Thema: Reformen

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Sondervermögen und Schuldenbremse: Das politische Tauziehen um die Zukunft

Söder kartet nach – gegen die Grünen. Merz hatte am Tag vor den Wahlen »Links/Grün« bescheinigt, dass wir (die linken Spinner) sozusagen ausreformt haben. Tja, eins können wir von der neuen Regierung (der alten GroKo) ganz sicher nicht erwarten — Reformen. Wenn sogar der Chef der »Jungen Union« darüber lamentiert, dass die beiden Sondervermögen nicht nachhaltig wären, muss wohl etwas daran sein. Was soll der ganze Zinnober? Das Land hat keine Kohle und – jedenfalls bisher – keinen Plan. Das auch mal an die Adresse der Grünen.

Die Schuldenbremse als politisches Dogma

Es wird noch ein paar Tage dauern, bis der Ärger darüber verflogen ist, den das Duo Merz-Linnemann beim Thema Schuldenbremse ausgelöst hat. Wie lange hatten beide immer und immer wieder betont, dass sie an dieser festhalten wollen. Alle Vetos wurden gleichsam im Federstreich abgeräumt und sogar Mario Draghis unvergessenes Bonmot »Whatever it takes« wurde vom künftigen Kanzler bemüht.

Der Betrug, der zunächst einmal als Hypothek mit Merz nach Hause geht, war in Wahrheit jedem seit Langem absehbar. Ich habe hier so häufig darüber gebloggt, dass ich das nur noch ein letztes Mal lakonisch anmerken will. Es geht auch gar nicht anders. Ich meine, Merz hätte die Wähler nicht schamlos anlügen müssen. Aber, Gott noch mal: So san’s halt, die Politiker.

Ein Wendepunkt in der Finanzpolitik?

Hat sich mit jenem legendären Freitag, der nach Meinung so mancher Politiker und Kommentatoren in die Geschichtsbücher als Trumps vorläufiges Kabinettstück aus dem MAGA – Gebetbuch eingehen wird, wirklich alles geändert? Ist diese Erfahrung den Aufwand und die Risiken neuer Schulden in einer Größenordnung von fast einer Billion EUR wert? Der Topf für die Bundeswehr (zunächst 400 Milliarden EUR) hat nicht einmal einen Deckel. Wow! Kein Wunder, wenn die Pazifisten der Linkspartei durchdrehen.

Ich denke, wir dürfen festhalten, dass diese ungeheure Geldmenge ein klares Signal sendet. Nicht bloß an den orangenen US-Präsidenten und seine kaputte Entourage oder an den Gangsterboss im Kreml. Nein, wir hatten ein Signal auch nötig! Deutschland hat eine Neigung zur Selbstaufgabe offenbart, die erschreckend ist. Ich hoffe, dass mit dem Geld die richtigen Maßnahmen getroffen werden. Verteidigung, das Militär, ist das eine. Deshalb finde ich die Aufteilung in zwei Sondervermögen klug und richtig. Diese Entscheidung ist für sich genommen ein zweites Signal, das Sinn ergibt.

Wenn wir eine halbe Billion EUR allein für unsere kaputte Infrastruktur einsetzen, wird das starke Signale an unsere stark diversifizierte Wirtschaft senden. Viele werden direkt von diesem »Geldregen« profitieren. Ich würde darüber hinwegsehen, dass die Grenzen zwischen investiven und konstumtiven Wirkungen verschwimmen könnten. So viel Vertrauen in die Politik sollten wir aufbringen.

Ein Signal mit ungewissem Ausgang

Ich werde die Maßnahme der designierten neuen Regierung nicht kritisieren, weil dies schon genügend Besserwisser tun. Aber vor allem, weil wir aus meiner Sicht dringend auf ein solches Signal angewiesen waren. Es ist möglich, dass das geplante Vorhaben der möglichen Regierung vor dem Bundesverfassungsgericht landet.

Der Trick, die Entscheidungen, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordern, vor der kurz bevorstehenden Konstituierung des neuen Bundestages vom »alten« Parlament treffen zu lassen, ist kritisch. Es ist möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht entsprechenden Klagen nachgeben wird.

Dann hätten Union und SPD eine ähnliche Hypothek auf dem Buckel wie einst die Ampel, die letztlich an den Folgen der Entscheidung des Verfassungsgerichtes gescheitert war. Damals: kein Geld, keine grünen Transformationsprojekte. Heute: Kein Geld, keine Infrastruktur und keine Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Landes. Dass es damals die Union war, die viel Freude am Urteil des Verfassungsgerichtes hatte, sei der Ordnung halber noch erwähnt.

Klimaschutz als Nebensache?

Sie meinen, es gäbe heute doch ganz andere, viel schwerwiegendere Gründe für Kunstgriffe dieser Art? Man könnte behaupten, dass Sie sich irren könnten. Schließlich wurde das Thema Klimaschutz in schönster Übereinstimmung zwischen dem Volk und einer aufblühenden Dominanz bzw. dem Aufstieg der Konservativen abgewählt. So viel nochmal zum Thema: Grüne Spinner!

Wie teuer uns diese Fehlentscheidung kommen wird, steht (noch) in den Sternen. Ja, wir denken, es gibt im Moment Wichtigeres? Ach, wirklich?

Eine Schlussbemerkung noch zum Thema Zwei-Drittel-Mehrheiten: Was wird eigentlich aus unserer Demokratie, wenn die Regierung künftig keine Aussichten für Zwei-Drittel-Mehrheiten mehr hat? Im Alltag werden solche Mehrheiten zwar nur für bestimmte Bereiche nötig. Aber nötig sind sie halt. Und mit einer AfD darf ja nicht gestimmt werden. Sonst taugt die Entscheidung am Ende nichts. Das haben wir gelernt. Die Frage ist nur, wie lange diese Logiken ihre Alltagstauglichkeit noch beweisen können.

Reformbereitschaft nicht nur im Bereich der Sozialleistungen

Wenn Markus Lanz in seiner gestrigen Sendung mindestens zweimal behauptet, Deutschland sei in seiner Wirtschaftsstruktur im 19. Jahrhundert stehen geblieben, und keiner der anderen Talkgäste diesen Irrtum korrigiert, könnte dies bei den Zuschauern Zweifel an deren Kompetenz wecken. Es offenbart sich, dass Lanz den Sprung ins 21. Jahrhundert auch bis jetzt nicht geschafft hat.

Es kann auf Dauer nicht gutgehen, wenn jede Frage nach einer höheren Effizienz des Sozialstaates tabuisiert wird.

Peer Steinbrück

Steinbrück und die Reform des Sozialstaates

Der ehemalige Finanzminister Steinbrück (SPD) steuerte zur allgemeinen Klage der Runde über Deutschlands Status quo ein paar Anekdoten bei. Dabei ließ ihn mMn seine Erinnerung gelegentlich im Stich. Im Kern lag er allerdings richtig.

Die “Initiative für einen handlungsfähigen Staat” geht aus von den ehemaligen Bundesministern Peer Steinbrück und Thomas de Maizière, dem Staatsrechtler und langjährigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, und der Managerin und Aufsichtsrätin Julia Jäkel. Sie wollen insbesondere der Frage nachgehen, warum viele notwendige Reformen bereits im Ansatz scheitern und wie unser Staat strukturell handlungsfähiger und effektiver gemacht werden kann. Wie also Reformen besser gelingen können. Dazu wollen sie konkrete Vorschläge erarbeiten lassen. Unterstützt werden die Initiatoren bei ihrer Arbeit von vier renommierten Stiftungen: der Hertie Stiftung, der Fritz-Thyssen-Stiftung, der Stiftung Mercator und der Zeit Stiftung Bucerius.


Quelle

Die Leistungen des Sozialstaats sind nicht zielsicher und lassen auch bei Zeitgenossen, die auf gar keinen Fall an den Sozialleistungen etwas geändert sehen wollen, eine leise Skepsis aufkommen. Das Beispiel Bürgergeld mit seinen vielen Facetten und Negativbeispielen lässt viel Raum für Kritik.

Steinbrück beschrieb ein prickelndes Beispiel, das der Normenkontrollrat des Bundes im März in einem Gutachten ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hatte.

Hier die Beschreibung des Falles aus dem Gutachten vom März 2024:

Familie 2 – „Der alleinerziehende Vater mit pflegebedürftiger Mutter“

Der alleinerziehende Vater einer fünfjährigen Tochter, die vor dem Übertritt vom Kindergarten in die Grundschule steht, ist nach der Insolvenz seines Arbeitgebers arbeitssuchend. Aktuell besucht er eine von der BA finanzierte Umschulung in Teilzeit. Die Mutter der Tochter zahlt keinen Unterhalt. Die Mutter des Vaters ist pflegebedürftig und lebt im gemeinsamen Haushalt.

Die Familie bezieht als Bedarfsgemeinschaft bedürftigkeitsabhängige Leistungen, Versicherungsleistungen und Leistungen aus dem Familienleistungs- und Familienlastenausgleich:

Bewertung der Komplexität

Insgesamt hat die Familie Anspruch auf zwölf unterschiedliche Leistungen, die von acht verschiedenen Stellen administriert werden (s. Abbildung 9). Dabei sind insgesamt mindestens vier verschiedene Einkommensbegriffe und drei verschiedene Begriffe der häuslichen Lebensgemeinschaft anzulegen. Inwieweit bei den kommunalen Stellen für die Beitragsfreistellung eine eigene Berechnung des Einkommens erfolgen muss, hängt von der Regelung der Kommune ab.

Aufgrund der Verknüpfung der Leistungen bedarf es einer umfangreichen Einzelfallberechnung in den einzelnen Behörden.

Diese schon tragisch anmutende Komplexität ist nur ein Beispiel.

Die Komplexität muss reduziert werden

Wer ein solches System seinen Kritikern gegenüber verteidigen möchte (selbst Minister Heil, SPD), dürfte einigermaßen überfordert sein. Wir sehen das an der nicht verstummen wollenden Kritik am Bürgergeld. Die Addition verschiedenster Sozialleistungen für Betroffene lässt sich klein- und ebenso großrechnen. Transparenz würde auch hier helfen.

Wenn von einzelnen Politikern (aus CDU/FDP u.a.) geschimpft wird, dass ein Dachdecker einkommensmäßig summa summarum unter den Bezügen eines arbeitslosen Familienvaters läge, möchte ich diejenigen sehen, die erfolgreich für oder gegen das Bürgergeld argumentieren.

Wer blickt noch durch?

An einer Stelle habe ich gelesen, dass es gut wäre, wenn die Leistungen von einer Stelle koordiniert würden. Das könnte man so interpretieren, dass nun noch eine Stelle hinzukäme, die sich darum kümmern sollte. Für mich klingt das so, als würde man nicht weniger, sondern eher mehr Bürokratie einführen wollen. Ich mag mir nicht vorstellen, wie dieses Tohuwabohu aus Gesetzen und Vorschriften, die in diesen Paketen verwoben sind, reformiert werden könnte.

Dass es andererseits Menschen gibt, die aus politischer Überzeugung solche Fehlentwicklungen zu nutzen versuchen, um den Sozialstaat zu schleifen, scheint mir naheliegend.

Wenn ich König wäre, würde ich alle Reformen auf morgen verschieben.

Oliver Cromwell (1599-1658)

Generell fällt mir der scheele Blick auf, der die Bereitschaft zu Veränderungen (Reformen) bremst. Man gönnt sich gegenseitig nichts. Die Jungen schimpfen über die Alten und umgekehrt. Da geht es um die einst sicher geglaubten Renten. Diese Hoffnung droht sich aufgrund der Demografie zu pulverisieren. Ich glaube, dass die mangelnde Reformfreudigkeit der Deutschen vor allem damit zu tun hat, dass diese Gesellschaft zusehends altert. Ältere Menschen neigen zur Besitzstandswahrung. In der Mehrheit mögen sie keine Veränderungen.

Umgekehrt ist es für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Wie soll sich die erkennbare Neigung der jüngeren Generationen zu weniger Arbeit mit dem in Einklang bringen lassen, was in dieser Phase des wirtschaftlichen Absturzes, der keine konjunkturellen, sondern strukturelle Ursachen hat, dringend nötig wäre?

Sind Sie auch wütend auf die Grünen?

Während der rot-grünen Regierung von 1998 entwickelte ich eine Aversion gegen die SPD. Schröders Reformpolitik war mir ein Dorn im Auge. Dass die Konservativen die Agenda 2010 noch heute als großes Reformprojekt loben, an dem das Land wirtschaftlich genesen wäre, ist für mich der ultimative Beweis dafür, dass die Politik falsch war. Ich empfand den folgenden Niedergang der SPD als logische Konsequenz.

Meine Erinnerung an diese Vergangenheit enthält nicht, dass die Politik der damaligen Rot-Grünen-Koalition vergleichbar kritisch im Fokus gestanden hätte wie die heutige Ampel-Regierung. Ein Störfaktor war schließlich nicht vorhanden! Und das, obwohl sich Deutschland erstmals seit dem 2. Weltkrieg militärisch international engagierte.

Als Merkel 2005 mit Westerwelles FDP übernahm, sah das ganz anders aus. Die Kritik an Schwarz-Gelb, insbesondere in der Anfangszeit, hat sich als äußerst brutal in mein Gedächtnis gebrannt. Das Aussehen, die Frisur und die Kleidung der Kanzlerin waren DIE Themen der Zeit. Und diese dauerte entschieden zu lange. Westerwelle hatte sich bei einer Pressekonferenz geweigert, einem britischen Journalisten auf Englisch zu antworten. Er erklärte das ebenso trotzig wie peinlich. Das war ein Renommee-Verlust der ersten Kategorie. Die Umfragen waren entsprechend.

Der „Presseclub“ von heute bearbeitete die Frage: “Feindbild statt Volkspartei – Woher rührt die Wut auf die Grünen?“. Es war interessant. Vor allem empfehle ich die Anruferrunde am Ende der Sendung.

Ich finde, Hensel, »ZEIT« hat einen Punkt, wenn sie die Kampagne beklagt, die rechte und konservative Medien gegen die Grünen führen. Es ist jedoch ebenso zutreffend, dass die moralischen Ambitionen und der Drang zur Interpretation in den entscheidenden politischen Bereichen unter den führenden Grünen nicht überwunden werden können. Das macht ihre Politik schwer vermittelbar. Deswegen werden sie auch als die ideologisierende aller Parteien bezeichnet.

Diesen offensichtlichen Fehler erkennen leider viele Menschen nicht, sondern plappern die Vorbehalte gewisser Medienvertreter einfach unkritisch nach. Es gibt unter unseren Parteien solche, für die Ideologie einen höheren Rang einnimmt. Ich schlage vor, man schaut sich die Arbeit der FDP diesbezüglich genauer an.

Obwohl ich das so sehe, haben die „Grünen“ meine Sympathie nicht (mehr). Es ist zwingend notwendig, einer fortschrittlichen, progressiven Politik ein gutes Marketing an die Seite zu stellen. Denn dieses Land ist überaltert und der Hang zum Konservativismus ist unübersehbar, also auch mit negativen Folgen. Witzig, dass Konservative sich gern als die wahren Klimaaktivisten präsentieren. Eigentlich sollte das qua Ideologie wohl so sein. Ich möchte den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten.

Leider spielt die Vermittlung grüner Politik aber deshalb kaum eine Rolle, weil die Partei (Führung und Mitgliedschaft) sich nun einmal zur einzigen erklärt, die den richtigen Weg weist und geht. Dieses überhebliche Selbstverständnis zerstört einen wenigstens halbwegs erforderlichen Gleichschritt in einer längst stark polarisierten Gesellschaft.

Inwieweit die Grünen auf ein breites Fundament an Zustimmung in der Bevölkerung auch weiterhin setzen können (relativ stabile Umfragewerte), bleibt zunächst abzuwarten. Es ist nicht aussichtslos, dass es in der Zukunft doch zu einer Schwarz-Grünen-Koalition auf Bundesebene kommen wird. Da mögen die Auguren der Union sonst etwas erzählen. Die SPD unter Scholz wird keine Rolle mehr spielen. Sie hat fertig.

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