Gleich zweimal wurde ich heute überrascht. Nicht Curio, sondern Gaulands nach AfD-Maßstäben moderater Kandidat, Tino Chrupalla, gewinnt das Rennen um den Co-Vorsitz in der rechtspopulistischen AfD.
Die Partei gab sich Mühe, Geschlossenheit zu zeigen. Die Töne waren auffallend moderat – sogar die von Curio. Dabei ist mir bewusst, dass ich weniger strenge Maßstäbe anlege, als es linke Beobachter des Parteitages tun werden.
So sieht Zukunft aus
Aus dem Willy-Brandt-Haus kamen Nachrichten, die manchem Politiker und Journalisten die schlichte Aussage entlockten, sie seien baff.
Wie konnte das passieren? War der Einfluss der Jusos unter Kevin Kühnert so massiv und wie passt diese Entscheidung eigentlich zum knappen Ergebnis des ersten Wahlganges? Da hat ein Pärchen offenbar besser mobilisieren können, wie das im Poltiksprech heißt.
Jemand twitterte, dass der Wahlausgang schon deshalb gut sei, weil die anderen Parteien so entsetzt wären. Der Satz ist wohl von ähnlicher Qualität wie „der Feind meines Feindes ist mein Freund“.
Die Überraschung mag riesengroß sein. Allerdings ist es schon seltsam, dass viele jetzt so erschrocken tun. Hatten sich nicht ganz viele gewünscht, dass die Koalition aufgibt und es endlich zu Neuwahlen kommt? Nein? Doch nicht!? OK.
Gut, Walter-Borjans und Saskia Esken stehen nicht zwingend für eine Beendigung der Großen Koalition. Jedenfalls klangen sie in den letzten Tagen weniger entschlossen als vorher. Bei Olaf Scholz und Klare Geywitz war es klar, dass sie die Koalition mit der Union fortsetzen wollten. Nun liegt es beim Parteitag der SPD am kommenden Wochenende, was weiter passieren wird. Ausgemacht ist die Kündigung der Groko also noch nicht. Der Parteitag soll das schließlich entscheiden. Wie heißen die Leute, die garantiert das größte Problem mit dem Ende der GroKo hätten? Richtig: SPD – Abgeordnete. Die haben am meisten zu verlieren. Und bei der Union gibts davon auch welche.
Koalition am Ende?
Viele Beobachter sind sicher, dass die heutige Entscheidung mit den möglichen Folgen für die Koalition das endgültige Aus der SPD besiegeln wird. Das Gegenteil ist aber ebenso möglich, wenn auch unwahrscheinlich. Obwohl die aktuellen Umfragen für diese Annahme heute keinen Anlass bieten.
Eine linke Mehrheit ist nicht in Sicht. Allerdings: nach dem letzten Politbarometer fehlen Grünen, SPD und Linken nur vier Prozent, um die Mehrheit im Bundestag haben.
Die „großen“ Sieger
Die AfD, die übrigens sich heute so zugejubelt hat, liegt in den aktuellen Umfragen bei 14%. Man könnte sagen, sie liegt wie Blei in den Regalen. Die Rechtspopulisten verkaufen es als großen Erfolg. Wenn man überlegt, dass der Zugewinn (trotz der Siege in Sachsen und Thüringen) gerade mal 1,4 % gegenüber dem letzten Bundestagswahlergebnis im September – Ergebnis 2017 beträgt, wachsen die Bäume zum Glück eben doch nicht in den Himmel.
Hoffentlich hält die Standhaftigkeit der „Alt-Parteien“! Auch mit besseren Werten müssen sich die Rechtspopulisten keine Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung machen. Nicht im Land und schon gar nicht auf der Bundesebene.
Von früher ™
Link: Rot-Rot-Grün: Die linke Mehrheit im Bundestag könnte regieren – Meinung – Tagesspiegel
Erschreckend finde ich die Reaktionen in vielen Mainstream-Medien. Als ginge gleich die Welt unter, wenn linke Inhalte mal wieder mehr Raum bekämen! Ich sage das ungern, aber es wirkte fast „gleich geschaltet“.
Ganz ähnlich übrigens der Eindruck zur Berichterstattung über Macron, der einen „klarsichtigen, robusten und anspruchsvollen Dialog mit Russland“ für notwendig hält, um Frieden und Stabilität in Europa zu gewährleisten. Was für eine schrecklich Sünde, da muss man gleich drauf hauen und fragen, warum er sich „an Putin ranwanzt“ etc. usw.
Ich bin es so leid. Komme mir manchmal schon vor wie ein DDR-Bürger, weil ich meine, immer mehr „zwischen den Zeilen“ zu erkennen, was nicht ausgesprochen wird. Aber vielleicht ist da auch gar nichts außer einer allgemeinen, selbst laufenden Gehirnwäsche, die nichts kennt als ein „weiter so“ um jeden Preis.
Absolut. Als ob die Welt unterginge, wenn im Land eine linke Politik gemacht würde. Ich erinnere mich immer noch an die Zeit nach der Bankenkrise Ende des vergangenen Jahrzehnts. Da waren sogar konservative neoliberale Journalisten im Zweifel, ob die von ihnen jahrzehntelang vertretene Politik richtig ist. Das „Weiter so“ findet vielleicht nur aus dem Grund statt, dass unsere so genannten Eliten Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust haben? Uns fehlen charismatische „Führer“. Das glaube ich wirklich. Ich respektiere die Wahl der neuen SPD-Vorsitzenden. Aber ich habe nicht geglaubt, dass diese Partei, die immerhin noch ca. 400k Mitglieder hat, keine Persönlichkeiten vorzuweisen hat, die das Niveau des gesehenen Personaltableaus hinausreicht. Vielleicht sind meine Ansprüche einfach viel zu hoch.
Naja, die beiden kennt man halt nicht so und auf den ersten Blick wirken sie nicht gerade „charismatisch“. Aber inhaltlich stehen sie halt doch für eine andere Richtung – und auch dafür, diese „bleierne Zeit“ der GroKo zu beenden – WENN denn kein großes Aufraffen kommt, was allerdings nicht zu erwarten ist.
Ich hoffe, dass die Wirkung sich noch entfaltet und sehe dafür auch Chancen. Dass „Charisma“ alleine (bzw. mit den falschen Inhalten) nicht reicht, sehen wir zum Glück an Höcke, der für seine Klientel wohl der Charismatiker schlechthin ist.
Schau doch mal die tolle Doku „Die Notregierung„, die ich grade gesehen habe. Macht richtig Lust auf das Wagnis, das Elend dieser GroKo endlich zu beenden – trotz allerlei aufzählbarer Leistungen, für die vor allem die SPD steht, was ihr aber nicht zu Gute kam.
Es scheint so, dass sich viele nicht mehr für Sachpolitik und die erzielten Ergebnisse interessieren, sondern nur noch auf die Alarmisten hören. Das ist das Problem unserer Zeit. Da wir die Sozialen Medien nicht lernen zu „beherrschen“ und sie (natürlich) auch nie im Leben abschaffen wollen, müssen wir mit den Folgen leben. Vielleicht dauert dieser Anpassungsprozess lange oder er wird alles ruinieren, wofür Generationen gearbeitet haben. Ich persönlich bin wenig optimistisch, weil die Menschen nun einmal so sind wie sie sind. Nicht lernfähig und zum großen Teil schrecklich leicht zu beeinflussen.
Wahrscheinlich ist meine Sehnsucht nach charismatischen Persönlichkeiten eine Utopie. Ich schaffe es ja nur, Menschen aus der Vergangenheit als Beispiele zu benennen. Ein lebender Mensch, den ich für eine geeignete Führungspersönlichkeit halten würde, muss erst noch geboren werden. 400k Sozialdemokraten und Walter-Borjans und Espen sind das Ergebnis der Wahlen… Wie ich schon geschrieben habe, ich kapier es nicht. Aber was hätte ich gesagt, wenn Schwan und Lauterbach gewonnen hätten? Die beiden mag ich wirklich. Aber ihnen hätte ich die Führung der Partei ebenso wenig zugetraut. Verrückt. Ich bin verdorben von diesem negativen Gerede über andere Menschen.
Danke für den Link. Schau ich mir natürlich an.
Ich gehörte zu den 5,25 Mio. die den ZDF-Film („Winterherz – Tod in einer kalten Nacht“) dem Politdrama (2 Mio.) vorgezogen haben. Ich hatte kurz abgewogen und mich dann für das Unterhaltungsprogramm entschieden. Insofern nochmal Danke für den Link.
Der Film von Lamby ist schrecklich deprimierend. Es wirkt alles total aussichtslos. Wenn ich über die „Alternativen“ nachdenke, wird mir übel. Abgesehen davon, dass ich aus unterschiedlichsten Gründen von den Grünen, der AfD, Linken und der FDP kein Stück bessere Politik erwarte, kommt mir ein Aspekt im Film zu kurz. Der Einfluss einer durch Abertausende von Verstärkern (soziale Medien) gepushte Öffentlichkeit, die immer stärker dazu neigt, alles und jeden in Bausch und Bogen zu verdammen. Auch dieses selbstgefällige Geschwätz eines Rezo zählt nur solange etwas, solange es unterhält.
Dass PolitikerInnen beleidigt, bedroht und angegriffen werden, zählt in diesen Zusammenhängen kaum. Sicher, wir erregen uns kurzfristig, legen aber dann unsere Hände wieder in den Schoss. Wie hilflos Altmaier von den Aktivisten von Friday for Future steht, ist ein Bild, das sich mir fest ins Hirn gebrannt hat. Keiner bekommt eine Chance, der nicht voll auf ihrer Linie ist. Keiner. Dabei gehört Altmaier zu den wenigen bekannten Politikern, denen ich einen ausgeprägten Willen zum Ausgleich unterstelle.
Die Aufrufe #niewiedercdu, #niewiederspd u.s.w. sind eine Absage an die Demokratie. Wenn statt moderater Kräfte der so genannten Mitte radikale Positionen Einfluss gewinnen, macht mir als fast 66jährigem das Sorgen.
Es gibt kein politisches Bewusstsein, nur Egoismus. Und den Hang zur Zerstörung.
Letzteres sehe ich nicht so! (Außer bei etlichen Mainstreamjournalisten, denen alles recht ist, um Schlagzeilen zu produzieren). Die GRÜNEN haben z.B. vernünftige Leute, sie können sachlich diskutieren, haben von dem viel Ahnung, wovon sie sprechen – und seit sie 20plus haben, erlebe ich sie auch vorsichtiger in Sachen radikale Vorschläge.
Auch Rezo war nicht „der Zerstörer“, denn dieses Mem ist in der Youtuber-Szene ein etablierter Begriff für ein Video, das mit vielen vielen Argumenten gegen irgend etwas antritt – und das hat er doch gut gemacht, immerhin eine Mega-Arbeit, allein die vielen wissenschaftl. Quellen! Dass nicht ER etwas „zerstört“, sondern die Selbstzerstörung der CDU angesichts der Erfordernisse dokumentiert, hat er eingangs selbst gesagt.
Heißt jetzt nicht, dass ich allem zustimme, was er da meint – aber als Werk eines bisher politikfernen jungen Menschen war es schon ziemlich großartig!
Was in der Doku gut heraus gearbeitet wurde: das Gefühl, dass die Politik immer viel viel zu langsam ist und dem Problembewusstsein der Leute deutlich hinterher. („Man freut sich noch über ein Zitat in der Sonntags-FAZ…“)
Na, ein weites Feld…
Ich habe Rezo genau zugehört und auch verstanden, wie das Meme Zerstörung in dieser Subkultur zu verstehen ist. Leider sind die Welten nicht so verzahnt, dass der semantische Unterschied geklärt wäre. Im Gegenteil: In den Medien wird mit dem Begriff hantiert und zwar im eigentlichen Wortsinne.
Es geht vllt. weniger um Rezos Kritik (die man natürlich teilen kann) und die angeblich so mühevoll zusammengesetzten Linklisten. Solche finden sich im Netz zuhauf. Notfalls mal die Videos von Thilo Jung und seinen Mitarbeitern durchgehen… Es geht um die Wirkung, die von der Aktion ausgeht. Ich finde es gefährlich, wenn Hashtags aus Frust über 1-2 Themen (Urheberrecht, Klimaschutz) rausgehauen werden und eine Lawine losgetreten wird. Natürlich zeigt das die ganze Misere der Verfassung unserer Demokratie. Vielleicht ist es gut, dass das auf diesem Weg einer breiten Öffentlichkeit klargemacht worden ist. Aber dann kann man auch gleich auf die Populisten der AfD hören.
Ich will ehrlich sein. Mir passt diese Art von pauschaler Demokratiekritik nicht, weil wir so Gefahr laufen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Solche Intentionen stören mein Harmoniebedürfnis ganz empfindlich. 🙂 Den Tenor des Beitrag, den du ja auch hervorgehoben hast, ist deshalb besorgniserregend, weil er zeigt, dass es nicht etwa darum geht, den Stand der heutigen parlamentarischen Demokratie feinzuschleifen oder den Bürgerwillen stärker zu betonen, sondern dass die Grundlage infrage gestellt wird. Diese Forderungen werden mit einer gewissen Unversöhnlichkeit gestellt, dass sie mich schon fast an die Jagdparolen der AfD erinnern. Vielleicht ist die Zeit reif, die parlamentarische Demokratie durch etwas anderes abzulösen. Ich fürchte, dass die Radikalität mit der bestimmte Gruppen voranzugehen versuchen, uns nicht weiterhilft, sondern die Konfrontationen nur weiter zuspitzt.