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Zwischen Würde und Wirklichkeit: Über Scheinheiligkeit in der Abtreibungsdebatte

Die bevor­ste­hen­de Berufung von Frauke Brosius-Gersdorf an das Bundesverfassungsgericht, die von der CDU mit­ge­tra­gen wird, hat eine poli­ti­sche Welle aus­ge­löst. Ginge es nach Reichelt (NIUS) und sei­nen rech­ten Mitläufern, wür­de die Frau ver­mut­lich geteert und gefe­dert. Schließlich sehen sie in Frau Brosius-Gersdorf eine lin­ke Zumutung für ihre eige­ne ach so men­schen­freund­li­che Gesinnung. Dabei bewei­sen sie durch ihre Äußerungen eine gren­zen­lo­se Verachtung für alles Linke und dar­über hin­aus für alles, was sie nicht mögen. Sie tun das laut und immer und immer wie­der. Man möch­te im Strahl kotzen.

Besonders aus die­sem rech­ten Spektrum kommt – wenig über­ra­schend – die­se mas­si­ve Kritik: Die Professorin soll mit ihrer Position zur Menschenwürde angeb­lich das Lebensrecht unge­bo­re­ner Kinder rela­ti­vie­ren. Hinter der Empörung steckt eine Frage, die weit über die Aufregung einer ver­meint­lich fal­schen Personalpolitik hin­aus­reicht: Wie kon­se­quent ver­tre­ten die Kritiker ihre Position selbst – und was folgt dar­aus für das Abtreibungsrecht in Deutschland?

Was Brosius-Gersdorf tatsächlich sagt

Brosius-Gersdorf, Juristin mit ver­fas­sungs­recht­li­chem Schwerpunkt, ver­tritt in einem Fachaufsatz die Ansicht, dass die Menschenwürde nach dem Grundgesetz nicht auto­ma­tisch jedem biologisch-​menschlichen Leben zukom­me. Ihrer Einschätzung nach beginnt die Würde mit der Geburt, nicht mit der blo­ßen Existenz mensch­li­cher Zellen.

Damit wen­det sie sich gegen die bis­he­ri­ge Linie des Bundesverfassungsgerichts, das 1993 ent­schied, dass auch das unge­bo­re­ne Leben Menschenwürde im Sinne von Artikel 1 GG genie­ße – wenn auch nicht abso­lut, son­dern abwäg­bar im Spannungsfeld mit dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter.

Die Entrüstung von rechts – ein logisches Eigentor?

Gerade kon­ser­va­ti­ve und rech­te Stimmen wer­fen Brosius-Gersdorf nun vor, mit die­ser Auffassung das Recht auf Leben aus­zu­höh­len. Doch schaut man genau­er hin, ist ihre Position kei­nes­wegs radi­kal oder neu. Sie spie­gelt viel­mehr eine Debatte wider, die seit Jahrzehnten unter Verfassungsjuristen geführt wird – offen, argu­men­ta­tiv und ohne mora­li­schen Alarmismus. Da war NIUS noch nicht invol­viert, auch nicht die Dauerempörten des rechts­extre­men Lagers.

Viel span­nen­der ist die Gegenfrage: Wenn man über­zeugt ist, dass jedes mensch­li­che Leben ab Empfängnis unter dem abso­lu­ten Schutz der Menschenwürde steht – was folgt dar­aus? Wer die­sen Standpunkt ernst meint, muss eigent­lich zu dem Schluss kom­men, dass jede Form von Schwangerschaftsabbruch – selbst in den ers­ten Wochen – ver­fas­sungs­wid­rig wäre.

Abtreibung: Entkriminalisiert oder nur geduldet?

Das deut­sche Abtreibungsrecht – so unein­deu­tig es oft wahr­ge­nom­men wird – ist tat­säch­lich ein rechts­po­li­ti­scher Spagat: Nach §218 StGB ist der Schwangerschaftsabbruch grund­sätz­lich rechts­wid­rig, wird aber unter bestimm­ten Voraussetzungen (Beratung, Frist) nicht bestraft. Dieses Konstrukt nennt sich „indi­ka­ti­ons­un­ab­hän­gi­ge Straflosigkeit”.

Brosius-Gersdorf kri­ti­siert die­ses Spannungsverhältnis nicht aus Beliebigkeit, son­dern mit dem Ziel, es ver­fas­sungs­lo­gisch zu klä­ren. Wenn der Gesetzgeber den Schutz des unge­bo­re­nen Lebens nicht mehr über das Strafrecht durch­set­zen will, müs­se man das auch im Grundgesetz deut­lich machen – etwa durch eine Neubewertung der Menschenwürdefrage. Das ist unbe­quem, kom­pli­ziert, aber juris­tisch sauber.

Moral ohne Gesetz – oder Gesetz ohne Moral?

Die Gegner Brosius-Gersdorfs tun so, als sei das gel­ten­de Abtreibungsrecht eine unum­stöß­li­che Säule. Dabei kri­ti­sie­ren sie es selbst oft genug als zu libe­ral. Wer aber gleich­zei­tig an der abso­lu­ten Schutzwürdigkeit des Embryos fest­hält und jede Einschränkung des Lebensrechts skan­da­li­siert, muss die logi­sche Konsequenz zie­hen – und ein kom­plet­tes Abtreibungsverbot for­dern. Alles ande­re wäre mora­lisch inkonsequent.

Doch das wäre poli­tisch und gesell­schaft­lich kaum durch­setz­bar. Deshalb lebt die Debatte oft von einem gewis­sen Schattenboxen, bei dem recht­li­che Grauzonen als ethi­sche Endgültigkeiten ver­kauft werden.

Was bedeutet das für den Rechtsstaat?

Die Berufung einer Richterin, die bestehen­de Dogmen hin­ter­fragt, soll­te kein Skandal sein – son­dern ein Zeichen für den leben­di­gen Verfassungsdiskurs. Brosius-Gersdorf stellt unbe­que­me Fragen. Ihre Antwort auf das Dilemma zwi­schen Lebensschutz und Selbstbestimmung ist juris­tisch dif­fe­ren­ziert – man muss ihr nicht zustim­men, aber man soll­te ihr zuhören.

Denn in Wahrheit bleibt die Menschenwürde ein Begriff, der uns zwingt, uns selbst zu befra­gen – nicht nur ande­re zu ver­ur­tei­len.

Wie NIUS und ande­re rech­te Medien mit dem Thema umge­hen, zeugt nicht nur von gro­ßer mensch­li­cher Schäbigkeit und Verderbtheit. 

Die Unterstützung ihrer Kandidatur durch die Linkspartei ruft wie selbst­ver­ständ­lich die übli­chen Reflexe der Rechten her­vor. Vielleicht soll­ten die sich mal die Altersstruktur der im Bundestag ver­tre­te­nen Abgeordneten der Linkspartei anschau­en. Sie ist die nach dem Altersdurchschnitt die jüngs­te Fraktion im Bundestag. Der Altersdurchschnitt lag 2022 bei etwa 42 Jahren. Die Altkommunisten von damals mag man von mir aus als Mauerschützen dis­kre­di­tie­ren. Dies über die heu­ti­gen Abgeordneten der Linkspartei zu sagen, ist völ­lig bekloppt. Aber das Beklopptsein ist ja seit jeher Programm im Hause Reichelt. 

Ja, da sind noch Personen mit Wurzeln in der DDR dabei – aber das sind eher Raritäten, kei­ne Mehrheit.


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4 Gedanken zu „Zwischen Würde und Wirklichkeit: Über Scheinheiligkeit in der Abtreibungsdebatte“

  1. Wenn Männer schwan­ger wür­den, wür­den wir die­se Diskussion nicht füh­ren. Kein Mann lie­ße sich von ande­ren vor­schrei­ben, ob ein Eingriff in sei­nen Körper gemacht wür­de oder nicht. 

    Der letz­te, der auch nur im ent­fern­tes­ten etwas dazu sagen dürf­te, ist ein Mann, der nun so gar nichts mit Frauen oder gar Kindern am Hut hat. Jens Spahn ließ am 2018 am lau­tes­ten ver­neh­men, dass er gegen die Abschaffung des § 218 sei. Seitdem kann ich Spahn kaum noch ernst nehmen.

  2. Es gibt bei die­ser Diskussion meist 3 Zeitpunkte, bei denen Menschenwürde und Abtreibung dis­ku­tiert wird. Der reli­giö­se Standpunkt wäre, dass die Menschenwürde mit der Empfängnis beginnt und daher kei­ne Abtreibung ver­tret­bar sei. Unser Rechtsstandpunkt ist zur­zeit, dass eine Abtreibung bis zur Entwicklung von Schmerzrezeptoren beim Embryo unter bestimm­ten Bedingungen akzep­tiert wird. Hier wird es als ver­tret­bar gese­hen, das Leben zu been­den, wenn es kei­ne Schmerzen dabei emp­fin­det – wobei wir das nicht 100% genau wis­sen. Und für Frau Brosius-​Gersdorf beginnt die Würde des Menschen mit der Geburt, d.h. für sie ist nicht ent­schei­dend, dass der Embryo auch 2 Monate vor der Geburt voll lebens­fä­hig ist, son­dern sie defi­niert Menschenwürde, wenn der Embryo sicht­bar wird, obwohl man ihn natür­lich schon gut zwei Monate vor­her mit einem Ultraschallgerät kom­plett sehen kann. Einen Ethiker inter­es­siert dabei kei­ne angeb­li­che Verfassungslogik. Frau Brosius-​Gersdorf muss sich vor­wer­fen las­sen, dass sie einen Sichtbarkeitspopanz auf­baut, der für das mensch­li­che Leben nicht rele­vant ist. Wenn man kurz vor der Geburt einen Embryo tötet, so ist das ziem­lich das­sel­be, als ob man das nach der Geburt macht – Rom lässt grü­ßen. Wenn eines klar ist, dann dies: Dieser spä­te Zeitpunkt ist ethisch nicht zu recht­fer­ti­gen, auch wenn dies mit einer angeb­li­chen Verfassungslogik kaschiert wer­den soll. Das ist auch nicht juris­tisch unbe­quem, son­dern zu die­sem spä­ten Zeitpunkt Kindsmord. Eine der­ar­ti­ge Juristin, die dies recht­fer­tigt, dis­qua­li­fi­ziert sich selbst. Über die ande­ren bei­den Zeitpunkte kann man reden, sie befin­den sich im recht­fer­ti­gungs­fä­hi­gen Bereich. Dass dies nicht immer ohne Brüche von­stat­ten geht, liegt in der Natur der Sache.

🧘 In der Ruhe liegt die Kraft.

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