagieren, um ein paar milde Gaben abzugreifen?

Abgesehen mal davon, erinnert mich das an das Bild von der Möhre, die man dem Esel vor die Nase bindet, um ihn anzuspornen, wenigstens ein paar Meter zu laufen.

Tarnen sich Impfskeptiker als arm und lassen sich am Ende doch durch ein paar Euro oder eine warme Mahlzeit “überzeugen”? Wir wären so was von im Arsch! Mich erinnert das auch an die wahnwitzigen Aussagen einiger Aktivisten, die Weißen das Recht absprechen überhaupt nur über Rassismus zu reden. Grund: Sie als Weiße haben ja Zeit ihres Lebens keinerlei Erfahrungen mit Rassismus gemacht. Lesen wir es positiv: Die Kartoffel ist durch und durch rassistisch, weiß es aber gar nicht.

Ich gehe dieses Jahr zum ersten Mal nicht wählen, meine Frau auch nicht. Wir haben noch immer brav unsere Kreuzchen auf den Stimmzetteln gemacht und uns – anders als viele andere, mit der Abwägung der jeweils vorhandenen Alternativen buchstäblich herumgequält. Mal haben “wir” gewonnen, mal verloren. Als Traditionswähler der SPD ist die Bilanz sehr mau.

Unsere Entscheidung hat nicht nur damit zu tun, dass wir das Personal der überhaupt infrage kommenden Parteien nicht überzeugend finden, auch nichts mit den Parteiprogrammen, die ich zum Teil tatsächlich gelesen habe. Danach müsste ich die Grünen wählen.

Uns hat das sich entwickelnde gesellschaftliche Klima bewogen, unsere Entscheidung zu treffen, vorerst nicht mehr zur Wahl zu gehen. Ich bin über die Erfahrungen der letzten Jahre zum Misanthropen avanciert. Meine Standpunkte sind zu allen möglichen wichtigen Fragen ambivalent. Ich könnte es auch so ausdrücken, dass mich die Argumente in allen möglichen Fragen nicht mehr überzeugen. Meine Skepsis wächst fast so schnell wie meine Ungeduld. Mein Vertrauen in das, was Politik macht, war schon lange angeknackst. Jetzt ist es verbraucht.

Es war vielleicht immer so, dass Politiker einen äußerst begrenzten Horizont haben. Aber richtig schmerzhaft hat sich das während Corona und davor bereits auf dem Feld des Klimawandels gezeigt. Dagegen scheinen Gerechtigkeitsdebatten, Sozialstaatsoffensiven oder die so dringend nötige Rentenreform noch die kleineren Probleme. Seit den 1970-er Jahren wussten wir, dass die demografische Entwicklung unser Rentensystem überfordern wird. Fünfzig Jahre später flickschustert die Politik weiter am System herum.

Der Club of Rome hat Anfang der 1970-er Jahre, begleitet und gefolgt von Appellen einer wachsenden Zahl von Wissenschaftlern in den zurückliegenden Jahrzehnten vor dem Klimawandel bzw. der Ressourcenverschwendung durch die Menschheit gewarnt und Korrekturen gefordert. Die Politik war nicht imstande, die nötigen Schritte durchzuführen. Gar nicht mal deshalb, weil das Verantwortungsbewusstsein nicht vorhanden gewesen wäre oder die nötige Einsicht gefehlt hätte. Nein, man wollte ja Wahlen gewinnen, damit man zunächst einmal die erforderlichen Optionen (Gestaltungsmacht) in die Hand bekäme.

Viel schlimmer als das politische Versagen beurteile ich aber die manipulative Kraft der Medien, die sich seitdem das Internet eine Rolle in Informationsbeschaffung und in der Kommunikation spielt, zu einem gefährlichen und mächtigen, vor allem in Teilen verantwortungslosen Akteur innerhalb unserer Gesellschaften entwickelt hat.

Man darf es lächerlich finden, dass ausgerechnet unsere Medien darüber klagen, dass der laufende Bundestagswahlkampf von oberflächlichen Dingen (Lebensläufe, falsche Zitate, fehlende Quellenangaben, falsche Abrechnungen und dgl.) bestimmt wird. Wer prägt denn mit unzähligen Beiträgen und Berichten die Debatten im Land? Welchen Anteil an der Verwirrung dieser Gesellschaft haben wohl die Medien zu verantworten, nicht die Politik? Selbst im WDR Regionalfernsehen werden ständig die gleichen Themen aufgemacht. Es wird kaum über politische Themen berichtet, sondern fast nur über solche, die möglichst emotionale Wirkungen bei den Zuschauern versprechen. Das ist zum Kotzen, und ich stelle mir unter diese Art von Plattheiten in Dauerschleife nicht das vor, was der mit unseren Gebühren teuer bezahlte Auftrag der Rundfunkanstalten ist.

Ich wähle nicht mehr. Die Ammenmärchen, dass meine Stimme radikalen Parteien zugutekäme, mögt ihr bitte stecken lassen. Wahr ist vielmehr, dass Nichtwählerstimmen aus schlichten Gründen der Mathematik den großen Parteien zugutekommen, nicht irgendwelchen Rechts- oder Linksextremen. Insofern verhält es sich nicht anders, als bei der Abgabe von ungültigen Stimmen. In unserer Demokratie gibt es das Wahlrecht aber keine Wahlpflicht. Das ist gut und meine Frau und ich machen unserem Frust Luft und sagen: DAS WAR’S. Wir haben genug von diesem Mist, dem Unvermögen und den Lügen, über die wir viel zu lange hinweggesehen haben.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Kategorie: Gesellschaft

Schlagworte: Politiker Wahlen Wahlkampf

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