Mancher Kranke stirbt am Herzversagen seiner »Mitmenschen«

Die Flu­re haben nur eine gewis­se Ähn­lich­keit mit denen gro­ßer Hotels. Auch sie wir­ken karg, schmuck- und irgend­wie end­los. Statt schmü­cken­der Bil­der sind gro­ße Info­ta­feln im Kran­ken­haus wich­ti­ger. Den Men­schen, denen man begeg­net, wid­met man wenig Auf­merk­sam­keit. Die Gedan­ken sind nicht hier, sie sind woan­ders. Vor dem Ein­tre­ten ins Kran­ken­zim­mer klop­fe ich an der Tür und tre­te ohne abzu­war­ten ins Zim­mer. Der Blick sucht nach dem ers­ten Ein­druck der Mut­ter. Wie mag es ihr heu­te gehen? Hat sie die Kri­se von ges­tern über­wun­den? Wer­den wir beru­higt sein, nach­dem wir ihre ers­ten Sät­ze gehört haben? Ist sie ver­wirrt; erzählt sie uns Din­ge aus einer Par­al­lel­welt? Unse­re Anspan­nung legt sich all­mäh­lich. Lei­der geht es ihr nicht bes­ser. Nicht so, wie wir es uns gewünscht hät­ten. Dabei hät­te sie doch schon letz­ten Sams­tag – nach einer knap­pen Woche – ent­las­sen wer­den sol­len. Die Ent­zün­dungs­wer­te erlau­ben es nicht. Wir müs­sen war­ten, gedul­dig sein. Das müs­sen wir auch Mut­ter ver­mit­teln. Sie fühlt sich dort nicht wohl.… 

4 Minute/n


Merken

0

Die Flu­re haben nur eine gewis­se Ähn­lich­keit mit denen gro­ßer Hotels. Auch sie wir­ken karg, schmuck- und irgend­wie end­los. Statt schmü­cken­der Bil­der sind gro­ße Info­ta­feln im Kran­ken­haus wich­ti­ger. Den Men­schen, denen man begeg­net, wid­met man wenig Auf­merk­sam­keit. Die Gedan­ken sind nicht hier, sie sind woanders.

Vor dem Ein­tre­ten ins Kran­ken­zim­mer klop­fe ich an der Tür und tre­te ohne abzu­war­ten ins Zim­mer. Der Blick sucht nach dem ers­ten Ein­druck der Mut­ter. Wie mag es ihr heu­te gehen? Hat sie die Kri­se von ges­tern über­wun­den? Wer­den wir beru­higt sein, nach­dem wir ihre ers­ten Sät­ze gehört haben? Ist sie ver­wirrt; erzählt sie uns Din­ge aus einer Parallelwelt?

Unse­re Anspan­nung legt sich all­mäh­lich. Lei­der geht es ihr nicht bes­ser. Nicht so, wie wir es uns gewünscht hät­ten. Dabei hät­te sie doch schon letz­ten Sams­tag – nach einer knap­pen Woche – ent­las­sen wer­den sol­len. Die Ent­zün­dungs­wer­te erlau­ben es nicht. Wir müs­sen war­ten, gedul­dig sein. Das müs­sen wir auch Mut­ter ver­mit­teln. Sie fühlt sich dort nicht wohl.

Es war ges­tern vor einer Woche, als es ihr von einer auf die ande­re Stun­de schlecht ging. Mit 91 Jah­ren ist sie durch eine stark fort­ge­schrit­te­ne Arthro­se schon län­ge­re Zeit kein Aus­bund mehr an Mobi­li­tät. Aber für ein paar Schrit­te durch die Woh­nung und auf dem Bal­kon hat es immer noch gereicht. Dar­an ist in die­sen Stun­den nicht zu denken.

Wir muss­ten Mon­tag letz­ter Woche ein­se­hen, dass wir nicht dar­um her­um kom­men, den Not­arzt zu holen. Mitt­ler­wei­le war es 2 Uhr mor­gens. Trans­port und For­ma­li­tä­ten im Kran­ken­haus neh­men eini­ge Stun­den in Anspruch. Um 5 Uhr mor­gens waren wir end­lich wie­der zu Hau­se. Mut­ter war in guten Hän­den. Eine Nie­ren­be­cken­ent­zün­dung hat sie erwischt. Es hat­te sich leich­tes Fie­ber ent­wi­ckelt. Was für jün­ge­re und gesun­de Men­schen kein Pro­blem dar­stellt, stellt für die alte Dame eine Her­aus­for­de­rung dar.

Im Zim­mer lie­gen zwei ande­re älte­re Damen. Bei­de sind ver­mut­lich etwas jün­ger als Mut­ter. Bei­de sind, wie man so sagt, schlecht dran. Eine der bei­den wird meis­tens mit einem Kose­na­men ange­spro­chen. Sie muss­te von einem Pfle­ge­heim ins Kran­ken­haus, weil sie eine Lun­gen­ent­zün­dung bekom­men hatte.

Besuch erhält sie sel­ten. Mit einer bedeu­ten­den Aus­nah­me. Ein freund­li­cher Herr, Anfang 70, besucht sie täg­lich für eini­ge Stun­den. Er reist vom unge­fähr 30 km ent­fern­ten Köln mit dem Auto an. Wir kom­men schnell mit ihm ins Gespräch und erfah­ren eine Men­ge über die Bett­nach­ba­rin unse­rer Mutter.

Sie ist dement und lebt in einem ent­spre­chen­den Heim. Sie kann durch ihre Erkran­kung inzwi­schen nicht mehr spre­chen und hat gro­ße Pro­ble­me beim Schlu­cken. Es gibt Tage, an denen sie einen wache­ren Ein­druck macht. Meist aber döst sie vor sich hin. Wir hören unver­ständ­li­che Lau­te. Dazwi­schen weint, lacht oder schimpft sie. Wenn der älte­re Herr an ihrem Bett sitzt fixiert sie ihn. Sie scheint ihn zu ken­nen. Er hält ihre Hand und strei­chelt sie. Über Mit­tag ist er immer da. Er füt­tert sie, benetzt ihre Lip­pen und führt ihr mit einer Art Sprit­ze Flüs­sig­keit zu.

Die bei­den sind seit Anfang der 2000er Jah­re mit­ein­an­der befreun­det. Ihre vor­he­ri­gen Part­ner waren ver­stor­ben. Oft waren sie in den fol­gen­den Jah­ren zusam­men im Urlaub. Die Dame hat ein beweg­tes und nicht ein­fa­ches Leben hin­ter sicher. Sie ist Sin­ti und hat gemein­sam mit ihrer Mut­ter ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger über­lebt. Und nun ist sie kom­plett auf frem­de Hil­fe ange­wie­sen. Wenn mein Blick von Mut­ter zu dem ande­ren, zu ihrem Bett her­über­wan­der­te mach­te mich der Anblick trau­rig. Ob man die­ses Gefühl als Empa­thie bezeich­net? Nicht mal das weiß ich. Aber ich weiß, dass mit Sen­ti­men­ta­li­tät noch kei­nem gehol­fen wurde.

Also besin­ne ich mich und freue ich mich dar­über, dass es die­sen Mann gibt. Die­sen net­ten und durch­aus nicht gesun­den Mann, der jeden Tag stun­den­lang an ihrem Bett sitzt und mit ihr spricht, obwohl er kei­ne Ant­wort bekommt. Jeden­falls kei­ne Ant­wort im Sin­ne des Wor­tes. Denn dass es eine Form der Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den bei­den gibt, davon bin ich fest überzeugt.

Küm­mert euch um die, die eure Hil­fe brau­chen. Es muss nicht viel sein. Aber etwas hat jeder zu geben. 

Diesen Beitrag teilen:
0CDD5CFF 182F 485A 82C6 412F91E492D0
Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.
Quelle Featured-Image: Standardbild...
Anzahl Wörter im Beitrag: 698
Aufgerufen gesamt: 59 mal
Aufgerufen letzte 7 Tage: 10 mal
Aufgerufen heute: 1 mal

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


✅ Beitrag gemerkt! Favoriten anzeigen
0
Share to...
Your Mastodon Instance