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Die EU hat wieder zugeschlagen: Ein weiterer Millionenbetrag als Strafzahlung gegen ein US-Tech-Unternehmen, diesmal X von Elon Musk. Offiziell geht es um Verstöße gegen europäische Regeln, um Transparenz, um Schutz der Nutzerinnen und Nutzer. Gleichzeitig fährt X als „Revanche“ ein Werbeverbot für die EU aus – Anzeigenkunden können auf der Plattform keine Werbung mehr für EU-Institutionen schalten, angeblich, weil dies gegen interne Regeln verstoße. Formal mag das alles in sauber begründeten Bescheiden, Verfahren und Paragrafen daherkommen. Politisch wirkt es wie ein asymmetrischer Schlagabtausch zwischen einer regulierenden Macht, die vor allem Strafen kennt, und Konzernen, die die eigentliche Infrastruktur der öffentlichen Kommunikation kontrollieren.
Das Strafregime der EU funktioniert erstaunlich effizient, solange man nur auf den technischen Vollzug schaut. Die Kommission erlässt Bußgeldbescheide, setzt Fristen, nennt Konten. Nicht selten hängen Milliardenbeträge an solchen Entscheidungen, und die Unternehmen zahlen oder hinterlegen Bankbürgschaften, während sie vor Gericht ziehen. Die Strafe selbst wird zur kalkulierbaren Kostenposition im globalen Geschäftsmodell, zum einkalkulierten „Regulierungsrisiko“. Die EU kann sich damit rühmen, „durchzugreifen“, ohne dass sich an der grundlegenden Machtasymmetrie viel ändert: Die Plattformen bestimmen weiterhin die Infrastruktur der digitalen Öffentlichkeit, die Regeln der Sichtbarkeit, die Formate des Diskurses.
Sanktionierung statt Innovation?
Interessant ist, was fehlt: eine ernsthafte europäische Strategie, diese Abhängigkeit strukturell zu verringern. Man erlebt ein hochentwickeltes System der Sanktionierung, aber kaum eine Vision für den Aufbau eigenständiger Alternativen. Stattdessen entstehen überall in Europa riesige Rechenzentren internationaler Konzerne – in Deutschland etwa Standorte von Microsoft in Bedburg oder Elsdorf (meiner Heimat). Sie binden Fläche, Energie, Netzinfrastruktur, Kühlwasser und politische Aufmerksamkeit, schaffen aber im Verhältnis zur Größe nur wenige qualifizierte Arbeitsplätze. Der ökonomische Wertschöpfungskern bleibt in den USA, die Steueroptimierung ist global organisiert, und vor Ort bleiben Lasten und symbolische „Ankerinvestitionen“, mit denen sich lokale Politik schmückt.
Das Paradox: Die EU verteidigt lautstark ihre „digitale Souveränität“, während sie zugleich die materielle Basis dieser Souveränität privatisiert und in die Hände ausländischer Anbieter legt. Strafzahlungen fließen in Haushalte und werden dort zu einer Art moralischer Kompensation: Man verweist auf die Milliardenbußen und verkauft sie als Beweis politischer Stärke. In der Praxis fungieren sie jedoch oft als nachträgliche Abgabe auf ein Geschäftsmodell, das längst etabliert ist und dessen Regeln die EU nur partiell beeinflussen kann. Die eigentlichen Hebel – konsequente Förderung europäischer Plattformen, gemeinsame öffentliche Infrastrukturen für Kommunikation, Datenhaltung und Identität, klare industriepolitische Leitplanken – bleiben schwach oder fragmentiert.
X als Beispiel für kurzatmige Politik
Die Episode um X und das Werbeverbot gegenüber der EU illustriert diese Schieflage. Hier prallen zwei sehr unterschiedliche Logiken aufeinander: Auf der einen Seite die juristisch-bürokratische Logik des europäischen Verwaltungsstaats, der über Verfahren, Fristen und Bußgeldrahmen agiert. Auf der anderen Seite die unternehmerische Plattformlogik, die im Zweifel einfach Funktionen abschaltet, Zugänge beschränkt oder Märkte segmentiert. Die EU kann Strafen verhängen, aber sie kann nicht erzwingen, dass ein privater US-Anbieter politische Kommunikation nach ihren Vorstellungen ermöglicht. Und solange keine tragfähigen europäischen Alternativen existieren, zahlen die Nutzerinnen und Nutzer den Preis – durch Abhängigkeit, durch eingeschränkte Reichweiten, durch die permanente Unsicherheit, ob die Plattform von heute morgen noch dieselbe ist.
Hinzu kommt eine gewisse Selbstberuhigung durch Regulierungssprache. Man spricht von „Durchsetzung“, „Compliance“, „Enforcement“, als läge die Lösung des Problems primär im richtigen Normvollzug. Tatsächlich verlagert sich die Debatte weg von der Frage, was eine öffentliche, demokratisch kontrollierte digitale Infrastruktur leisten müsste, hin zu der Frage, wie man private, gewinnorientierte Plattformen möglichst eng rechtlich einhegt. Die großen Rechenzentren auf europäischem Boden wirken dabei wie materielle Symbole einer Souveränität, die es faktisch nicht gibt: Die Hardware steht in Europa, aber die Wertschöpfung, die Software und die strategische Kontrolle bleiben transatlantisch verschoben.
Strafe ersetzt keine Digitalpolitik
Es ist kein Zufall, dass in dieser Konstellation „Strafe“ zur bevorzugten Ausdrucksform europäischer Digitalpolitik geworden ist. Wo kein eigener Gestaltungsanspruch für alternative Infrastrukturen existiert, bleibt das Nachregulieren als Reaktion. Wo kein politischer Wille zur echten industriepolitischen Weichenstellung vorhanden ist, werden Bußgelder zum Ersatzhandeln – sichtbar, medientauglich, moralisch aufgeladen. Dass damit ausgerechnet jene Konzerne weiter gestärkt werden, die sich solche Strafzahlungen leisten können, ist der vielleicht bitterste Nebeneffekt. Kleinere, europäische Anbieter brechen an Hürden und Kosten, bevor sie überhaupt in eine Größenordnung kommen, in der es sich lohnen würde, Strafen als kalkuliertes Risiko zu betrachten.
Der Konflikt mit X zeigt deshalb mehr als nur die Launen eines Eigentümers oder die Härte europäischer Regulierer. Er legt offen, wie wenig vorbereitet die EU auf den Moment ist, in dem ein globaler Plattformbetreiber beschließt, seine Macht auch politisch auszuüben. Wer keine eigene Infrastruktur besitzt, kann nur begrenzt drohen, regulieren oder kompensieren. Die eigentliche Debatte müsste daher lauten: Wie sieht eine europäische Ordnung aus, die über Strafen hinausgeht und bewusst eigene, verlässliche Räume digitaler Öffentlichkeit schafft? Solange diese Frage offen bleibt, bleibt das Strafregime das starke, aber letztlich hilflose Instrument einer Politik, die ihre Abhängigkeiten verwaltet, statt sie zu überwinden.



Du schreibst mir aus der Seele!
Schon lange wünsche ich mir z.B. eine Plattform für den ÖRR, auf der man sämtliche Aspekte, Sender und Sendungen debattieren und bewerten kann! Man könnte verifizierte Anmeldungen mit Klarnamen zur Pflicht machen (öffentlich dann Pseudonyme, wenn gewünscht), um die Massen von Bots und schlimmsten Hater draußen zu halten. Es gäbe bestimmt genug Freundinnen und Freunde des ÖRR, die da gerne mitmachen würden!