Weidels Worte kommen wie Hammerschläge. Scharf, düster, rhythmisch. Ihr Deutschland ist ein Schiff (Titanic) im Untergang, ein Land am Rand des Kollapses. Wer dieser Rede lauscht, könnte meinen, Berlin stehe bereits in Flammen und der Untergang sei nur noch eine Frage von kurzer Zeit. Die rhetorische Inszenierung beeindruckt, das muss man ihr lassen. Ich sage das, obwohl mir ihr Gerede Übelkeit verursacht.
Aber sobald der Pulverdampf abzieht, zeigt sich ein anderes Bild: Die geschliffene, scharfe Rede Weidels baut im Abgleich mit den 12 von ihr vorgetragenen Punkten irreale Luftschlösser, aber sie hat keine realistischen Grundlagen. Genau darum geht es.
Und es geht um mehr: Die AfD ist nicht einfach eine „Protestpartei“, sie ist eine rechtsextremistische Partei, die die Grundlagen unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats angreift. Hetzerische Reden helfen nicht. AfD-Denke ist nicht konstruktiv, sondern zeigt ihre Gefährlichkeit für die Demokratie.
Zwölf Punkte ohne Bodenhaftung
Weidel präsentiert ihren Zwölf-Punkte-Plan wie eine Notbremse für ein angeblich völlig entgleistes Land:
- Rückkehr zur Kernkraft und Ende der Energiewende
- Abschaffung von CO₂-Preis und Emissionshandel
- „Entfesselung“ der Wirtschaft durch Steuersenkungen
- Sozialleistungen nur für eine eng definierte „Solidargemeinschaft“
- eine kapitalgedeckte Dreisäulenrente
- geschlossene Grenzen, Zurückweisungen, Abschiebungen
- Sachleistungen statt Geld, strengere Einbürgerung
- drastischer Sparkurs des Staates
- Ende der Finanzierung unliebsamer NGOs
- Abschaffung des Rundfunkbeitrags
- umfassende Steuervereinfachung
- eine große Steuerreform mit niedrigen Sätzen und hohen Freibeträgen
Die Themenliste klingt nach alldem, was wir alle aus dumpfen „Debattenbeiträgen“ kennen. i.d.R. hört man all dies aus dem Lager der ewig Unzufriedenen. Von Dankbarkeit für ein gutes Leben in Frieden und Freiheit ist nichts zu hören. Ich meine nicht Dankbarkeit gegenüber den etablierten (demokratischen) Parteien, sondern unserem Land. Offenbar verlieren wir das Vertrauen, obwohl es dafür keinen Anlass gibt. Es wird vieles schwieriger und manches, was uns die Politik zumutet, findet nicht unsere Zustimmung. Aber so den Kopf hängen zu lassen, wie das im Moment geschieht, ist wenig zielführend und dient nur den Extremisten, die dadurch Oberwasser bekommen.
Viele Menschen favorisieren einfache Lösungen. Vielleicht auch, weil sie sich mit der Komplexität heutiger Verhältnisse nicht beschäftigen wollen und sie diese unzureichend durchdringen. Trotz all der Informationen, die uns zur Verfügung stehen, fühlen wir uns häufig überfordert.
Einfach Lösungen bietet Weidels AfD also en masse. Ihre Ansagen, die ewigen Schuldzuweisungen an die regierenden Parteien, wirken für manche vielleicht wie ein Gesamtplan, in der Realität sind sie ein Sammelsurium aus rechtlich Unmöglichem, finanziell Unbezahlbarem und politisch Brandgefährlichem.
Energie, Klima, Industrie: Politik gegen Physik und Verträge
Ihr erster Punkt ist ein Symbol für den ganzen Plan: Energiewende stoppen, Kernkraft wieder aufbauen. Das klingt entschlossen, ist aber ein Märchen aus einer anderen Zeit. Die alten Meiler sind abgeschaltet, teilweise zurückgebaut, das Personal ist weg. Genehmigungen dauern Jahre, neue Reaktoren Jahrzehnte. Technisch, finanziell und politisch ist dieser Weg tot.
Auch die Forderung, den CO₂-Preis und den Emissionshandel abzuschaffen, ist Wunschdenken. Beides ist in EU-Recht eingebettet. Deutschland kann das nicht einfach im Alleingang beenden. Was Weidel als Befreiungsschlag verkauft, wäre rechtlich schlicht nicht machbar.
Ähnlich leer bleibt das Versprechen, die Industrie zu „entfesseln“. Weniger Steuern, weniger Abgaben, weniger Staat – das klingt schön. Aber wenn man gleichzeitig keine konkreten Kürzungen nennt, ist das reine Illusion. Wer den Gürtel enger schnallen und die Hose gleichzeitig größer nähen will, macht sich lächerlich. Bürokratieabbau ist wichtig, aber die AfD begleitet entsprechende Vorhaben in der Realität nicht konstruktiv, sondern blockierend und skandalisierend.
Sozialstaat, Rente, Migration: ein völkischer Blick auf Politik
Besonders deutlich zeigt sich die rechtsextreme Denke beim Sozialstaat. Sozialleistungen nur noch für eine „Solidargemeinschaft“, wie die AfD sie definiert, bedeutet im Klartext: Millionen Menschen würden faktisch von existenzieller Absicherung ausgeschlossen. Das verstößt frontal gegen die Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes. Hinter diesen einfachen Parolen steht ein völkisches Menschenbild, das in einem modernen Deutschland keinen Platz haben darf.
Die Dreisäulenrente mit Kapitaldeckung und Einbezug der Beamten klingt auf den ersten Blick nach einem ernsthaften Reformvorschlag. Tatsächlich wird über so etwas in der Fachwelt ja durchaus diskutiert. Aber: Weidel liefert keine Zahlen, keine Übergangsmodelle, keine Finanzierung. Eine solche Reform würde in der Übergangsphase dreistellige Milliardenbeträge verschlingen. Auch hier: große Geste, keine Substanz.
Noch härter wird es beim Thema Migration. „Politik der geschlossenen Tür“, Zurückweisung an der Grenze, Massenabschiebungen – das alles ignoriert nicht nur geltendes Asyl- und Völkerrecht, sondern auch die Realität eines Europas ohne Schlagbäume. Deutschland hat neun Nachbarländer und ist wirtschaftlich auf offene Grenzen angewiesen. Was Weidel hier ins Mikrofon brüllt, mag für AfD-Stammtische wie eine Lösung klingen. In der Praxis würde es scheitern – und nebenbei die Grundlagen des Rechtsstaats demolieren.
Staat, Medien, Steuern: Angriff auf das demokratische Fundament
Wenn Weidel davon spricht, der Staat müsse drastisch sparen, lässt sie offen, wo gekürzt werden soll. Rente? Pflege? Schulen? Polizei? Infrastruktur? Ohne diese Ehrlichkeit bleibt auch dieser Punkt ein reines Stimmungsinstrument.
Der Angriff auf NGOs und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk passt zum Muster der AfD: kritische Zivilgesellschaft und unabhängige Medien sollen delegitimiert und finanziell ausgetrocknet werden. Die „Antifa“ verbieten zu wollen, ist schon auf der Ebene des Begriffs absurd – es gibt sie nicht als einheitliche Organisation. Die Abschaffung des Rundfunkbeitrags würde das föderale System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sprengen, wofür alle Bundesländer ihre Zustimmung geben müssten. Nichts davon ist realistische Politik – alles ist Signal an ein Milieu, das „die da oben“ und „die Medien“ hassen soll.
Die große Steuerreform mit niedrigen Sätzen, hohen Freibeträgen und Familiensplitting wirkt wie ein Versprechen aus dem Werbeprospekt: Wer würde sich nicht gerne entlasten lassen? Nur: Ohne klare Gegenfinanzierung reißen solche Pläne gewaltige Löcher in den Haushalt. Weidel bleibt Antworten schuldig, weil es ihr nicht um seriöse Steuerpolitik geht, sondern um Effekte.
Warum die AfD gefährlich bleibt
In ihrer Rede kokettiert Weidel mit Donald Trump und stellt die AfD als Kraft dar, die angeblich als Einzige „offene Kanäle“ nach Washington und nach Moskau habe. Das ist kein Zufall, das ist Programm. Autoritäre, demokratiefeindliche Vorbilder werden nicht nur bewundert, sondern offen als Referenzrahmen benutzt.
Aber die AfD könnte es Trump nachmachen. Ob die, die ihre Sympathien für solche demokratiefeindlichen Traumtänzer in Umfragen zum Ausdruck bringen, die Demokratie so satthaben, dass sie das nachäffen möchten? Man sagt wohl nicht zu Unrecht, dass US-amerikanische „Moden“ mitunter zügig ihren Weg über den großen Teich finden.
Gerade deshalb braucht es eine klare Absage: Die rechtsextreme AfD ist keine Alternative, sie ist ein Risiko. Ihre Reden leben von Übertreibung, Hass und Spaltung. Sie zeigt Missstände gern im grellen Licht, bietet aber überwiegend Lösungen an, die rechtswidrig, unfinanzierbar oder gefährlich sind.
Hetzerische Reden helfen nicht. Sie verschieben den Rahmen des Sagbaren, normalisieren Verachtung und Angriffslust. AfD-Denke ist nicht konstruktiv, sondern zeigt ihre Gefährlichkeit für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Wer diesen Staat verändern will, soll das tun – aber ohne ihn zu zerstören. Weidels Zwölf-Punkte-Rede steht für das Gegenteil.



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