Warum wurde ich schon als 14jähriger Lehrling als Sozi bezeichnet? Das interessiert außer mir keinen, für mich wird die Antwort langsam wichtig.
Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz, wer es mit 40 Jahren noch ist, hat kein Hirn.
georges clemenceau
Den Spruch finde ich zwar doof, trotzdem muss ich immer wieder einmal an ihn denken… Es ist halt immer auch etwas Wahres daran. Auch wer Bonmots dieser Art ablehnt, wird er das nicht ganz abstreiten können. 🙂
Hat mein Vater mich so beeinflusst? Schließlich hat er nach seiner Rückkehr aus je fünf Jahren Krieg und russischer Kriegsgefangenschaft immer SPD gewählt. Oder war es meine Mutter, der es wichtig war, dass wir Kinder wussten, was richtig oder falsch ist?
Ist da etwas daran, wenn behauptet wird, dass Linke sich selbst immer für die Guten halten? So’n Quatsch! Ist das die Erklärung dafür, warum der Begriff Gutmenschen eine Weile so inflationär verwendet wurde und zwar hauptsächlich für Linke?
Schließlich will doch jeder auf der richtigen Seite stehen! Wieso unterstellt man das nur Linken?
Apropos: Wo stehen eigentlich die Grünen von heute? Linke sollen sie angeblich ja keine mehr sein. Aber Rechte sind sie natürlich ebenso wenig. Das ist wohl eine zeitgemäße Einordnung. Immer schön in der „neuen“ Mitte bleiben. Hatte das nicht Gerhard Schröder „erfunden“ oder jedenfalls von sich behauptet?
Auch das ist mir egal. Ich will viel lieber wissen, warum ich gegenüber anderen Meinungen immer unduldsamer werde und mich heute wesentlich schwerer damit tue, sie zu respektieren. Das gilt auch für die Exponenten dieser Meinungen. Ich spreche übrigens bewusst nicht von Argumenten.
Soziale Netzwerke
Irgendeiner hat dieser Tage behauptet, die Sozialen Netzwerke würden inzwischen die politische Meinungsbildung maßgeblich prägen. Dass dies nicht positiv gemeint war, wird jede/r LeserIn unterstellen, denke ich. Ich habe mich sehr für den Streit interessiert, der seit Monaten um Hambach vor allem in den sozialen Netzwerken geführt wird. Mich erinnert die Art der Auseinandersetzung sehr an die nach 2015 entstandenen erbitterten Kämpfe um die Deutungshoheit zwischen „Linken und Rechten“. Das einige der Protagonisten trotz unterschiedlicher Themen problemlos ausgetauscht werden konnten, ist gleichermaßen irritierend wie besorgniserregend. Die Grünen spielen den Buhmann für die einen, die bösen Kapitalisten und ihre politischen Unterstützer den für die anderen. Sogar die Art der gegenseitigen Beleidigungen waren im Detail austauschbar. Da war in ganz anderen Zusammenhängen von Nazis die Rede, von rücksichtslosen Egoisten oder von Öko-Jakobinern und Öko-Faschisten.
Dieser Entwicklung, die sich spätestens seit 2015 mit der angeblichen Öffnung unserer Grenzen bzw. dem Erstarken der AfD dramatisch verschärft hat, dürften wir nicht länger zusehen. Allerdings bitte nicht, in dem wir versuchen, die jeweils andere Seite „totzumachen“.
Vermittler / Brückenbauer
Wir müssen wieder in ein wirkliches Gespräch zurückfinden. Nur – wie macht man das, wenn man sich so in einander verbissen hat? Schließlich gibt es keine Partnerschafts- oder Eheberatung für diese Art von Konflikten. Uns fehlen Moderatoren, die auf der gesellschaftlichen Ebene als Brückenbauer fungieren könnten.
Genau hier stoßen wir auf das nächste Problem, das neben den Sozialen Netzwerken und dem Internet seinen Teil dazu beigetragen hat, die harten Konfliktlinien in unseren Gesellschaften entstehen zu lassen. Ich meine unsere Einstellung zu Personen des öffentlichen Lebens (Politiker, Journalisten, Künstler, herausgehobene andere Persönlichkeiten wie Firmenchefs, Bischöfe, Kirchenvertreter, Mitglieder der so genannten Elite ganz allgemein).
Auch die Einstellung zu den Institutionen haben sich negativ verändert. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist umstritten, der DFB (DIE MANNSCHAFT sei nicht die Nationalmannschaft, hören wir häufig) Gerichtsurteile werden viel kritischer hinterfragt als jemals zuvor, Gutachter und die Kompetenz ihrer Ersteller werden infrage gestellt, politische Parteien und Gewerkschaften verlieren nicht nur den Rückhalt, sondern auch ihre Mitglieder.
Unsere Maßstäbe legen sich inzwischen oft seltsam quer zum Verstand. Kann man das auf Dauer ausblenden? Rechte monieren, dass bei politisch geförderten Anti-Rechts-Demos linke Punkbands auftreten. Auf der anderen Seite beanstanden Linke beispielsweise Texte von Xavier Naidoo oder irgendwelchen Rappern, weil die Texte gewaltverherrlichend, frauenverachtend sind oder antisemitische Inhalte haben. Diese Auswüchse von politischer Korrektheit findet man also sowohl rechts wie links, obwohl die Rechte seit Jahren einen (in Teilen leider auch erfolgreichen) Kreuzzug gegen die PC führt.
Sarrazin, Buschkowski und Köppel
Sarrazin legt sein neues Buch vor (Spiegel Bestseller) und die Reihen schließen sich unverzüglich. Hier „das“ deutsche Feuilleton, das den Inhalt in Bausch und Bogen heruntermacht und dort die Unterstützer, die vom SPD-Kollegen Buschkowski bis hin zum SVP-Verleger Köppel in der Schweiz reicht. Das dieses Buch trotz aller Relativierungsversuche vor allem dazu beiträgt, die Spaltung unserer Gesellschaft voranzubringen und zwar nicht (nur) zwischen links und rechts bzw. national und liberal, sondern vor allem zwischen Muslimen und der Mehrheitsbevölkerung scheint im Diskurs eine nebensächliche Rolle zu spielen. Sofern er überhaupt noch geführt wird.
Engagement
Vielleicht steckt ein Trend zur Individualisierung unserer westlichen Gesellschaften hinter alldem? Nicht nur die Parteien verlieren ihre Bindekraft, die Gewerkschaften und die meisten anderen Institutionen (Kirche, sogar die freiwillige Feuerwehr) klagt über Austritte und große Nachwuchssorgen. Auf der anderen Seite war die Bereitschaft unglaublich hoch, sich 2015 und bis heute in der Flüchtlingshilfe ehrenamtlich zu engagieren.
Nicht links oder rechts, sondern richtig oder falsch
Es gibt Gott sei Dank ganz verwegene Sichtweisen, die unserem Hang zum Schubladendenken auf die Sprünge helfen können. Selbst, wenn sich das in einem einfachen Satz wie: „Nicht links sondern logisch“ oder „Nicht links sondern normal“ äußert, zeigt sich darin ein Lichtblick. Es ist nicht immer das Dogma, das uns wütend macht oder die geistige Beweglichkeit einschränkt. Es geht immer darum, überzeugt davon zu sein, was richtig und was falsch ist. Mit links und rechts hat das oft überhaupt nichts zu tun. Lassen wir uns also nicht kirre machen, sondern kämpfen wir weiter für unsere Überzeugungen. Wir müssen weiter im Gespräch bleiben. Das ist oft hart und führt uns manchmal bis an die Grenze eines noch vertretbaren Blutdrucks. Das Risiko lohnt sich.
Auftritt Petitionsausschuss des Bundestages
Henryk M. Broder und Vera Lengsfeld (Nicht gerade in Topform)
Die Petition, die unter dem Namen „Gemeinsame Erklärung 2018“ bekannt ist, hat über 165.000 Unterzeichner.
Broders Reaktionen im Verfahren (siehe verlinktes Video) halte ich für erwähnenswert, weil er das ausspricht, was viele seiner Gesinnungsgenossen und Fans in dieser Lage von ihm erwartet haben dürften. Er stellt demokratische Regeln infrage, weil sie ihm schlichtweg nicht in den Kram passen. Das ist entlarvend. Broder zeigt in all seinen Vorträgen und eitlen Videos, welche Stimmen in unserem Land noch Chancen haben, gehört zu werden. Es sind jedenfalls nicht die, die konstruktive oder verbindende Ansätze verfolgen.
Wie diskutieren, wie im Gespräch bleiben, ohne Türenknallen und unversöhnlichem Abschied?
- Acht Tipps zum Umgang mit der AfD: Schnappatmung hilft nicht – taz.de
- AfD: Wie mit der AfD umgehen? | ZEIT ONLINE
- AfD-Anhänger-Zähmen leicht gemacht | evangelisch.de
- Was hilft gegen die AfD und Rassismus? – Plaste
- Wie wir (wieder) ins Gespräch kommen – vier Tipps von Organisationsberaterin Jana Stecher | franziskript.de
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