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Die CDU Thüringen will eine „bürgerliche Koalition” – mit der AfD

Mit der Linkspartei ist für die­se CDU aber kein Staat zu machen. Nach Thüringen ist die Behauptung der Bundes-​CDU, eine Äquidistanz zwi­schen Linkspartei und AfD zu hal­ten, nicht mehr glaubwürdig.

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Herr Mike Mohring, der CDU-​Chef aus Thüringen, hat sei­nen Skiurlaub ange­tre­ten. Ich den­ke, das war das Beste, was er machen konn­te. Hoffentlich bleibt er mög­lichst lange. 

Die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» schreibt, der Fraktionsvorsitzende Mike Mohring habe alle christ­lich­de­mo­kra­ti­schen Abgeordneten gefragt, ob sie damit umge­hen könn­ten, wenn die AfD mit ihnen zusam­men Kemmerich als Ministerpräsidenten wäh­len wür­de. Alle hät­ten dies bejaht. Der thü­rin­gi­sche CDU-​Generalsekretär Raymond Walk bestä­tig­te der Zeitung die­se Darstellung. Allerdings habe man nicht damit gerech­net, dass es zu einem drit­ten Wahlgang kom­men wer­de. Mohring ist poli­tisch beschä­digt und soll im Mai als Fraktionschef abge­löst werden. 

CDU-​Fraktion wil­lig­te ein, mit AfD zu stim­men, Übergriff auf FDP-​Politikerin – die neus­ten Entwicklungen nach dem Politbeben in Thüringen | NZZ

Gewollte Zusammenarbeit mit der AfD Thüringen

Dass in ost­deut­schen CDU-​Landesverbänden die Bereitschaft vor­han­den ist, mit der AfD zusam­men­zu­ar­bei­ten ist eigent­lich längst bekannt. Dass die thü­rin­gi­sche CDU wegen die­ser Neigung das Risiko eines poli­ti­schen Skandals ein­ge­gan­gen ist, kann man viel­leicht als Versuchsballon bezeich­nen. Hätte es nicht die­sen Wirbel gege­ben und der Dammbruch wäre nicht attes­tiert wor­den, wäre es zur wei­ter­ge­hen­den Zusammenarbeit gekom­men? War es das, das die CDU in Thüringen (trotz aller Warnungen der Bundespartei) aus­pro­bie­ren wollte?

  1. Wie mehr­heits­fä­hig ist die Haltung in der thü­rin­gi­schen CDU in ande­ren Landesverbänden?
  2. Was sind Grundsatzbeschlüsse der Bundes-​CDU wert, die in der beton­ten Eigenverantwortung der Landesverbände zu sol­chen Abweichungen füh­ren kann?
  3. Welche Rolle spielt die „Werte-​Union”?
  4. Sind Koalitionen der CDU, FDP und der AfD „anstän­di­ger” als mit der Linkspartei?

Rote Socken besser als gar keine

An das Theater, das die Konservativen immer wie­der ver­an­stal­tet haben, wenn es um mög­li­che Koalitionen mit Sozialisten ging und sei es nur im Ansatz wird sich wohl jeder erin­nern (Rote-​Socken-​Kampagne). Diese Rituale wer­den bis heu­te von der CDU gepflegt. Mit ihren Grundsatzbeschlüssen zum Umgang mit Links- und Rechtsextremen hält man es auf der Länderebene offen­bar nicht so genau – aller­dings nur, wenn es um den Umgang mit der rechts­extre­men AfD geht. 

Ich wun­de­re mich, dass ange­sichts der längst ver­än­der­ten Mehrheitsverhältnisse und dem Abschmelzen der Stimmenanteile unse­rer bis­he­ri­ger Volksparteien sich an die­sen hoh­len „Maximen” noch nichts ver­än­dert hat. Das ins­be­son­de­re von der Union mit zu ver­ant­wor­ten­de Auftreten und Erstarken der AfD hat es vor allem in den ost­deut­schen Ländern, in denen zuletzt Wahlen statt­fan­den, sehr schwie­rig gemacht, sta­bi­le Regierungen zu bil­den, in Thüringen dau­ert die Suche noch an, und wir wis­sen nicht, ob es ohne Neuwahlen funk­tio­niert bzw. ob die Neuwahlen die heu­ti­ge Lage viel­leicht auch nicht ver­än­dern könnten.

Stabile Demokratie

Ich hal­te unse­re Demokratie für sta­bil. Und das hat weni­ger mit unse­rem Grundgesetz zu tun, das inter­na­tio­na­le Vergleiche nicht zu scheu­en braucht. Mancher hält es für die bes­te Verfassung weltweit. 

Wir müs­sen uns ver­ge­gen­wär­ti­gen, wel­che Mehrheitsverhältnisse es in unse­rem Land gibt und wel­che unbe­deu­ten­de Rolle die Gefahr, also die recht­ex­tre­me AfD, dar­stellt. Diese Leute bewe­gen sich in Gesamtdeutschland nach wie vor bei maxi­mal 14–15%. Mit ande­ren Worten: die Demokraten (dabei schlie­ße ich selbst­ver­ständ­lich die Linkspartei ein!) reprä­sen­tie­ren die­sen Staat, nicht die Rechtsextremen und ihre will­fäh­ri­gen Helfer in den sozia­len Netzwerken und den längst offen demo­kra­tie­kri­ti­schen Blogs und Websites. 

Es ist für mich per­sön­lich immer noch irri­tie­rend, manch­mal auch beängs­ti­gend, wie laut und über­heb­lich die rechts­extre­men Feinde der Demokratie auf­tre­ten. Das mag dar­an lie­gen, dass ich zu genau hin­schaue und mich nie in irgend­ei­ne Blase zurück­ge­zo­gen habe. Gut, letzt­lich habe ich mir auch nur so zu hel­fen gewusst, in dem ich die sozia­len Netzwerke kom­plett ver­las­sen habe. Dennoch bekom­me ich mit, wie aktiv ins­be­son­de­re die Rechtsextremen sind. Sie unter­stüt­zen nicht nur den par­la­men­ta­ri­schen Arm der Rechtsextremen, die AfD, son­dern sich vor allem gegen­sei­tig – über­all, wo es um die Lufthoheit, die Meinungsführerschaft gegen unse­ren Staat (Politik – Altparteien und Medien – Systemmedien) geht. 

Ungleichgewichte

Ich emp­feh­le, die von der Bundesregierung ver­öf­fent­lich­ten Videos (Angela Merkel) bei Youtube anzu­schau­en. Der Blick auf das Verhältnis von Likes und Dislikes sagt viel. Die Zustimmung zu rechts­extre­men Beiträgen beein­druckt mich mehr als ich man­che­mal wahr­ha­ben möch­te . Dass sowohl die­se Beiträge als auch die zum Teil noch schlim­me­ren Kommentare fast nie gelöscht wer­den, irri­tiert mich eben­falls. Die Durchgriffsmöglichkeiten oder Löschquoten sind bei Weitem nicht so, wie die Rechten es selbst immer dar­stel­len. Entweder machen sie sich über den zahn­lo­sen Tiger bzw. das Netzdurchdringungsgesetz lus­tig oder – wenn doch mal was pas­siert – bekla­gen sie sich über die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Beim Jammern sind die­se Leute immer „erst­klas­sig”.

Was die­ser Staat ihnen, als Wähler und Fans der AfD antut, raubt ihnen wohl den Schlaf.

Nur demokratische Parteien?

Wahrscheinlich exis­tiert genau an die­sem Punkt der Hebel, den die demo­kra­ti­schen Parteien bis­her nicht nut­zen, weil sie for­ma­le aber lei­der nicht inhalt­lich Vorstellungen zum Umgang mit Rechts- und Linksextremen kre­iert haben. 

Mir ist einer­seits klar, dass die­se Beschlüsse demo­kra­tisch getrof­fen wur­den und von daher auch bin­dend sind. Aber sind sie noch zeit­ge­mäß? Thüringen oder Sachsen-​Anhalt zei­gen inner­halb der CDU ande­re Sichtweisen. Sichtweisen, die den Beschlüssen der Bundespartei eben nicht entsprechen.

Zeigen nicht vie­le Beispiele in Europa, dass der Umgang mit Parteien, die zum Zeitpunkt ihrer Gründung nicht ins demo­kra­ti­sche Parteienspektrum pass­ten, wie es bes­ser gemacht wer­den kann? Natürlich spricht auch eini­ges dage­gen. Ich den­ke, an Rassemblement National (Frankreich), SVP (Schweiz), FPÖ (Österreich), Perussuomalaiset (Finnland), Partij voor de Vrijheid (Niederlande) und an die Brexit Party (Großbritannien). All die­se Parteien spie­len in ihren Ländern kei­ne unbe­deu­ten­de Rolle. Sie wer­den bekämpft auf der par­la­men­ta­ri­schen Ebene, aber nicht in dem engen Sinne aus­ge­grenzt, wie es in Deutschland erfolg­los pro­biert wird. 

Dabei sie sind inhalt­lich ver­gleich­bar oder noch schlim­mer als das, womit uns hier die AfD zu beglü­cken versucht. 

Sie sind in ihren Ländern (lei­der) fes­te Bestandteile des jewei­li­gen Parteiensystems. Manche neh­men füh­ren­de Positionen ein. Einige haben sich pro­gram­ma­tisch sehr ver­än­dert und geben sich – obwohl sie vie­len gewiss immer noch suspekt sind und/​oder unsym­pa­thisch her­über­kom­men – anders als in ihren Anfangszeiten. Weniger ras­sis­tisch, aus­län­der­feind­lich und vor allem kon­struk­ti­ver als zuvor. 

Weimar im Geschichtsunterricht

Nun ste­hen wir Deutsche vor dem unver­gleich­ba­ren Dilemma, dass unse­re NS-​Vergangenheit (von der eini­ge in der AfD ja auch nicht mehr unbe­dingt viel wis­sen wol­len) nach­wirkt. Aber das bedeu­tet nicht, dass wir mit die­sen Erfahrungen unser Selbstbewusstsein als Demokraten ver­lie­ren dür­fen. Wenn wir also selbst­be­wuss­te Demokraten sind, müs­sen wir ein paar Wahrheiten zur Kenntnis neh­men, die ins­be­son­de­re die Linken (Grüne ein­ge­schlos­sen) nicht toll fin­den wer­den. Ich fin­de, soviel Platz muss in der Demokratie sein!

Unzufrieden

Es nützt nichts, die Augen davor zu ver­schlie­ßen. Für die Geburt und das Erstarken der AfD sind Fehler der ande­ren Parteien verantwortlich. 

Ob es um den Umgang mit der Flüchtlingskrise ab 2015 geht, das Management der Folgen der Finanzkrise von 2008/​2009, die Haltung zur Niedrig-​/​Nullzinspolitik der EZB, zum Klimawandel – es sind nur eini­ge der Punkte, die dem Ansehen unse­rer Regierungen nicht zuträg­lich waren. Ob in Ostdeutschland wei­te­re oder auch ande­re Kriterien hin­zu­kom­men, ver­mag ich selbst nicht zu beur­tei­len. Wenn ich die­se Jammerei zum Beispiel wegen feh­len­dem Respekt vor irgend­wel­chen Lebensleistungen höre, packt mich ehr­lich gesagt immer wie­der die Wut. Ja, das Leben kann hart sein. Allerdings auch im Westen. Es ist letzt­lich immer eine Frage der eige­nen Sichtweise, wie man damit umgeht. 

Dass sich Ostdeutsche gegen­wär­tig in Mengen kri­tisch zu unse­rer Demokratie äußern, ist für mich nicht akzep­ta­bel, aber dass sie des­halb die AfD wäh­len, hal­te ich für skandalös. 

Dass die thü­rin­gi­sche Höcke-​AfD damit punk­ten konn­te, dass sie „die Wende” voll­enden woll­te, sagt viel über die­sen Grad an Selbstbemitleidung aus, den ich furcht­bar finde. 

Dass es neu­er­dings Einsprüche gegen das geplan­te Tesla-​Werk in Brandenburg gibt (die von der AfD freund­lich beglei­tet wer­den) passt für mich ins Bild. Wenigstens das haben die Ossis mit den Wessis gemein­sam. Wie sag­te Altmaier, ange­spro­chen auf die vie­len Klagen gegen Windkraftanlagen? „An jeder Anlage hängt ein Gerichtsverfahren”. Aber die Politik wird dafür ver­ant­wort­lich gemacht, dass der Ausbau der Windkraft nicht vorankommt. 

Viele for­dern, dass die AfD stär­ker aus­ge­grenzt wer­den soll. Gegen eine Zusammenarbeit äußern die Deutschen sich mehrheitlich. 

Man hört: AfD-​Funktionäre soll­ten nicht mehr in Talkshows auf­tre­ten, am bes­ten soll sie wohl tot­ge­schwie­gen wer­den. Leute, die sich indif­fe­rent ver­hal­ten, tau­gen für den „staats­tra­gen­den” Diskurs gegen Rechts nicht. 

Das ist nicht ziel­füh­rend, wenn­gleich zum Glück die Zustimmungswerte der AfD nicht wirk­lich zuge­nom­men haben. 

Millionen Wähler nicht rechts liegen lassen

Es geht letzt­lich dar­um, Millionen von Wähler*innen ins demo­kra­ti­sche Spektrum zurück­zu­ho­len. Wie machen wir das? 

Die Methoden, die nach dem MP-​Wahldebakel von Thüringen, ver­sucht wer­den, brin­gen es nicht. Auf Dauer schei­tern wir, wenn wir künf­tig wei­ter so vie­le Menschen aus der Landes- und Bundespolitik aus­zu­schlie­ßen. Denn es sind eben nicht „nur” die Funktionäre, denen wir eine lan­ge Nase machen.

Wenn wir tat­säch­lich Neuwahlen in Thüringen sehen wer­den, könn­ten die rechts­extre­me AfD und die Linkspartei die Gewinner sein. Umfragen sagen der CDU ein Fiasko vor­aus, die FDP könn­te raus­flie­gen, die Grünen viel­leicht auch. Hätten wir dann etwas gewon­nen? Oder was pas­siert, wenn jetzt Ramelow tat­säch­lich doch noch zum Ministerpräsidenten gewählt wür­de. Gewinnen wir dann in Thüringen eine arbeits­fä­hi­ge Regierung? Unsicher sind die­se Szenarien weiter.

Neu denken (Beispiele sehen)

Auch, wenn mei­ne Idee für vie­le ein kla­res No-​Go sein wird, ich fin­de, wir müs­sen die­se AfD ein­bin­den. Auf Landes- und auf Bundesebene. Deutschland im Jahr 2020 ist nicht Weimar. 

Schauen wir ins Ausland. Dort lebt man schon län­ger mit dem Problem, dass rechts­po­pu­lis­ti­sche und rechts­extre­me Parteien stark reprä­sen­tiert sind. Deutschland hat die­ses Problem mit den Rechtsextremen erst seit ein paar Jahren. 

Jede rechts­po­pu­lis­ti­sche oder rechts­extre­me Partei hat ihre eige­ne Vergangenheit. Alle haben sich gegen­über ihren extre­men Anfangsjahren irgend­wie dem par­la­men­ta­ri­schen Alltag „ange­passt”. Es blei­ben man­che Probleme bestehen. Aber die Demokraten behiel­ten die Kontrolle.

Mir ist jeder Nazi, jeder Rassist, jeder isla­mo­pho­be und anti­se­mi­ti­sche Hetzer einer zu viel. Aber es gibt die­se Menschen in unse­rem Land. Wäre es nicht klug, sie über die AfD ein­zu­bin­den und sie nicht wei­ter­hin nur dar­in zu bestär­ken, dass die­ser Staat und die Mehrheitsgesellschaft ihnen kein Gehör schenkt? 

Ich hal­te die­sen Vorschlag nicht für ein sol­ches Risiko, wie man­che es wohl sehen. Für mich ist die­se Taktik eine Notwendigkeit. Die Entscheidung dar­über soll­ten wir im Interesse unse­rer Demokratie nicht zu lan­ge vor uns her­schie­ben. Mit Ausgrenzen wer­den wir die Partei nicht los und ihre Wähler*innen blei­ben so für die Demokratie verloren.


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7 Gedanken zu „Die CDU Thüringen will eine „bürgerliche Koalition” – mit der AfD“

  1. Hm, sehr zu Kommentaren scheint der Artikel nicht zu reizen.

    Ich sehe übri­gens, dass du den Verweis auf den Tweet mit den Zitaten aus der Szene rech­ter Vordenker ent­fernt hast (oder fin­de ihn nur gra­de nicht). Zumindest mit der Idee des „zer­stö­re­ri­schen Individualismus” will ich mich gele­gent­lich mal aus­ein­an­der set­zen – der Rest ist ein­fach der übli­che Rechtsaußen-​Schrott: Nation, Elite, blabla…

  2. Der Link steckt in den Kommentaren, nicht im Artikel.
    Daran, dass hier ver­gleichs­wei­se wenig kom­men­tiert wird, bin ich ja gewöhnt. Da nutzt auch meist kein Linkverweis etwas. Wer will sich schon mit sowas Krusem befassen? 🙂

🪁 Wir sind alle auf derselben Reise.

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