Vier Jahre nach der Flutkatastrophe im Ahrtal erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz die Ermittlungen gegen den ehemaligen Landrat Jürgen Pföhler und weitere Verantwortliche für beendet. Es gebe keine ausreichenden Hinweise auf strafbares Verhalten, hieß es. Das Ausmaß der Katastrophe sei „nicht konkret vorhersehbar“ gewesen. Für die Angehörigen der über 130 Todesopfer wirkt dieses Fazit wie ein Schlag ins Gesicht, für die Justiz ist es Routine. Doch diese Routine trifft auf eine Gesellschaft, die noch immer kaum gelernt hat, mit Risiko umzugehen.
Das Strafrecht sucht individuelle Schuld, nicht strukturelles Versagen. Und so bleibt die große Leerstelle: Wie konnte es passieren, dass Warnungen versickerten, Kommunikationsketten brachen und Menschen in der Nacht der Flut kaum wussten, was sie tun sollten? Die rechtliche Bewertung erklärt nicht, warum der Katastrophenschutz überfordert war, warum Vertrauen und Vorbereitung fehlten. Sie sagt nur: Niemand war eindeutig schuld – also ist niemand verantwortlich.

Dabei ist die eigentliche Frage längst eine andere. Warum schaffen wir es nicht, Warnungen ernst zu nehmen? Auch in den USA verweigern bei Bränden und Evakuierungen viele Menschen den Aufrufen der Behörden, selbst wenn die Gefahr sichtbar ist. Sie bleiben, weil sie hoffen, dass es sie nicht trifft. Diese psychologische Trägheit kennt keine Grenzen – sie ist menschlich, aber gefährlich.
Ich sehe das in meiner eigenen Stadt. Eine sogenannte Ressourcenschutzsiedlung, gedacht als ökologisches Vorzeigeprojekt, wurde nach einem massiven Regenfall schwer beschädigt. Wasser drang in Häuser, Straßen verwandelten sich in Bäche, die Schäden gehen in die Millionen. Wer soll daran schuld sein? Der Bürgermeister, die Planer, das Klima? Niemand will es gewesen sein, und doch waren alle beteiligt – aktiv oder passiv. Auch hier war die Katastrophe nicht unvorhersehbar, nur unerwünscht.
Das Muster ist überall dasselbe: Erst Schock, dann Erklärungen, dann Vergessen. Nach der Welle kommt das Protokoll, nach dem Feuer der Bericht, nach der Schuldfrage das Schweigen. Es reicht nicht, Apps zu verbessern oder Sirenen zu installieren. Nötig wäre eine Kultur, die Verantwortung nicht nur rechtlich, sondern existenziell begreift – als Pflicht, Risiken zu denken, bevor sie real werden.
Die Ahrtalflut war keine Laune der Natur. Sie war ein Spiegel, in dem wir unsere eigene Bequemlichkeit sehen könnten, wenn wir hinschauten. Wir werden den Umgang mit Naturkatastrophen erlernen müssen, denn sie nehmen zu und am Verhalten der Menschen ändert sich wenig und wenn überhaupt, nur sehr langsam. Mein Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Wetterberichten ist auch nicht allzu groß. Aber die Katastrophe im Ahrtal war insofern vorhersehbar, als es Warnungen auf irgendwelchen Seiten im Web gab. Der Umgang damit war den vermeintlich Betroffenen allein überlassen. Offizielle Stellen haben teilweise versagt und sind ihrer Verantwortung nicht in der Weise nachgekommen, dass man ihnen im Nachhinein eine individuelle Schuld nachweisen könnte. Sehen wir mal, was wir aus den zunehmenden Katastrophen mitnehmen und ob unsere Lernkurve dafür ausreicht.

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