Ein Staatsakt, stehende Ovationen, Hände, die Verträge (oder Redemanuskripte) halten – und die viel zu leisen Fragen vom Rand: Wer hat diesen Frieden geschrieben, wem nützt er, und welche Menschen bleiben als Gezeichnete zurück?

So beginnt die Szene in Scharm el-Scheich: ein feierliches Ende des unmittelbaren Blutvergießens im Gazastreifen – doch was wie Frieden aussieht, trägt Risse und Bedingungen in sich. Ich möchte hier keine Jubelarien anstimmen. Ich will wägen: das Menschliche, das Juristische, das Politische, das Ökonomische und das Mediale – und am Ende fragen, ob das, was wir jetzt feiern, mehr ist als ein guter PR-Stunt.
Was das Abkommen bringt – ein humaner Schimmer
Kurz gesagt: die Freilassung von Geiseln ist ein menschlicher Erfolg. Wer lange in einem Tunnel oder Keller auf etwas Tageslicht, auf eine Überlebenschance wartet, verdient wenigstens die Rückkehr nach Hause. Für Familien, für die Öffentlichkeit – es war eine Wende, die schmerzlindernd wirken könnte. Das Risiko, das Trauma nie zu überwinden, darf nicht kleingeredet werden. Blut soll aufhören zu fließen; dafür gilt Dank. Punkt.
Und nun die andere Seite: Das Abkommen kommt ohne klaren Zeitplan für politische Übergänge, ohne belastbare Mechanismen zur juristischen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, ohne verbindliche Schritte zur Selbstverwaltung der Palästinenser. Eine Entwaffnungsklausel ohne Überprüfungsinstanz ist ein Papier ohne Kraft. Wenn aus dem Vertrag nicht hervorgeht, wer wann welche Macht überträgt – dann ist das kein Fahrplan, sondern eine bunte Fototapete.
Eine Asymmetrie – wenige zurück, viele frei
Die diskutierten Zahlen wirken auf den ersten Blick erneut unfair – und sie sind ein Spiegel der Ungleichgewichte: einige Dutzend israelischer Geiseln gegen Hunderte oder gar Tausende palästinensischer Häftlinge, von denen viele schon lange in Haft sitzen. Es ist nicht nur eine arithmetische Ungleichheit; es ist ein Zeichen dafür, wie Recht und Sicherheit in dieser Region verteilt sind. Wer fragt, ob das gerecht ist, darf die größere Frage nicht ausblenden: Wer hat wem die Lebensgrundlagen genommen – und seit wann?
Oligarchie, Geschäftsinteressen und Protektorat
Hier wird es unbequem: Der Deal á la Trump riecht nach Geschäft. Was sonst. Er ist derjenige, der ständig von Deals quatscht. Große Investitionsversprechen, milliardenschwere Verträge mit Golfstaaten, prominente Vermittler aus dem US‑Umfeld – all das legt nahe, dass geopolitische Entscheidungen inzwischen eng mit privatwirtschaftlichen Interessen verwoben sind. Wenn ein „Wiederaufbau“ gleichzeitig als Immobilien- und Tourismuschance verkauft wird, dann droht die politische Lösung zur Renditeoption zu verkümmern. In der Öffentlichkeit auf alle Fälle. Eine Übergangsverwaltung, geführt von einflussreichen Externen (wie Blair), kann schnell zu einem Protektorat werden – mit begrenzter Mitbestimmung der Betroffenen vor Ort.
Der Kern bleibt der menschliche: Familien, die trauern; Ärzte, die nicht mehr arbeiten dürfen; Kinder, die in Haft sitzen. Die Tatsache, dass Zehntausende Palästinenser in israelischen Gefängnissen sitzen – darunter viele ohne Anklage, in administrativer Haft – ist für jede nüchterne Bewertung zentral. Dennoch wird hier kaum darüber geredet. Unsere Staatsraison ist das Hindernis. Sagen sie. Wenn Gerechtigkeit so selektiv angewandt wird, ist sie nicht existent! Und wenn wir über Geiseln sprechen, sollten wir die semantische Schieflage benennen: Gefangene sind Gefangene – egal, wie Medien oder Politik sie nennen.
Die Berichterstattung neigt zu moralischen Shortcuts: Ein klarer Täter, eine klare Opferrolle. Das macht einfache Geschichten, aber selten trifft es die Komplexität. In Deutschland wie anderswo sehen wir eine starke Identifikation mit israelischen Opfern – das ist verständlich, aber es darf die palästinensischen Opfer nicht unsichtbar machen. Doppelmoral entsteht, wenn Rechte, die für eine Seite eingefordert werden, der anderen verweigert werden. Wenn Staatenlosigkeit, Besatzung und Siedlungspolitik sprachlich ausgeblendet bleiben, dann wird die Debatte zur Parteinahme statt zur Analyse.
Risiken und denkbare Szenarien
- Wiederaufnehmen der Gewalt: Fehlt ein unabhängiges Monitoring, genügt eine Behauptung – „die Hamas hat sich nicht entwaffnet“ – und alte Gewalt wird als Antwort wieder salonfähig.
- Protektorat statt Selbstbestimmung: Eine Übergangsverwaltung ohne echtes Transfer-Mandat kann Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, zu einer Fremdverwaltung ohne Perspektive für Selbststaatsbildung werden.
- Ökonomische Instrumentalisierung: Investitionen können Stabilität bringen – oder sie können Landnahmen und soziale Exklusion legitimieren, wenn nicht konsequent rechtsstaatliche Bedingungen gelten.
- Regionale Eskalation: Die Entfremdung von Nachbarstaaten, die Militarisierung und wirtschaftliche Rivalitäten erhöhen die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts.
- Politische Verfestigung des Status quo: Wenn innenpolitische Mehrheiten in Israel gegen eine palästinensische Staatlichkeit stehen, bleibt die Aussicht auf einen echten Kompromiss gering – unabhängig vom kurzfristigen Abkommen.
Was zu tun wäre — Ideen für einen echten Weg
Nicht alles, was nötig ist, ist schön – aber es ist notwendig:
- Ein verbindlicher Zeitplan für Machtübertragung mit klaren Kontrollmechanismen.
- Unabhängige, internationale Mechanismen zur Aufklärung und juristischen Verfolgung von Kriegsverbrechen.
- Ein Überprüfungsmechanismus zur Entwaffnung, begleitet von lokalen und internationalen Sicherheitsgarantien.
- Bedingte Investitionsverträge: Wiederaufbau an rechtsstaatliche und menschenrechtliche Bedingungen knüpfen.
- Langfristig: eine ernsthafte, völkerrechtlich anerkannte Perspektive auf palästinensische Staatlichkeit – sonst bleibt jeder Waffenstillstand nur ein Vorwort zur nächsten Runde.
Es ist menschlich, die Freilassung von Geiseln vielleicht als Sieg zu empfinden. Und es wäre zynisch, das Leiden der vielen Familien in dieser Stunde kleinzureden. Doch wir müssen das Eine vom Anderen unterscheiden: das Ende eines unmittelbaren Leids und die Frage nach nachhaltiger Gerechtigkeit sind nicht dasselbe. Dieser Deal ist eine Atempause, kein Ende. Wenn wir nicht auf die tieferen Ursachen schauen – Besatzung, Entzug politischer Rechte, strukturelle Gewalt –, dann kehrt die Gewalt zurück, noch ehe die Tinte auf den Verträgen getrocknet ist. Frieden, der sich nur ökonomisch für einige rechnet und politisch zweifelhaft und wacklig bleibt, ist kein Frieden: er ist ein Arrangement. Diese können aber jederzeit aufgekündigt werden.
Wenn du meinen vielleicht etwas nüchternen Pessimismus für zu hart hältst, verstehe ich das. Ich wünsche mir genauso wie du, dass das Töten aufhört. Mein Punkt aber ist: Wer dauerhafte Ruhe will, muss den existierenden Unfrieden in den Köpfen der Menschen in dieser Region an der Wurzel behandeln – mit Rechenschaft, Teilhabe und Gerechtigkeit. Alles andere ist nur politisches Theater. Trump hat in seiner Art und seiner Zeitrechnung den 8. Krieg beendet. Das und vieles, was er in der Knesset gesprochen hat, ist Ausdruck eines intellektuellen Totalausfalles. Aber manche beklatschen ihn. Dabei weiß überhaupt noch kein Mensch, wann dieser laut Trump 3000 Jahre währende Konflikt tatsächlich an sein Ende kommt. Die Grausamkeit der letzten zwei Jahre hat aus meiner Sicht viele neue Terroristen aus einem Meer von seelisch verwahrlosten Menschen, in der Region geboren. Nicht nur unter den Palästinensern.
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