Die Saat im Kopf: Verschwörung als Kino, Glaube und Gesellschaftsbild

Es ist eine Tatsache, dass zahl­rei­che Filme und Serien – vie­le davon aus den Vereinigten Staaten – über Jahrzehnte hin­weg im Kino und im Fernsehen Verschwörungstheorien the­ma­ti­sier­ten. Daher ist es nicht ver­wun­der­lich, dass vie­le Menschen bereit sind, selbst abwe­gigs­te Narrative für bare Münze zu nehmen.

Was einst als fes­seln­de Fiktion auf der Leinwand fla­cker­te – vom „JFK“-Attentat über „Die Unbestechlichen“ bis hin zu düs­te­ren Visionen wie „Matrix“ oder „They Live“ – ist in vie­len Köpfen längst zum inne­ren Dokumentarfilm gewor­den. Die Grenzen zwi­schen Dichtung und Wirklichkeit ver­schwim­men, wenn das Misstrauen gegen­über „den Mächtigen“ durch jede Szene geölt und geschärft wird.

Kino als Vorbereitung auf Misstrauen

Der Film war immer schon eine mäch­ti­ge Form kol­lek­ti­ver Imagination. Er erzählt nicht nur Geschichten – er trai­niert unse­re Emotionen. Er lässt uns für eine Weile in einer Welt leben, in der der Präsident lügt, das Militär ver­tuscht, die Geheimdienste ohne­hin und die Medien mani­pu­lie­ren und eine klei­ne, muti­ge Figur die Wahrheit ans Licht bringt. Immer wie­der. Immer mit gro­ßem Pathos. Darin sind die Amis echt gut. Egal, wer da gera­de regiert.

Das hin­ter­lässt Spuren. Psychologisch gese­hen ist unser Gehirn nicht beson­ders gut dar­in, zwi­schen Fiktion und Realität zu tren­nen, wenn die Geschichte gut erzählt ist. Das erle­ben wir in ganz neu­en Dimensionen, wenn wir uns die Entwicklung und die Vereinnahmung von KI-​Tools und ihren Möglichkeiten anschauen. 

Und Hollywood ver­steht es meis­ter­haft, gewis­se Urbilder zu bedie­nen: Gut gegen Böse, David gegen Goliath, Wahrheit gegen System. Je öfter wir die­se Narrative kon­su­mie­ren, des­to stär­ker prägt sich die Idee ein, dass hin­ter der sicht­ba­ren Welt noch etwas Unsichtbares lau­ert – und (womög­lich), dass es unse­re Aufgabe sei, es zu entlarven.

Die Psychologie der Verschwörung

Der Mensch liebt Ordnung. Er liebt Erklärungen. Und er ver­ab­scheut den Zufall – beson­ders dann, wenn er schmerz­haft oder unge­recht erscheint. Der plötz­li­che Tod eines Politikers, eine glo­ba­le Pandemie, eine Häufung von Todesfällen nach Impfungen, der Zusammenbruch eines Bankensystems: All das schreit in uns nach einem Schuldigen, nach einem Plan.

Verschwörungstheorien bie­ten ein­fa­che Antworten in einer kom­ple­xen Welt. Das ist kei­ne so neue Erkenntnis. Wir soll­ten die­sen Selbstschutz mit unkon­trol­lier­tem Einfluss im Griff und Präsentation und Wirkung von Lügen im Internet längst durch­schaut haben. Stattdessen wächst die Angst vor dem Einfluss von KI. Wirksame Methoden gegen Lug und Trug sind bekannt aber bis­lang unzu­rei­chend aus­ge­prägt. Ein Perpetuum Mobile unse­rer Zeit.

Wer glaubt, dass „die da oben“ alles steu­ern, der fühlt sich para­do­xer­wei­se weni­ger ohn­mäch­tig als jemand, der aner­ken­nen muss: Das Leben ist chao­tisch. Ungerecht. Und manch­mal ein­fach nur absurd.

Hinzu kommt etwas, das wir alle – bewusst oder unbe­wusst – stän­dig tun: Wir glau­ben lie­ber das, was zu unse­rer Meinung passt. Wenn dann ein Film läuft, der unser Misstrauen bestä­tigt und uns sug­ge­riert, dass hin­ter allem eine gehei­me Wahrheit steckt, nicken wir inner­lich zustim­mend. Und irgend­wann viel­leicht sogar ganz offen.

Eine Kultur des Misstrauens

So wun­dert es nicht, dass wir heu­te in einer Gesellschaft leben, in der vie­le Menschen „den Medien“ nicht mehr glau­ben, aber jedem YouTube- oder TikTok-​Video mit dra­ma­ti­scher Musik und einem fins­te­ren Voiceover sofort Gehör schen­ken. Die Saat ist längst aufgegangen.

Die Filme waren dabei kein bös­wil­li­ges Werkzeug – sie waren Spiegel, Seismograph und manch­mal auch Ventil. Aber sie haben etwas frei­ge­setzt, was sich schwer ein­fan­gen lässt: die Vorstellung, dass nichts ist, wie es scheint. Und dass jeder, der wider­spricht, Teil des Spiels ist.

Was tun?

Vielleicht soll­ten wir anfan­gen, unse­re Geschichten wie­der dif­fe­ren­zier­ter zu erzäh­len. Weniger Held, weni­ger Bösewicht. Mehr Zweifel, mehr Widerspruch – und ja, auch mehr Demut vor der Komplexität der Welt.

Denn nicht jede Wahrheit ist spek­ta­ku­lär. Und nicht jede Lüge kommt mit Sonnenbrille und schwar­zen Limousinen.


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