Die Politik ist nicht dafür verantwortlich, dass der Einzelhandel stirbt

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Wer hat die Feh­ler gemacht, deren Aus­wir­kun­gen wir im Gefühls­schwang zwi­schen Weh­mut und Ver­är­ge­rung mal weni­ger, mal stär­ker wahr­neh­men, wenn wir durch unse­re Städ­te gehen?

Wir nei­gen schon sehr dazu, ande­ren die Schuld zu geben und uns auf die­se Wei­se unse­rer Ver­ant­wor­tung zu ent­le­di­gen. Poli­ti­ker sind die­je­ni­gen, auf die wir bei sol­chen Fra­gen immer zuerst zei­gen. Dass wir durch unser Ver­hal­ten als Bür­ger, Käu­fer oder als Nut­zer jedoch selbst ent­schei­den­den Ein­fluss haben, möch­ten vie­le nicht hören.

Wir können daran ja doch nichts ändern!

Als beson­ders depri­mie­rend emp­fin­de ich geschlos­se­ne Geschäf­te, die ich noch in ihrer Blü­te­zeit erlebt habe und deren Schau­fens­ter nun mit Papier ver­klebt sind. Es ist egal, ob es sich um Mode‑, Lederwaren‑, Ein­rich­tungs­ge­schäf­te, um Fri­seur­sa­lons oder Kaf­fees han­delt, man­cher­orts bestim­men sol­che Bil­der immer stär­ker die Straßen.

Leere Läden, volle Straßen

Mei­ne Frau und ich fah­ren gern, wenn es unse­re knap­pe Zeit erlaubt, für ein Stünd­chen ins benach­bar­te Gre­ven­broich. Ein schö­nes Städt­chen mit Fuß­gän­ger­zo­ne und einem, wie wir fin­den, sym­pa­thi­schen Flair.

Wir par­ken für gewöhn­lich im Park­haus der Coens Gale­rie. Das ist bequem und man ist auch gleich mit­ten­drin im Städtchen.

In der Gale­rie sieht man bereits vie­le geschlos­se­ne Laden­lo­ka­le. Mei­ne Frau, die ihr gan­zes Arbeits­le­ben im Ein­zel­han­del tätig war, trifft der Anblick geschlos­se­ner Geschäft ver­mut­lich schon des­halb mehr als mich. Sie weiß auch immer ganz genau, wel­che Geschäf­te wie­der geschlos­sen haben.

Drau­ßen in der schö­nen Fuß­gän­ger­zo­ne des Städt­chens sieht es lei­der nicht viel bes­ser aus. Auch dort sind etli­che Geschäf­te geschlos­sen oder (schnell) durch ande­re ersetzt wor­den, die nicht so rich­tig pas­sen wol­len. Manch­mal scheint es fast so etwas, wie einen „flie­gen­den Wech­sel“ zu geben. Kur­ze Zeit nach der Schlie­ßung eines Ladens macht schon ein neu­er auf. Wir spre­chen dar­über und sind uns einig, dass man­cher Wech­sel nach einer Not­lö­sung aus­schaut. Wer weiß, wie lan­ge sich das Neue hal­ten kann? Ob es über­haupt the­ma­tisch passt, spielt schön längst kei­ne Rol­le mehr.

Dort, wo zuvor noch ein alt­ein­ge­ses­se­nes Unter­neh­men seit lan­gen Jah­ren, wenn nicht seit Jahr­zehn­ten, sei­ne Kun­den zufrie­den­ge­stellt hat­te, ist plötz­lich der Back­shop irgend­ei­nes gro­ßen Bäcke­rei-Filia­lis­ten zu finden.

Natür­lich sind die­se Ver­än­de­run­gen ver­schie­de­nen Ursa­chen geschul­det. Auch Feh­ler der Unter­neh­mer wie schlech­te Bera­tung, schlech­ter Ser­vice oder ein nicht zeit­ge­mä­ßes Sor­ti­ment wer­den dabei eine Rol­le spie­len. Wir nei­gen viel­leicht dazu, all dies, was wir aus unse­ren teils nega­ti­ven Erfah­run­gen ken­nen, als Begrün­dung für das Ver­schwin­den des Ein­zel­han­dels anzu­füh­ren und bestimmt ist das mit­un­ter zutref­fend. Wie oft habe ich schon doo­fe Sprü­che über die Qua­li­tät von Ein­zel­han­dels­per­so­nal gehört und mir mei­nen Teil dazu gedacht. Das wur­de gern ver­mischt mit dem gern genom­me­nen Vor­ur­teil der „Ser­vice­wüs­te Deutschland“.

Glaubt wirk­lich irgend­ei­ner, dass die Online-Ser­vices, die end­lo­sen War­te­schlei­fen, die Unter­neh­men fre­cher­wei­se als Kun­den­ser­vice bezeich­nen oder die Online-Bera­tun­gen gewis­ser Bran­chen die per­sön­li­che Begeg­nung mit Men­schen vor Ort adäquat erset­zen wür­den? Dann sind wir ja voll auf dem rich­ti­gen Dampfer!

Verhaltensänderung? Nein Danke!

Die Umfra­ge oben zeigt immer­hin die kla­re Ten­denz, dass vie­le sich dar­über im Kla­ren sind, dass das eige­ne Kauf­ver­hal­ten einen ent­schei­den­den Bei­trag leis­tet. Wir kau­fen immer häu­fi­ger bei Ama­zon oder ande­ren Anbie­tern im Inter­net. Der Boom des Online­han­dels nimmt für den sta­tio­nä­ren Ein­zel­han­del lebens­be­droh­li­che For­men an. H&M befin­det sich in schwe­ren Tur­bu­len­zen, weil das Onlin­ege­schäft zu sehr ver­nach­läs­sigt wur­de. Und die­se Fir­ma hat welt­weit 4000 Geschäf­te! Bei C&A sieht es auf viel klei­ne­rem Niveau genau­so aus. Jetzt ste­hen die Chi­ne­sen vor einem mög­li­chen Enga­ge­ment bei die­sem deut­schen Unternehmen.

Das hier ist eine der vie­len Facet­ten des digi­ta­len Wan­dels, über den wir zwar einer­seits viel reden, über des­sen Aus­wir­kun­gen für unser aller Leben wir uns aber nicht im Kla­ren sein kön­nen. Wir ahnen viel­leicht, was auf uns zukom­men könn­te, man­cher wird sich viel­leicht sogar regel­recht aus­ge­lie­fert und hilf­los fühlen.

Ich erin­ne­re mich an eine im Dezem­ber 2015 statt­ge­fun­de­ne rüh­rend hilf­los anmu­ten­de Akti­on des deut­schen Ein­zel­han­dels. Damals wur­den vie­le Schau­fens­ter mit Laken ver­han­gen, um auf das Pro­blem auf­merk­sam zu machen. Es hieß sei­ner­zeit, dass 50.000 Ein­zel­han­dels­ge­schäf­te in den Innen­städ­ten von der Schlie­ßung bedroht sei­en. Wie die­se Zahl wohl jetzt ist?

Vie­le wer­den sich dar­über im Kla­ren sein, dass der Ein­zel­han­del, wie wir ihn ken­nen, ver­lo­ren ist.

Die gro­ßen Online­händ­ler haben inzwi­schen damit begon­nen, auch Lebens­mit­tel in ihre Sor­ti­men­te zu inte­grie­ren. Alle Argu­men­te gegen den Online­han­del ver­hal­len ange­sichts der Vor­tei­le, die die beque­me Ein­kaufs­mög­lich­keit dem Ver­brau­cher bietet.

Dafür, dass die Umwelt allein dadurch zusätz­lich belas­tet wird, dass durch die Unmen­gen von Kleinst­sen­dun­gen die Stra­ßen ver­stop­fen und hier­durch Luft und Umwelt ver­pes­tet wer­den, inter­es­siert offen­bar nicht wirk­lich. Haupt­sa­che, am nächs­ten Tag hat man das Paket zu Hau­se. Dass Ama­zon und nach und nach auch ande­re Anbie­ter Droh­nen zur Paket­an­lie­fe­rung benut­zen wer­den, klingt futu­ris­tisch und macht die Zustel­lung des bei­spiels­wei­se bestell­ten 1‑Me­ter-Kabels noch einen Tick flot­ter. Dass in den Lager­hal­len von Ama­zon nicht der Ein­zel­han­dels- son­dern der bil­li­ge­re Logis­tik – Tarif gilt, inter­es­siert selbst die Gewerk­schaf­ten bald nicht mehr, weil die Men­schen näm­lich (aus Kos­ten­grün­den) schon bald zu 100% durch Robo­ter ersetzt werden.

Was will der Kun­de noch mehr? Dar­über, dass die Mit­ar­bei­te­rIn­nen der heu­te boo­men­den Paket­diens­te die nächs­ten sein wer­den, die des­halb ihre Jobs ver­lie­ren, macht man sich jetzt noch kei­ne Sor­gen. Außer­dem wer­den die­se Men­schen ja auch schlecht bezahlt… Das ist böse. Aber ich schät­ze schon, dass man­che so den­ken könnten.

Wahrnehmung und Konsequenz

Wie auf unzäh­li­ge ande­re Fehl­ent­wick­lun­gen neh­men wir auch auf die­se kei­nen Ein­fluss. „Wir kön­nen ja doch nichts dar­an ändern“ wer­den wir den­ken und sagen und ver­ges­sen dabei, dass all dies Din­ge nur des­halb gesche­hen, weil wir sie unkri­tisch und schick­sals­er­ge­ben hin­neh­men. War­um? Weil wir selbst von die­sen Ver­än­de­run­gen viel­leicht noch nicht betrof­fen sind.

Eins ist wohl sicher: Wenn wir die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen all des­sen auf unser eige­nes Leben bemer­ken und uns laut­stark dar­über bekla­gen – viel­leicht auch dar­über, dass wir nichts gemacht haben – ist es zu spät.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

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2 Gedanken zu „Die Politik ist nicht dafür verantwortlich, dass der Einzelhandel stirbt“

  1. Dass wir irgend­wann begon­nen haben, via Inter­net Din­ge zu kau­fen, wird u.a. auch dar­an gele­gen haben, dass wir die­se Din­ge nicht im loka­len Ein­zel­han­del bekom­men haben.

    Ich erin­ne­re mich noch an Zei­ten, wo man in Frank­furt (immer­hin eine bei­na­he Mil­lio­nen­stadt) außer in ein paar Ket­ten-Läden kaum Com­pu­ter­kom­po­nen­ten kau­fen konn­te, ohne von Pon­ti­us zu Pila­tus zu fah­ren. Es wur­de ein wenig bes­ser, als die gro­ßen Elek­tronik­märk­te am Stadt­rand eröff­ne­ten. Da gab es noch kein Ama­zon oder ande­ren Computer-Onlinehandel.

    Irgend­wann schloss Hart­mann & Sohn sei­ne Filia­len, weil kein Nach­fol­ger die­se loka­le Haus­halts- und Hand­werks­ket­te über­neh­men woll­te. Seit­dem muss man an den Stadt­rand in die gro­ßen Bau­märk­te fah­ren, wenn man Werk­zeug oder mal Mol­t­ofill braucht. Da gab es noch kein Ama­zon oder ande­ren Onlinehandel.

    Ich könn­te noch wei­te­re der­ar­ti­ge Bei­spie­le nennen…

    Es war eher nicht der Online­han­del, der den loka­len Ein­zel­han­del kaputt gemacht hat, es war oft der Ein­zel­han­del selbst und die ins Astro­no­mi­sche gestie­ge­nen Laden­mie­ten in den Großstädten.

    Heu­te sehe ich in mei­ner Umge­bung Geschäf­te schlie­ßen, weil die Miet­ver­trä­ge aus­lau­fen und die Fol­ge­ver­trä­ge 50 – 100 Pro­zent teu­rer sind. Dann zie­hen neue Läden ein, die nach ein­jäh­ri­ger Ver­trags­lauf­zeit schlie­ßen, weil sie sich ange­sichts der Mie­ten nicht finan­zie­ren kön­nen. Dann ste­hen die Laden­lo­ka­le mona­te­lang leer, weil es den Haus­be­sit­zern egal ist. Leer­stand kos­tet nichts. Man lässt die Loka­le ein­fach ver­gam­meln, aber die Miet­prei­se gehen garan­tiert nicht nach unten.

    Der Online­han­del setzt dann nur noch das Häub­chen drauf, weil sowie­so immer weni­ger Men­schen in den ver­öden­den Geschäfts­stra­ßen ein­kau­fen wollen.

    Hier in Frank­furt sieht das eben so aus:

    Auf 300 Metern Geschäfts­stra­ße gibt es (jeweils 3 – 4) Han­dy­lä­den, Bil­lig­fri­seu­re, Augen­op­ti­ker, Back­wa­ren­ver­kaufs­shops, Ein-Euro-Ramsch­lä­den, Ket­ten­dro­ge­rien sowie zwei Super­märk­te bzw. zwei Apo­the­ken. Alles Ket­ten­ge­schäf­te, 50 Pro­zent davon völ­lig über­flüs­sig. Ach, und ein paar leer­ste­hen­de Laden­lo­ka­le und ein paar klei­ne Loka­le, die zwar ori­gi­nel­le Gas­tro­no­mie-Ideen dar­stel­len mögen, aber nach spä­tes­tens einem Jahr wie­der ver­schwun­den sind.

    Da kau­fe auch ich lie­ber online ein, es ist ja fast eine Not­la­ge, denn ich sehe nicht ein, für jeden Furz durch die gan­ze Stadt zu fahren.

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