“Es geht darum, den Willen der Mehrheitsbevölkerung zu brechen“. Jau, Frau Voss. Eine Nummer kleiner haben Sie es nicht? Wenn ich die Intention dieses Machwerks richtig deute, sagen seine Macher, dass alle “Parteien der Mitte” sich an grundsĂ€tzlichen demokratischen Spiegelregeln vergangen haben. Dass jetzt, also nach dem Regierungswechsel, genauso weitergemacht wird, sollte die Macher der “Doku” verstören. Aber halt, nicht nur die AfD redet ja von Systemparteien. Dann passts ja.
Vielleicht sollten Demokraten dem rechten Abschaum mit allen gebotenen Mitteln Paroli bieten! Dieser Meinung können die Macher der Reportage ganz sicher nicht folgen. Vielleicht ist es gut, dass das Machwerk so wenig Resonanz bekommen hat?
Da geistert also dieses âWerkâ von NIUS (“groĂen Investigativ-Dokumentation”) durch die Timelines: Ein Video, das sich âDokumentationâ nennt, aber in Wahrheit ein ideologisch aufgeladener Rundumschlag gegen alles ist, was als âlinks-grĂŒnâ gelabelt werden kann, Union wohl inklusive. Verpackt wird das Ganze in sachlich klingende Kommentare, emotionslose Schnittbilder, professionell ausgeleuchtete Interviews. Der Zuschauer bekommt ein GefĂŒhl von SeriositĂ€t â obwohl er sich inmitten einer orchestrierten Kampagne befindet.
Was dort gegen NGOs, Medien, Politik und gesellschaftlichen Zusammenhalt ins Feld gefĂŒhrt wird, ist keine neutrale Analyse, sondern eine Rhetorik, die gezielt misstrauisch, spaltend, moralisierend arbeitet. Die Demokratie wird in ein schiefes Licht getaucht â nicht durch offene Feinde, sondern durch Menschen im MaĂanzug.
Eine BĂŒhne fĂŒr rechte Intellektualisierung
Auch irritierend: der Auftritt von RA Joachim Steinhöfel. Er ist offensichtlich inzwischen der Haus- und Hof-Anwalt von Reichelts Gnaden. KĂŒrzlich hatte er ihn erst heraus geboxt, was aus seiner Sicht natĂŒrlich ein triumphaler Sieg gegen die verhasste staatliche Bundesinnenministerin Faeser (SPD) war. Der Sieg wurde selbstredend entsprechend ausgeschlachtet. Steinhöfel beschreibt, dass fĂŒr NGO’s MilliardenbetrĂ€ge ausgegeben wĂŒrden, die anderswo fehlen. Er wird wissen, dass die meisten Mittel fĂŒr die Finanzierung von NGO’s ausgegeben werden, die im Ausland arbeiten. Es handelte sich dort um MilliardenbetrĂ€ge. Die NGO’s, die die Feindesliste dieser investigativen Richter des Volkes anfĂŒhren, erhalten weniger Geld. Es wurden in 2023 182 Millionen EURO zur VerfĂŒgung gestellt und ca. 165 Millionen EURO ausgegeben. Die seitenlange Projektliste ist beeindruckend.
Die politische Gesinnung schweiĂt offensichtlich zusammen. Ein Jurist, ĂŒber den ich als Laiendarstellung schon vor Jahrzehnten ĂŒberflĂŒssigerweise aufgeregt habe. Heute nutzt er seine Eloquenz und sein anwaltschaftliches Können, um ganz im Duktus des Rechtspopulismus zu âentlarvenâ. Was er sagt, bleibt formaljuristisch meist im Rahmen. FĂŒr einen Juristen natĂŒrlich kein Zufall. Doch genau darin liegt das Gift: Meiner Ansicht nach tarnen seine Aussagen sich als Analyse, wĂ€hrend sie Narrative bedienen, die nicht etwa auf Rechtsstaatlichkeit zielen, sondern auf ihre Aushöhlung.
Der Zwang, in der öffentlichen Debatte besonders aufzufallen, um so mehr Spenden zu generieren, zwingt Nichtregierungsorganisationen geradezu, moralische Empörung hervorzurufen. Sorgen und Ăngste der Menschen wĂŒrden, so Herfried MĂŒnkler 2018, im Gestus der moralischen Empörung von Medienspezialisten der Nichtregierungsorganisationen âbewirtschaftetâ.
Quelle
Wenn Steinhöfel von einem âsemi-legalen NGO-Komplexâ spricht, suggeriert er mafiöse Strukturen â ohne Belege, ohne journalistische Redlichkeit. Dass er damit die BĂŒhne einer âReportageâ nutzt, die keinerlei Distanz zum Gesagten wahrt, macht die Sache noch prekĂ€rer.
Hier die Aussagen Steinhöfels im Video:
âWir haben es hier beim NGO-Komplex mit einem Schattengebilde zu tun.â
âDa findet auch eine unfassbare Verschwendung von Steuermitteln statt.â
âHier wird Gesellschaftspolitik gemacht, und Gesellschaftspolitik legt quasi die Leitplanken fest, was in einem Land gedacht wird. Und was heute tabuisiert wird, kann auch morgen nicht reale Politik werden.â
âMan erschafft ein Klima der Angst, ein Klima der EinschĂŒchterung, wo ganz gezielt versucht wird, Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben zu drĂ€ngen â und zwar mit dem Mittel der AnschwĂ€rzung.â
âWir haben jetzt den Rest der wichtigen Fragen genommen, sie so umformuliert, dass man sie auch vor Gericht geltend machen kann.â
âDer Staat versucht Steuergelder verfassungswidrig zu instrumentalisieren, damit seine ErfĂŒllungsgehilfen in den NGOs die Arbeit fĂŒr ihn erledigen, die ihm selber verboten ist.â
âDa gehen MilliardenbetrĂ€ge rein, die wir fĂŒr andere Dinge wesentlich besser gebrauchen könnten als fĂŒr die Förderung von politisch einseitigen Programmen.â
âWenn der Staat diese Gelder verteilt, um Journalismus zu unterstĂŒtzen, frage ich mich: Wie machtkritisch kann denn ein solcher Journalismus noch sein?â
âWir reden nicht ĂŒber Volksverhetzung, sondern ĂŒber viel schlimmere Dinge â staatsgefĂ€hrdende Delikte.â
Der ehemalige PrĂ€sident des Bundesgerichtshofes, Dr. Thomas Fischer, attestierte Julian Reichelt âkenntnisfreie Panikmache und rechtspolitische Scharfmacherei auf sehr niedrigem Niveau”. Man möchte sagen, dem sei nichts hinzuzufĂŒgen. Aber das ist einer, dem man nicht klar genug widersprechen kann.
Eine Empörungswelle bleibt aus
Und wo bleibt die Kritik?
Sie kam – vielleicht kommt sie noch etwas vehementer. Aber sie ist zersplittert, leise, vielleicht sogar erschöpft. All die miesen Nachrichten sorgen eher dafĂŒr, dass die “immer miesgelaunten” Deutschen solchen Leuten zustimmen. Jedenfalls, wenn ich mir die Kommentare unter dem YouTube-Video anschaue, könnte man das denken. Ein paar Kommentare auf Twitter (Pardon: X). Sonst nichts? Das alles bleibt wirkungslos gegen die Macht der VorwĂŒrfe und Unterstellungen und den algorithmisch verstĂ€rkten Drive solcher Produktionen.
Dass ehemalige Ministerinnen wie Kristina Schröder sich solchen Formaten zur VerfĂŒgung stellen, zeigt, wie tief der Bruch mit der politischen Mitte inzwischen reicht.
Wer auf YouTube unterwegs ist, trifft auf Kommentare, die den Tenor des Videos feiern. âEndlich spricht es mal einer aus.â Doch was wird da ausgesprochen? Kein neues Wissen. Kein fundierter Einblick. Sondern die Wiederholung rechter Talking Points, geschickt ummantelt von Pseudojournalismus.
Keine kritische Ăffentlichkeit in Sicht?
Dass sich bislang keine groĂen Redaktionen öffentlich positioniert haben, lĂ€sst tief blicken. Vielleicht, weil man das Produkt fĂŒr zu plump hĂ€lt. Vielleicht, weil man sich keine Fehde mit den lautesten Teilen des Internets leisten will. Oder vielleicht, weil es bequem ist, sich nicht einzumischen â solange sich der Hass gegen NGOs und nicht gegen MedienhĂ€user selbst richtet.
Doch genau diese Bequemlichkeit ist gefĂ€hrlich. Denn was heute als âDokumentationâ getarnt viral geht, ist morgen das Fundament politischer Narrative, die nicht mehr hinterfragt werden.
Zeit, die Stimme zu erheben
Wir brauchen keine Zensur. Wir brauchen keine Repression. Deshalb auch keine NGO’s, die auf unsere Demokratie aufpassen! Was wir brauchen, ist eine öffentlich sichtbare, streitbare, faktenbasierte Auseinandersetzung mit Desinformation, auch wenn sie im feinen Gewand daherkommt. Steinhöfel darf sagen, was er will â aber es ist unsere Aufgabe, das einzuordnen, zu widersprechen, aufzudecken.
Was jedoch von NIUS als âAufklĂ€rungâ verkauft wird, ist in Wahrheit ein Angriff auf den gesellschaftlichen Kitt. So sehe ich da. Man möchte die Parteien, die die Regierung tragen, “vorfĂŒhren” bzw. deren MaĂnahmen ad absurdum fĂŒhren.
Und wer dazu schweigt, macht sich nicht neutral â sondern ĂŒberflĂŒssig.
Was erzÀhlt Julian Reichelt im Beitrag?
Er tritt primÀr als ErzÀhler und Kommentator auf, seine Aussagen sind deshalb oft paraphrasierend und rahmend. Hier einige typische Aussagen:
âMilliarden Euro Steuergeld sind in den letzten 10 Jahren in den NGO-Komplex geflossen â ein Geflecht von Organisationen, die dem Land eine linke Agenda aufzwingen.â
âMit Steuergeld greifen die NGOs in den Wahlkampf ein.â
âDer NGO-Komplex holt immer mehr Migranten ins Land und sorgt dafĂŒr, dass sie bleiben dĂŒrfen.â
âDie NGOs treiben das Land in die Deindustrialisierung.â
âSie verstehen es wirklich, aus einer Minderheitenposition heraus der Mehrheit ihren politischen Willen aufzuzwingen â das finde ich gefĂ€hrlich.â
âSteuerfinanzierter Journalismus ist ein Widerspruch in sich.â
âMit einer perfiden Technik der Insinuation gelang es dem steuerfinanzierten Medium Korrektiv, ein erlogenes SchauermĂ€rchen als Wahrheit zu verkaufen.â
âSteuergeld wird verwendet, um die Opposition zu diskreditieren und eine linke Hegemonie zu etablieren.â
âSo erschafft der NGO-Komplex eine linke Hegemonie, die eine konservative Wende unmöglich macht und den Willen der WĂ€hler zu brechen versucht.â
Die Zitate habe ich dem Transkript des YouTube-Videos entnommen. Hoffentlich habe ich dabei keine falschen Zuordnungen zu Steinhöfel oder Reichelt vorgenommen.
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