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Deine, meine, unsere ? Moral

Bei „Anne Will” war ges­tern Abend schon wie­der die Rede davon, dass eini­ge weni­ge Länder (vor allem Deutschland) die ande­ren Europäer mit der Moralkeule unter ein Joch zwin­gen woll­ten. Diese ande­ren Europäer wol­len sich

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Bei „Anne Will” war ges­tern Abend schon wie­der die Rede davon, dass eini­ge weni­ge Länder (vor allem Deutschland) die ande­ren Europäer mit der Moralkeule unter ein Joch zwin­gen woll­ten. Diese ande­ren Europäer wol­len sich die­se „Moral” nicht auf­zwin­gen las­sen. Im Klartext: sie wol­len sich kei­ne Flüchtlinge aufs Auge drü­cken lassen.

Es ist schon arg, dass Begriffe wie Moral, Toleranz und Empathie bei die­sem andau­ern­den Eiertanz den die Rechten voll­zie­hen ent­wer­tet wur­den. Die Fortschritts- und Fremdenfeinde, die sich nicht als Rechts oder Nazis bezeich­nen las­sen mögen, hal­ten wenig von Leuten mit ande­rer Meinung. Ich hal­te nichts von denen! Sie den­ken mir zu sehr in Schwarz-​Weiß-​Kategorien und machen unser Land schlecht. Und das, obwohl sie doch vor­ge­ben, Patrioten zu sein. Sie benut­zen Begriffe wie Gutmensch als Streubombe und wer­fen jedem, der anders denkt als sie, man­geln­den Realitätssinn vor. Und das sind noch die „fried­fer­ti­gen” unter ihnen. Klingt ja blöd, und das ist es auch! Aber sol­che Leute haben (lei­der) mäch­ti­ge Verbündete für die Überzeugungsarbeit, zu der sie selbst nicht in der Lage sind. 

Lamya Kaddor

Ich habe mich die­se Woche gefragt, wes­halb so mie­se Kreuzzüge gegen Menschen wie Lamya Kaddor von Journalisten oder Blogs über­haupt gestar­tet wer­den. Die simp­le Antwort dar­auf: Weil sie es kön­nen! Die nöti­gen Ressourcen sind vor­han­den und genü­gend genug Abnehmer für ihre „Das-​wird-​man-​ja-​wohl-​noch-​sagen-​dürfen – Geschichten” gibt’s auch. Seltsam, dass es vor die­sem Hintergrund immer noch Leute gibt, die sich dar­über wun­dern, dass der Ton in Deutschland immer rau­her wird. Die Autoren bei der Achse des Guten und Tichys Einblick füh­ren ihren Kampf gegen den Islam vor­zugs­wei­se mit Munition bei der sie nicht Gefahr lau­fen, dass sie noch im Rohr kre­piert. Konkret: Diese Leute picken sich einen expo­nier­ten Vertreter der Muslime (auch Aiman Mazyek, Zentralrat der Muslime, war schon mehr­fach dran) her­aus. In die­sem Fall ist es eine Vertreterin, die man nach allen Regeln der Kunst diffamiert—oder, wie Kaddor es aus­ge­drückt hat, fer­tig macht. Vielleicht spielt sogar die Optik der „Opfer” sol­cher Kampagnen eine Rolle. Ja, ich hal­te das für mög­lich. Die ken­nen vor allem kein Pardon, wenn es gegen Leute geht, die gro­ßes Opfer-​Potenzial haben. Kommen die­se in öffent­li­chen Auftritten etwa etwas vor­laut oder unsym­pa­thisch rüber—Bingo. Sie kön­nen sicher sein, dass ihr Publikum applau­diert. Eigentlich sogar, bevor noch der Artikel online gegan­gen ist.

Geschichten für den Echoraum

Auf den Wahrheitsgehalt der Geschichten kommt es weni­ger, auf Meinung dafür umso mehr – auch wenn dort gern etwas ande­res sug­ge­riert wird. Es ist fast wit­zig, wenn man bedenkt, dass dort Journalisten tätig sind, die sich ansons­ten bestimmt auch mit Lügenpresse-​Vorwürfen kon­fron­tiert sehen. Auch wenn sie nicht die direk­ten Adressaten sol­cher Vorwürfe sind, sie wis­sen natür­lich, wie kri­tisch Meinungsmache von ihrer spe­zi­el­len Klientel gese­hen wird. Selbstredend nur, wenn sie von der ande­ren Seite kommt. Man bleibt im Blog gern unter sich. Leute, die eine ande­re Meinung haben, sind dort kaum anzu­tref­fen. Man pflegt einen zustim­men­de, bestä­ti­gen­den Umgang mit­ein­an­der. Und wenn doch ein­mal ein abwei­chen­der Kommentar dazwi­schen kommt, wird er kur­zer­hand gelöscht. Der Echoraum bleibt so immer schön auf­ge­räumt. Hauptsache, sie ver­brei­ten schlech­te Stimmung gegen den Islam und damit letzt­lich auch gegen die (alte) Flüchtlingspolitik der Regierung. Dabei müss­te sie mit der aktu­el­len Flüchtlingspolitik der Regierung eigent­lich d’ac­cord sein. Dass sich jetzt her­aus­ge­stellt hat, dass nur 890k Flüchtlinge, statt der 1,1 Mio. gekom­men sind, stört die nicht wirk­lich. Auch die bis­her wei­ter zurück­ge­hen­den Zahlen in 2016 zäh­len nicht. Stattdessen übt man sich lie­ber wei­ter in der Beschreibung von Untergangsszenarien. Blöd, dass sogar Ifo-​Chef Fuest die­se Woche in einer Talk-​Show gesagt hat, dass die Flüchtlinge wirt­schaft­lich kein grö­ße­res Problem für Deutschland dar­stel­len wür­den. Im Falle von Lamya Kaddor kann jeder Simpel sich ein Bild von der Person machen. Die Wikipedia-​Einträge ent­hal­ten größ­ten­teils die Anwürfe, die in Tichys Einblick detail­lier­ter aus­ge­führt wer­den. Wie es auch im Kampf gegen unge­lieb­te Politiker wie Heiko Maas oder Manuela Schwesig gern gemacht wird (Hatespeech, Zensurdebatte), wer­tet man die­se Funde auf, in dem man halb­wegs talen­tier­ten Schreiber mit der Ausschmückung betraut. Der rech­te Kanal frisst den Autoren die Geschichte qua­si aus der Hand, sie ver­selb­stän­digt sich inner­halb kür­zes­ter Zeit zum Rufmord-​Kampagne gegen das Zielojbekt. In die­sem Fall gegen Frau Kaddor. Sie sprach bei „Anne Will” davon, dass man sie fer­tig machen wolle. 

Migranten haben keine Meinung zu haben

Wehe, es äußert sich ein Mensch mit Migrationshintergrund kri­tisch über gewis­se Aspekte der Integration. Dann kennt der gemei­ne Deutsche aber kein Halten mehr. Wenn die­ser Mensch dann auch noch eine Frau ist, ist es ganz aus. Das erle­ben wir gera­de im Fall der Lamya Kaddor. Wir erle­ben so etwas tag­täg­lich in den Kommentarspalten von Zeitungen und Blogs und – noch viel schlim­mer – in den immer noch so genann­ten sozia­len Medien. Was man­che Leute über Frau Kaddor den­ken kön­nen Sie in den Kommentaren unter dem Youtube-​Video erfah­ren. Aber Achtung: Das ist har­ter Stoff! Viele der über 1000 Kommentare zum ver­link­ten Zeit-​Artikel bewe­gen sich auch nicht auf viel höhe­rem Niveau. Aber dort wird wenigs­tens „zen­siert”, so dass die schlimms­ten Beleidigungen, anders als bei Youtube, dem Scanner (lesen kann man das ja nicht alles!) erspart blei­ben. Motto ist jeden­falls im Fall von Frau Kaddor (selbst bei Zeit Online): Die schlimms­ten Kommentare haben die höchs­te Zustimmungsquote. Kommentare bei Zeit Online zum Artikel von Frau Kaddor Frau Kaddor hat sich im Kern (wie schon häu­fi­ger zuvor) dafür aus­ge­spro­chen, dass wir Deutsche auch bereit sein müs­sen, Migranten als Mitbürger zu akzep­tie­ren. Was liegt näher, als ihre eige­ne Biografie zu bemü­hen. Sie ist Deutsche und wur­de (sogar) in Deutschland gebo­ren. Trotzdem füh­le sie sich in die­sem Land immer noch als Fremdkörper. Nicht unähn­lich, wenn auch mit ganz ande­rem Hintergrund und – wie ich ver­mu­te – mit ande­rer Intention, hat sich Bassam Tibi immer wie­der über sei­ne sozia­le Stellung in Deutschland geäu­ßert. Wikipedia stellt den Mann als deut­schen Politikwissenschaftler mit syri­scher Herkunft vor. So wür­de er es gern hören, wenn er bei diver­sen Anlässen dem Auditorium vor­ge­stellt wür­de. Aber dann sei er, so klag­te Bassam Tibi nicht nur ein­mal, wer­de er stets als „Syrer mit deut­schem Pass” vor­ge­stellt. Zwei sehr unter­schied­li­che Muslime, die ihre Lebenswirklichkeit in Deutschland deckungs­gleich beschrei­ben.

Deutschland, uneinig Einwanderungsland

Das wird nicht nur an ein paar rech­ten Trotteln lie­gen, die sich nicht damit abfin­den kön­nen, dass Deutschland schon lan­ge ein Einwanderungsland ist. Ungefähr 20 Millionen Menschen leben mit uns, die einen Migrationshintergrund haben. Gut, bei vie­len mer­ken wir das nicht. Oder sagen wir so, die rech­ten Trottel schei­nen bis­her nicht gemerkt zu haben, dass es so vie­le sind. Sonst wäre alles noch schlim­mer. Persönlich kommt es mir zu pass, dass Frau Kaddor mit Henryk M. Broder und Roland Tichys rech­ten Autorenkumpanen „abrech­net”. Die Art und Weise wie man sich in Tichys Blog die Tirade auf Frau Kaddor ver­sucht zu recht­fer­ti­gen, fin­de ich typisch für die­se Leute. Sie wol­len nicht sehen, dass ihre „Beiträge” dazu füh­ren, dass ihre Fans sie zur Legitimierung ihrer per­sön­li­chen Angriffe auf Frau Kaddor benut­zen. Lieber beschimp­fen sie Frau Kaddor als pro­fes­sio­nel­len Jammerlappen. Die Wortwahl dort war eine ande­re. Aber genau­so ist das gemeint! In Tichys Blog ging ges­tern der Autor des Artikels (was ande­res ist das nicht!) vom 27. September 2016 auf die Vorwürfe in einer Art und Weise ein, die hof­fent­lich juris­ti­sche Konsequenzen haben wird. Er erneu­ert sei­ne Behauptung, Frau Kaddor erfül­le nicht die Voraussetzungen für die von ihr behaup­te­te Expertenschaft in Sachen Islam. Er fragt im Intro sei­nes neu­en Beitrages: „Was stellt sie mit unse­ren Kindern wirk­lich an?” Allein die­sen Satz fin­de ich so infam, dass er jedem Leser und jeder Leserin in die Glieder fah­ren müss­te. Auch dann, wenn es zutref­fend wäre, dass Kaddors Geschäftsmodell auf Selbstvermarktung basiert. Die Artikel bestehen aus Vermutungen und Behauptungen, die alle­samt nur einen Zweck ver­fol­gen: Man möch­te Frau Kaddor scha­den. Wie gut das in der geneig­ten Öffentlichkeit ange­kom­men ist, kann man – wie schon gesagt – in den Kommentarspalten sehen. Roland Tichy nebst Autorenschaft und Henryk M. Broder soll­ten sich schä­men. Aber dar­an den­ken die­se Worttyrannen nicht. Vorerst müs­sen sie das auch nicht, weil die geneig­te Leserschaft, die sich übri­gens gegen Etikettierungen wie Rechts oder Nazi wehrt, das alles ganz präch­tig fin­det. Fairness steht wohl inzwi­schen eben­so auf der schwar­zen Liste wie Toleranz, Moral und Empathie . 

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