Romane oder TV-Filme helfen dabei, uns an üble Zeiten zu erinnern

Der Unter­schied zwi­schen Sen­ti­men­ta­li­tät und Empa­thie ist mir geläu­fig. Aber geht nicht bei­des? Ich mei­ne, kann man nicht mit bei­dem „geschla­gen“ sein? Ken­ne ich über­haupt Leu­te, die von sich sagen wür­den, nicht empa­thisch zu sein? Und gibt es – außer ein paar Frau­en viel­leicht, die ich ken­ne – Men­schen, die sich frei­mü­tig dazu beken­nen, bis auf die Kno­chen sen­ti­men­tal zu sein? Ich mei­ne, ganz ohne, dass sie gera­de in einer beson­de­ren Stim­mung sind oder zu viel getrun­ken haben? Unter Män­nern ist sowas sel­ten zu fin­den. Ich erin­ne­re mich, dass ich mei­nen Onkel dafür aus­ge­lacht habe, dass er beim Fern­se­hen – ich glau­be, es lief Sis­si – feuch­te Augen bekam. Ich war viel­leicht 10 Jah­re alt. Es ist also ewig her. Heu­te pas­siert mir das andau­ernd. Ich sehe oder lese irgend­was Trau­ri­ges oder Anrüh­ren­des – schon krie­ge ich feuch­te Augen. Ganz schlimm. Ich glau­be, es wird immer schlim­mer, je älter ich wer­de. Aber… 

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Der Unter­schied zwi­schen Sen­ti­men­ta­li­tät und Empa­thie ist mir geläu­fig. Aber geht nicht bei­des? Ich mei­ne, kann man nicht mit bei­dem „geschla­gen“ sein?

Ken­ne ich über­haupt Leu­te, die von sich sagen wür­den, nicht empa­thisch zu sein? Und gibt es – außer ein paar Frau­en viel­leicht, die ich ken­ne – Men­schen, die sich frei­mü­tig dazu beken­nen, bis auf die Kno­chen sen­ti­men­tal zu sein? Ich mei­ne, ganz ohne, dass sie gera­de in einer beson­de­ren Stim­mung sind oder zu viel getrun­ken haben? Unter Män­nern ist sowas sel­ten zu finden.

Ich erin­ne­re mich, dass ich mei­nen Onkel dafür aus­ge­lacht habe, dass er beim Fern­se­hen – ich glau­be, es lief Sis­si – feuch­te Augen bekam. Ich war viel­leicht 10 Jah­re alt. Es ist also ewig her. Heu­te pas­siert mir das andau­ernd. Ich sehe oder lese irgend­was Trau­ri­ges oder Anrüh­ren­des – schon krie­ge ich feuch­te Augen. Ganz schlimm. Ich glau­be, es wird immer schlim­mer, je älter ich werde.

Aber es soll hier gar nicht um mei­ne Befind­lich­kei­ten gehen, son­dern um etwas sehr Erns­tes, etwas für das sich gewis­se Leu­te in unse­rem Land nur noch wider­wil­lig inter­es­sie­ren zu las­sen schei­nen. Ich den­ke da an Björn Höcke, den AfD-Mann. Der ver­sucht, sei­nen lie­ben Deut­schen bei­zu­brin­gen, das Joch der Schan­de jetzt lang­sam mal abzu­le­gen und durchzuatmen.


Den ers­ten Teil der Roman­ver­fil­mung „Land­ge­richt“ (Ursu­la Kre­chel) habe ich vor­ges­tern im ZDF gese­hen. Heu­te steht der 2. Teil auf dem Programm.

Schnell wur­de klar, dass die im Mit­tel­punkt ste­hen­de Fami­lie sich dazu ent­schlos­sen hat­te, die bei­den Kin­der nach Eng­land in Sicher­heit zu brin­gen. Der Film begann mit der Tren­nung der Fami­lie. Man­che jüdi­sche Fami­lie konn­te Anfang der 1930er Jah­re ihre Kin­der in Sicher­heit brin­gen. Vor­aus­ge­setzt, sie ver­füg­ten über die nöti­gen finan­zi­el­len Mit­tel. Wie grau­sam die­ser Schritt für die Eltern, für alle betrof­fe­nen Fami­li­en, gewe­sen sein muss, macht der Film in die­sen ers­ten Minu­ten über­deut­lich.. Es gab die herz­zer­rei­ßen­de Sze­ne, in der der Vater dem anfah­ren­den Zug hin­ter­her rann­te und sich ein zwei­tes Mal ver­ab­schie­de­te. Ein ande­rer Vater zog sein Kind aus dem Fens­ter des bereits anfah­ren­des Zuges. Er brach­te es nicht fer­tig, sein Kind wegzuschicken.

Mich haben vor allem die­se Sze­nen sehr berührt, obwohl ich geglaubt hat­te, eine Vor­stel­lung davon zu haben, wie Ret­tungs­ak­tio­nen viel­leicht abge­lau­fen sein könn­ten. Aber das war erst der Anfang. Ich schrei­be mir zugu­te, dass mei­ne Trä­nen nicht nur die­ser blö­den und pein­li­chen Sen­ti­men­ta­li­tät zuzu­schrei­ben war, son­dern dass ech­tes Mit­ge­fühl mit dem Schick­sal der Men­schen eine Rol­le gespielt hat.

Der Vater war Rich­ter an einem Ber­li­ner Land­ge­richt und schon bald nach Hit­lers Macht­er­grei­fung beleg­te das Regime ihn mit einem Berufs­ver­bot. Die Tat­sa­che reich­te aus, dass er Jude war. Im Film ist die Gegen­wart des Nazi-Ter­rors all­ge­gen­wär­tig. Der Druck unter dem vie­le Men­schen damals gelit­ten haben, wird am Bei­spiel die­ser Fami­lie und ihrer Freun­de fühl­bar. „Ari­sche Freu­de“ wand­ten sich ab. Die Men­schen wur­den in ihrem Leid allein­ge­las­sen. Eine Soli­da­ri­sie­rung mit den Opfern der Will­kür blieb aus.

Das sind Gescheh­nis­se, die schwer zu ertra­gen sind. Mei­ne immer wie­der neu auf­kom­men­de Betrof­fen­heit ist nicht dar­auf zurück­zu­füh­ren, dass ich mich als Deut­scher irgend­wie beson­ders ange­spro­chen füh­len wür­de. Das viel­leicht irgend­wie auch.

Aber wie hat ein klu­ger Mann mal gesagt?: Für die Din­ge, die im Drit­ten Reich pas­siert sind, sind wir nicht ver­ant­wort­lich. Aber wir sind dafür ver­ant­wort­lich, dass so etwas nie wie­der passiert!

Heu­te tue ich mich schwe­rer damit als frü­her, dar­an zu glau­ben, dass so vie­le Leu­te von dem, was ganz offen auf den deut­schen Stra­ßen geschah, nichts mit­be­kom­men haben sol­len. Auch, dass wir die­se Pha­se unse­rer Geschich­te stets beschrei­ben, in dem wir von „den Nazis“ und nicht etwa von „uns Deut­schen“ reden, irri­tiert mich. Ich ver­ste­he, dass es weh tun könn­te, die­se Hypo­thek mit uns her­um­tra­gen zu müs­sen. Aber haben wir das über­haupt je getan? Ich wur­de 8 Jah­re nach dem Krieg geboren.

Für mein Leben kann ich die Fest­stel­lung tref­fen, dass das The­ma in unse­rem Geschichts­un­ter­richt nicht statt­fand. Oder wenn, dann nur sehr rudi­men­tär. Der Wahn­sinn des Krie­ges wur­de rela­tiv klar her­aus­ge­ho­ben. Wir haben als Kin­der in der Schu­le den Anti­kriegs­film von Bern­hard Wicki, „Die Brü­cke“ ange­se­hen und anschlie­ßend dar­über diskutiert.

Aber der Mord an 6 Mil­lio­nen Juden, all der Schre­cken, den unse­re Vor­fah­ren geteilt haben müs­sen, war bis Ende der 60er Jah­re ein Tabu. Die, die das damals den Juden ange­tan haben, das waren die Deut­schen. Und die waren über­wie­gend begeis­tert von Hit­lers Visio­nen. Das wur­de so aber nie expli­zit gesagt. Man ahnt es, wenn man die Mas­sen­auf­läu­fe und alte Film­auf­nah­men von Nazi-Groß­ver­an­stal­tun­gen anschaut.

Lie­ber arran­giert man sich mit dem Gedan­ken, es halt nie so rich­tig erfah­ren zu haben. Ja, wir wuss­ten ja nicht, was die mit den Juden gemacht haben. Aber mir schei­nen sol­che dia­lek­ti­schen „Fines­sen“ in unse­rer Gesell­schaft bis heu­te zu stark ver­brei­tet zu sein. Was war mit Schwu­len, Zigeu­nern, mit Anders­den­ken­den? Wo haben die­se Men­schen gelebt? Nicht mit­ten unter uns?

In die­sem Film wird über­deut­lich, wel­ches Leid Deut­sche auch über ihre eige­nen Lands­leu­te gebracht haben. Aus­schließ­lich des­halb, weil sie einer ande­ren Reli­gi­on ange­hör­ten, weil sie Juden waren. Ange­sichts des Schre­ckens, der über all die­se Men­schen durch Deut­sche gebracht wur­de, muss man sich fra­gen, wie wir heu­te dar­über denken.

Die­je­ni­gen von uns, die flücht­lings­freund­lich den­ken oder die­se gar per­sön­lich unter­stüt­zen, sind schon vor eini­ger Zeit zu Gut­men­schen abge­stem­pelt wor­den, die für ratio­na­le Maß­nah­men und das Sicher­heits­be­dürf­nis der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung jeden Sinn ver­lo­ren haben. Die alten Mecha­nis­men des DIE und WIR funk­tio­nie­ren immer noch.

Die besorg­ten Bür­ger machen sich Gedan­ken über sich und ihre Fami­li­en. Aber was küm­mern sie die­se armen Schlu­cker, die aus den unter­schied­lichs­ten Grün­den nach Deutsch­land gekom­men sind? Sol­len sie doch an den jetzt so toll durch Vic­tor Orban und sei­ne fana­ti­schen Krie­ger beschüt­zen Außen­gren­zen der EU ver­reck­ten. Was küm­mert uns das? Haupt­sa­che, sie errei­chen Deutsch­land nicht. Den Grund dafür, dass trotz­dem Hun­dert­tau­sen­de auch im letz­ten Jahr gekom­men sind, schrei­ben die Men­schen­fein­de den von unse­rer Regie­rung orga­ni­sier­ten Nacht­flug­ak­tio­nen zu.Was küm­mert es die, dass sol­che Ver­schwö­rungs­theo­rien wer weiß wie oft wie­der­legt wor­den sind? Das ist nur ein Bei­spiel von allen mög­li­chen Unter­stel­lun­gen, die immer wie­der kursieren.

Das erzeugt wei­te­ren Unmut gegen die Regie­rung und die­ses gan­ze unnüt­ze demo­kra­ti­sche Sys­tem bei den Deut­schen (sie­he Hass­loch), die ja so viel Angst vor den „Asyl­be­trü­gern“ oder „Asyl­for­de­rern“ haben, denen „man es vor­ne und hin­ten reinstecke“.

Viel­leicht müs­sen sie was abge­ben von ihren sau­er ver­dien­ten Euros oder, was natür­lich noch schwe­rer wiegt, ihre Töch­ter wer­den von lüs­ter­nen schwar­zen Män­ner ver­ge­wal­tigt. Wenn ich dage­gen anschrei­be, krie­ge ich nicht sel­ten zu hören, dass mei­nen Ange­hö­ri­gen hof­fent­lich nicht mal sowas pas­siert. Da gibts kein Ver­tun. Auch wenn der­art bedroh­li­che Sze­na­ri­en noch im vir­tu­el­len Raum ablaufen.

Damals war es so, als alles vor­bei war und der deut­sche Wahn­sinn 60 Mil­lio­nen Todes­op­fer gekos­tet hat­te, dass die Ame­ri­ka­ner ver­sucht haben, eine Ent­na­zi­fi­zie­rung durch­zu­füh­ren. Dass das nur sehr ein­ge­schränkt bis gar nicht gelun­gen ist, zeigt der heu­ti­ge zwei­te Teil des TV-Fil­mes anhand eines sehr per­sön­li­chen Bei­spie­les. Ich glau­be, wir kön­nen uns vor­stel­len, dass sol­che Schick­sa­le nicht zu bewäl­ti­gen sind. Weder ratio­nal noch emotional.

Sol­che „Nach­rich­ten“, die heut­zu­ta­ge im Inter­net ver­brei­tet wer­den, neh­men vie­le für bare Münze:

Bis jetzt haben mus­li­mi­sche Krie­ger etwa 270 Mil­lio­nen Men­schen getö­tet. Das ist mehr als jeder Ein­zel­ne, jedes Land, jede Grup­pe oder jedes Welt­reich jemals in der Geschich­te getö­tet hat. Bei wei­tem. An zwei­ter Stel­le steht das kom­mu­nis­ti­sche Chi­na, das 77 Mil­lio­nen Men­schen getö­tet hat.

Ich ver­lin­ke die Quel­le hier nicht. Den Dreck kann man goo­geln. Genau wie den von jenen Leu­ten, für die immer noch ihre „Wahr­heit“ über den Holo­caust verbreiten.

Wel­che Absich­ten die Autoren sol­cher Sät­ze ver­fol­gen, muss ich nicht aus­füh­ren. Es geht dar­um, Men­schen gegen­ein­an­der auf­zu­sta­cheln und kon­kret dar­um, Mus­li­me aus­zu­gren­zen. Heu­te, zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts. Wir leben aktu­ell in Deutsch­land mit ca. 5 oder 5 1/​2 Mil­lio­nen Mus­li­men zusam­men. Vie­le von ihnen haben längst die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit und sind bes­tens in unser Land inte­griert. Ande­re müs­sen durch die Fol­gen der Flücht­lings­kri­se in den nächs­ten Jah­ren hier eine fest Hei­mat fin­den, und sicher gehen vie­le auch wie­der in ihre Hei­mat­län­der zurück.

Was jeder spürt und sieht, ist, dass sich die Hal­tung vie­ler Deut­scher gegen­über mus­li­mi­schen Mit­bür­gern sehr zum Schlech­ten hin ver­än­dert hat. Wenn ich jetzt schrei­be, dass wir das nicht zulas­sen dür­fen, was glaubt ihr, wie vie­le Men­schen füh­len sich ange­spro­chen füh­len oder sogar zum Han­deln aufgefordert?

Ich sehe beim Spa­zie­ren oder Ein­kau­fen Fami­li­en mit einem oder meh­re­ren Kin­dern. Viel­leicht stam­men sie aus Syri­en und sie sind 2015, 2016 oder schon vor­her zu uns gekom­men. Ich beob­ach­te sie ein biss­chen und freue mich über das, was ich sehe. Sehr sogar. Die meis­tens noch klei­nen Kin­der lau­fen oder fah­ren mit ihren Räd­chen neben ihren Eltern. Sie lachen und sind ver­gnügt. Ich fra­ge mich in so einem Moment, was die­se oft noch jun­gen Leu­te schon an schlim­men Schick­sa­len hin­ter sich haben. Ist Deutsch­land für sie ein Land, das ihnen die Sicher­heit gibt, die sie für eine lan­ge Zeit ver­lo­ren hatten?

Es inter­es­siert mich nicht wirk­lich, dass mich mei­ne rech­ten Freun­de in Dis­kus­sio­nen im Inter­net als sen­ti­men­ta­len Gut­men­schen abtun, der außer­dem kei­ne Ahnung davon hat, was wirk­lich auf die­ser Welt wirk­lich abgeht. Mir sind Momen­te wich­ti­ger. Sol­che, die ich ver­sucht habe, ein biss­chen zu beschrei­ben. Ich fin­de, es dürf­te mehr Empa­thie in die­ser kom­pli­zier­ten und ver­wir­ren­den Welt geben! Und wenn es Sen­ti­men­ta­li­tät ist – auch nicht schlimm. Alle­mal bes­ser, als nichts mehr zu fühlen. 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Verschwörungstheorien

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