Es ist erneut eine Zeit für den deutschen Fußball angebrochen, die insbesondere die Fankultur verändern könnte. In den Kurven brennt Leidenschaft, auf den Straßen daneben gelegentlich die Lunte. Seit 2020 (um einen überschaubaren aktuellen Zeitraum zu beleuchten) haben wir eine Reihe von Momenten erlebt, die hängenbleiben wie der Geruch von Pyro in der Jacke – nur eben bitterer.

Ich bin ein alter Mann, der sich von seiner ehemaligen Begeisterung für den Fußball entfernt hat. Das hat nicht nur mit der heute bestehenden Fankultur zusammen, die ich eigentlich nie wirklich verstanden habe, sondern eher mit der Entwicklung, die dieser Sport in den vergangenen Jahrzehnten genommen hat. Als Spielverderber möchte ich dennoch nicht gelten, obwohl ich meinen Standpunkt zu dem, was Fußball heute (auch) ist, nicht zum ersten Mal darlege.
Da war 2021 die Schalker Abstiegsnacht, als ein wütender Mob Spieler und Verantwortliche bedrängte und jagte, ein Zusammenbruch von Anstand im Angesicht der empfundenen sportlichen Katastrophe. Das war keine „Fanromantik“, sondern nackte Drohung.
2022 dann Stuttgart: ein Platzsturm nach dem Klassenerhalt, der im Taumel der Freude kippte – mit Verletzten und Polizeieinsatz. Euphorie ist schön, aber wenn sie ausufert, rennt sie wie ein Elefant durch den buchstäblichen Porzellanladen.
2023 zeigte, wie schnell Derby-Energie in blanke Aggression überspringen kann. Nach Schalke gegen Frankfurt flogen Menschen aufeinander los, später suchte die Polizei mit Bildern nach Beteiligten, Verfahren und Stadionverbote folgten. Und im November desselben Jahres eskalierte der Einlass in Bochum gegen Köln, Pfefferspray, Verletzte, Vorwürfe – wieder dieser Punkt, an dem Misstrauen und Stress den Funken liefern.

Der düsterste Marker steht auf dem 25. November 2023: Frankfurt gegen Stuttgart, über hundert Verletzte, Sonderkommission, Nachwehen bis heute. Wer da noch so tut, als sei das alles nur „ein bisschen Landesfriedensbruch wie früher“, hat den Ernst der Lage nicht verstanden.
2024 das Rhein-Derby Gladbach gegen Köln: über 200 „Problemfans“ in Gewahrsam, Pyro, Schlagstock, verletzte Beamte. Organisierte Gewalt, kein Zufall, kein „Missverständnis“, sondern ein geplant wirkender Kurzkrieg vor dem Stadion.
Nach Gladbach gegen Leipzig wurde der Sonderzug der Leipziger Fans am Bahnhof angegriffen: übelriechende Flüssigkeit (Buttersäure-Verdacht), Flaschenwürfe, Verletzte – das war keine Fan-Choreo, das war Anschlags-Logik.
Damit sind wir bei Leipzig. Die Vorbehalte gegen RB sind offenbar tief im Selbstbild vieler Kurven verankert. Man kann das mögen oder nicht – aber man muss es nüchtern beschreiben: RB ist für viele Ultras Projektionsfläche für „Investorentum“, für den Verlust eines als ursprünglich imaginierten Spiels. Deshalb gibt es Boykotte, Banner, 12-Minuten-Schweigen, Pfeifkonzerte – Protest als Symbolsprache. Gewalt dagegen ist im direkten RB-Kontext eher die Ausnahme. 2025 in Gladbach war so eine Ausnahme, und sie ist gerade deshalb so beunruhigend.
Auf einer Fanseite von St. Pauli wird behauptet, „populistische Politiker“ würden die Fankultur grundlos zerstören, Unwahrheiten verbreiten und die Kurve politisch bekämpfen. Ich verstehe den Impuls, wirklich. Wer die Kurve liebt, spürt jede neue Kontrollmaßnahme wie kalten Regen im Nacken. Und ja: Innenpolitik nutzt Fußball manchmal als Bühne für Law-and-Order-Signale. Das riecht nach Wahlkampf, nicht nach Problemlösung.
Aber: „völlig grundlos“ ist zu bequem. Das ist (spätestens) der Punkt, an dem ich widerspreche. Denn die Bilanz seit 2020 (ich habe hier nur diesen Zeitraum betrachtet, die negative Entwicklung begann vor Jahrzehnten) ist eben keine Sammlung friedlicher Missverständnisse, sondern eine Kette harter Eskalationen – teils Fan gegen Fan, teils Fan gegen Polizei, teils Fan gegen Verein. Wer das ausblendet, liefert den Hardlinern erst recht das Argument, das sie suchen.
Fankultur ist ein Schatz, ja. Aber sie ist kein Freifahrtschein. Und genauso wenig ist Sicherheitspolitik automatisch „Populismus“. Die Wahrheit ist leider grauer, wie so oft. Es gibt Politiker, die mit der Angst spielen – und es gibt Fanmilieus, die Gewalt als Stilmittel pflegen oder zumindest dulden. Beides sägt am selben Ast.
Was mich daran am meisten beschäftigt: Der Krawall hat seine eigene Ökonomie. Er lebt von Feindbildern, von Ritualen, von dem Kitzel, „dagegen“ zu sein. Bei RB wird das sichtbar, weil dort Protest leicht zu begründen ist – aber das Muster findet sich genauso in Traditions-Derbys, wenn der Kick nicht mehr auf dem Rasen gesucht wird, sondern in der Unterführung oder am Bahnhof.
Vielleicht wäre der ehrlichste Satz unserer Zeit: Die Kurve wird nicht von außen allein bedroht. Sie kann sich auch von innen beschädigen. Wenn wir sie erhalten wollen, brauchen wir zwei Dinge gleichzeitig: klare Grenzen gegen Gewalt in den eigenen Reihen – und klare Kante gegen politische Symbolpolitik, die Fans pauschal zu Gefährdern erklärt. Das eine ohne das andere ist nur eine halbe Wahrheit.



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