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Persönliche Motivation und Wertschätzung für Wikipedia
Ich erinnere mich noch gut, wie und warum ich vor ein paar Jahren beschlossen habe, der Wikipedia nicht mehr jährlich, sondern nunmehr monatlich eine kleine Spende zukommen zu lassen – nicht weil ich alles für perfekt halte, sondern weil ich das Projekt für eines der größten/bedeutendsten im Internetzeitalter halte: eine unentgeltliche, freie Enzyklopädie, getragen von freiwilligen Nutzerinnen und Nutzern rund um den Globus. Wer hat heute noch die Die große Bertelsmann-Lexikothek oder Brockhaus-Enzyklopädie im Schrank?
Im Zentrum der Bewegung steht der Mitgründer Jimmy Wales – ein Mann, der nie zu einem dieser berühmt-berüchtigten Techbros aufstieg, sondern dafür sorgte, dass sein Lebenswerk weitgehend vom Gedanken der Gemeinnützigkeit geleitet wird. Laut Wikipedia-Eintrag war Wales seit der Gründung der Wikimedia Foundation Vorsitzender, später Ehrenvorsitzender, und sein Engagement war unentgeltlich.
Die Dauerfehde um politischen Bias
Doch genau hier beginnt die Kontroverse: Im Zentrum der Debatte steht nicht nur die Frage nach politischer Ausrichtung und Neutralität von Wikipedia selbst, sondern auch die Rolle ihres Gründers, die institutionelle Verantwortung, die Gemeinnützigkeit und – angesichts der KI-Revolution – der Datenfluss aus Wikipedia-Inhalten in große Sprachmodelle.
Neutralität, öffentliche Verantwortung und Qualität
Zunächst die Frage: Warum verbeißen sich Journalistinnen und Journalisten (etwa Tilo Jung, dessen Interview mit Wales ordentlich in die Hose ging) seit Jahren auf die These, Wikipedia sei politisch links orientiert? Ganz schlicht: Weil Wikipedia eine immens sichtbare Plattform ist, mit hoher Vertrauensstellung – und weil der Anspruch auf Neutralität so zentral ist, dass jede wahrgenommene Abweichung Anlass für Fragen gibt. Wikipedia war und ist eine der meistbesuchten Websites der Welt. Wenn eine Plattform mit solcher Reichweite betrieben wird, dann wird sie automatisch Teil dieser leidlichen Kulturkampf-Debatten – über Wahrheit, Macht, Quelle, System. Der Vorwurf lautet: Wenn eine so zentrale Quelle systematisch eine bestimmte Perspektive bevorzugt (z. B. links), dann könnte das Einfluss darauf haben, welche Sichtweisen für die Öffentlichkeit sichtbar sind, welche nicht – also letztlich auf öffentliche Meinung und Diskurs. Daraus ergibt sich: Ja, die Frage ist relevant – nicht weil jede einzelne Beschuldigung automatisch zutrifft, sondern weil sie das Vertrauen, die Legitimität und die Qualität von Wikipedia unter die Lupe nimmt.
Was lässt sich zur Qualität von Wikipedia sagen, wenn solche Vorwürfe im Raum stehen? Ein Blick auf das Thema „ideologischer Bias“ zeigt: Laut dem Artikel „Ideological bias on Wikipedia“ gibt es keine belastbaren Daten oder Studien, die einen systematischen liberalen oder linken Bias belegen; Wales selbst sagte, solche Behauptungen seien „nicht durch Fakten gestützt“. Gleichzeitig zeigen Fälle wie der aktuell 2025 diskutierte Artikel zur „Gaza Genocide“ – bei dem Wales selbst intervenierte und meinte, die Wikipedia-Seite zeige eine „besonders eklatante“ Verletzung des Neutralitätsprinzips. Das heißt: Die Plattform ist (natürlich!) nicht immun gegen Fehler oder Voreingenommenheiten – und gerade weil sie auf Freiwilligenarbeit basiert, unterliegt sie denselben Dynamiken wie andere öffentliche Foren: Wer schreibt welchen Artikel? Wer editiert wen? Welche Quellen werden verwendet? All das beeinflusst Qualität und Wahrnehmung.
Gemeinnützigkeit und institutionelle Struktur
Die institutionelle Seite: Ist Wikipedia – bzw. die Wikimedia Foundation – tatsächlich gemeinnützig, und welche Bedeutung hat das? Ja: Die Wikimedia Foundation, die Wikipedia betreibt, ist eine amerikanische wohltätige Organisation. Das heißt: Spenden sind steuerlich begünstigt, und der Zweck ist Bildung und freie Wissensverbreitung. Das ist wichtig, denn es bedeutet: Wikipedia ist nicht primär ein kommerzielles Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht – zumindest nicht offiziell. Die gemeinnützige Struktur verstärkt die Erwartung an Neutralität, Offenheit und öffentliche Verantwortung. Wenn nun Kritiker einseitige politische Ausrichtung beklagen, dann fragen sie implizit auch nach dieser öffentlichen Verantwortung und danach, ob die Plattform ihren Zweck erfüllt oder ob sie sich in Richtung einer Agenda verschoben hat.
Wie hoch sind die Nutzungsdaten von Wikipedia und wie haben sie sich entwickelt? Ein paar Eckpunkte: Die englischsprachige Wikipedia hat im Jahr 2025 rund 7 090 090 Artikel. Insgesamt sind alle Wikimedia-Projekte zusammen (alle Sprachen) immens. Laut DataReportal, Wikimedia Stats aus 2022 hat Wikipedia durchschnittlich mehr als 165 Mio. Besuche pro Tag; im März 2025 lag die Zahl bereits unter 128 Mio. Besuche pro Tag – ein Rückgang von rund 23 % über drei Jahre. In den Statistiken der Wikimedia Foundation heißt es, mehr als 180 Mio. Bearbeitungen in einem Jahr bei allen Projekten. All das zeigt zwar Wachstum gegenüber den frühen Jahren – im Jahr 2001 startete Wikipedia mit wenigen Hundert Artikeln –, aber zugleich auch Herausforderung: Die Phase des rasanten Wachstums ist vorbei, und die Plattform sieht sich neuen Risiken gegenüber (z. B. sinkende Traffic-Zahlen, Konkurrenz durch KI). Damit haben Nutzungsdaten Relevanz – sie zeigen, dass Wikipedia weiterhin eine zentrale Wissensquelle ist, aber zugleich nicht immun gegen Wandel und Rückgänge.
Nutzung, Reichweite und Entwicklung der Wikipedia
Eine weitere Frage beschäftigt mich: Fließen Wikipedia-Daten in den Datenpool von KI-Anbietern ein – oder ist dem ein Riegel vorgeschoben?
Wikipedia-Daten – zumindest in strukturiertem Format – stehen für KI-Modelle zur Verfügung. Die Wikimedia Foundation veröffentlicht explizit Datensätze, die für maschinelles Lernen gedacht sind, z. B. eine Kooperation mit Kaggle (Google-Unternehmen) im Jahr 2025, mit optimierten Artikeldaten in Englisch und Französisch für KI-Trainingszwecke. Jimmy Wales selbst hat jüngst gefordert, dass große KI-Anbieter wie OpenAI oder Google für die Nutzung der Wikipedia-Inhalte zahlen sollten – er argumentiert, dass Wikipedia unglaublich wertvoll sei für KI-Training. Gleichzeitig bleibt unklar, in welchem Umfang Unternehmen ungeregelt Wikipedia-Inhalte verwenden – die Lizenz von Wikipedia erlaubt freie Nutzung unter bestimmten Bedingungen. Zwar gibt es nicht per se einen „Riegel“, aber es bestehen Nutzungsbedingungen und die Wikimedia-Foundation sieht sich veranlasst, eigene maschinenfreundliche Datenexporte bereitzustellen, um ineffizientes Scraping zu reduzieren. Das heißt: Der Datenfluss in KI existiert – und dies ist ein Teil der Debatte, weil damit Fragen über Wertschöpfung, Gemeinnützigkeit, Kompensation und Transparenz aufgeworfen werden.
Ich halte es für ausgesprochen bedeutsam, dass eine Plattform wie Wikipedia existiert und dies auch weiterhin. Gerade auch unter dem allgemeinen Gesichtspunkt des freien Wissenszugangs und der demokratischen Teilhabe an Informationen.
Die Tatsache, dass Jimmy Wales kein „Tech-Milliardär“ wurde, sondern sein Projekt bewusst unter einer gemeinnützigen Struktur aufstellte, verdient Anerkennung – seine geschätzte Vermögenslage von etwa 1 Mio. USD zeigt, dass er nicht primär auf persönliche Bereicherung aus war. Dennoch: Die andauernde Kritik an politischer Ausrichtung, an Qualität und an institutioneller Verantwortlichkeit sollte nicht als reine Denunziation abgetan werden. Vielmehr ist sie ein Hinweis darauf, dass Wissen, Macht und Öffentlichkeit heute enger verbunden sind als je zuvor – und dass wir Nutzerinnen und Nutzer wachsam bleiben müssen.
In meinem Blog-Kontext sehe ich diese Debatte als Teil eines größeren gesellschaftlichen Spannungsfeldes: zwischen dem Anspruch auf objektive Information, dem Einfluss von Netzwerken und Plattformen, und der Rolle von Technologien wie KI, die Wissen extrahieren, verarbeiten und weiterverwenden. Auch wenn ich Wikipedia mit meiner Spende unterstütze, bin ich mir bewusst: Unterstützen heißt nicht blind vertrauen. Es heißt reflektieren – und im Zweifel mitgestalten.




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