Rassismus in Deutschland: Hoffen auf Einsicht

Vielleicht kann Hanau eine Wende bringen, in dem sich viele vom Rassismus distanzieren.

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HORST SCHULTE

Zur Trauer hat sich bei mir die Hoffnung eingestellt, dass durch die Morde von Hanau ganz viele Menschen genau das auch denken: es muss sich was Ă€ndern! Ein geisteskranker Mann erschoss zehn Menschen, von denen er neun allein aufgrund ihrer Herkunft tötete. Wenn das kein unwiderlegbarer Beweis fĂŒr den vom TĂ€ter praktizierten Rassismus ist?

Von irren Rassisten, die angeblich nur irre sind

Dass Jörg Meuthen, AfD, politische Motive bestreitet, wird keinen ĂŒberraschen, der diese Partei kennt. Es gibt weitere Aussagen aus AfD-Kreisen, die zeigen, mit was fĂŒr Leuten wir es zu tun haben.

Welche UmstĂ€nde dazu fĂŒhrten, dass der TĂ€ter die Morde ausgefĂŒhrt hat, wird in diesem Fall nicht mehr aufgeklĂ€rt werden können, er hat sich selbst gerichtet. Ich glaube nicht an die Behauptung, dass aufgrund der psychischen Erkrankung des Mannes rassistische Motivation nicht zu unterstellen sind. Ja, diese Behauptung gibt es, sogar von einem Wissenschaftler mit Professur und Doktor-Titel. Prof. Dr. Meins sagt: ❝Und dementsprechend ist es schlicht Unsinn, zu behaupten, der TĂ€ter habe aus fremdenfeindlichen Motiven gehandelt oder – wie der Generalbundesanwalt meint – habe eine „zutiefst rassistische Gesinnung“.❞

Der Mann schreibt regelmĂ€ĂŸig fĂŒr die „Achse des Guten“.

Im letzten Jahr hat er das geschrieben:

Stimmt man der Aussage „Sinti und Roma neigen zur KriminalitĂ€t“ zu, wird das als Beleg fĂŒr eine „menschenfeindliche“ Einstellung gewertet. TatsĂ€chlich handelt es sich bei dieser Aussage um eine zwar massiv tabuisierte, gleichwohl offene Frage, die erst einmal empirisch zu ĂŒberprĂŒfen wĂ€re. Eine Zustimmung wĂ€re nur dann bedenklich, wenn der Sachverhalt einer KriminalitĂ€tsneigung bei Sinti und Roma falsch sein sollte. Denn nur dann wĂŒrde es sich um ein „Vorurteil“ handeln. TrĂ€fe der Sachverhalt hingegen zu, dann könnte es noch um die Frage gehen, ob diese KriminalitĂ€tsneigung unzulĂ€ssig verallgemeinert wird, man also jede einzelne Person dieser Gruppe fĂŒr kriminell erachtet.

Mir fĂ€llt dazu wenig ein. Außer, dass diese Aussage nicht nur rassistisch klingt.

Was ist die Basis fĂŒr Rassismus und wie groß ist sie?

Der Rassismus hat in Deutschland eine Basis. Sie ist erschreckenderweise breiter als die Wissenschaft dies in empirischen Studien belegte. Da war stets von einem Prozentsatz von knapp zwanzig die Rede. Einem ja schon ausreichend großen Anteil der deutschen Bevölkerung, der von völkisch-rassistischem Gedankengut geplagt wurde. Schaut man auf die Wahlergebnisse der AfD in Sachsen oder ThĂŒringen ahnt man, dass sich die Zeiten geĂ€ndert haben.

Ob Rassismus in Deutschland die NormalitĂ€t und nicht die Ausnahme ist, wie die tĂŒrkischstĂ€mmige Journalistin KĂŒbra GĂŒmĂŒĆŸay gestern bei Maybrit Illner sagte? Diesen „Vorwurf“ werden die wenigsten Deutschen gern hören. Aber die Provokation an sich hat vielleicht einen Wert, soweit SĂ€tze, die in Talkshows gesprochen werden, ĂŒberhaupt einen haben. Rassismus droht das zu zerstören, woran wir glauben — oder 
 geglaubt haben.

Diese Sorge und der Kummer ĂŒber die brutalen AnschlĂ€ge der letzten Zeit erschĂŒttern mehr Menschen als ich vor Hanau wahrgenommen habe. Dieses Mal – finde ich – ist es anders.

Vielleicht gibt es diesen Kummer auch, weil viele von uns vergessen hatten, welche Haltung der wunderbare erste Artikel unseres Grundgesetzes von uns erwartet. Oder ist er etwa trotz seiner Einfachheit fĂŒr manche zu abstrakt?

Gleiche WĂŒrde fĂŒr alle

Es existiert dieser Hass, der all die treffen kann, die anders aussehen, sich anders kleiden oder anders reden. Er trifft die Menschen, die in unser Land gekommen sind und die von vielen Deutschen als störende, vielleicht gefĂ€hrliche Fremde wahrgenommen werden. FĂŒr diejenigen, die so denken (und handeln) ist es leider nicht so, dass alle Menschen ĂŒber die gleiche WĂŒrde verfĂŒgen, von der in unserem Grundgesetz die Rede ist. Aber wer von uns hat schon stĂ€ndig den Artikel 1 unseres Grundgesetzes im Kopf? Das ist ein bisschen so wie mit dem EhegelĂŒbte. Im Alltag gehen die guten VorsĂ€tze leicht verloren.

Ja, nicht alle Migranten waren den seit 2015 gewonnenen Erkenntnissen zufolge, auf unsere Hilfe angewiesen. Viele von ihnen sind keine FlĂŒchtlinge, sie haben keinen Anspruch auf Asyl und es handelt sich auch nicht um KriegsflĂŒchtlinge nach der Genfer Konvention. Es gibt zahlreiche Probleme und viel Geld kosten die FlĂŒchtlinge auch. Zudem verschĂ€rft ihre PrĂ€senz soziale Konflikte (Wohnungsnot). Es gibt Gewalt und KriminalitĂ€t. Das ist alles wahr.

FĂŒr viele sind solche Überlegungen entscheidender als ein Satz, der im Grundgesetz steht. Diese Leute entwickeln Skepsis gegenĂŒber den (eigentlich allen!) Entscheidungen der Merkel-Regierung und lassen sich durch rechte Geschichten und LĂŒgen, die im Internet inflationĂ€r verbreitet werden, beeinflussen. Ich wĂ€re unehrlich, wenn ich sagen wĂŒrde, dass ich negative VerĂ€nderungen nicht auch an mir beobachtet hĂ€tte. Dagegen gibt es keine Patentrezepte. Aber man kann immer wieder neu darĂŒber nachdenken und sich so immunisieren gegen menschenverachtende Aussagen.

Reduktion von KomplexitÀt oder was die AfD anderes macht

Manche versuchen, vielleicht unterbewusst, KomplexitĂ€t zu reduzieren. Die Frage ist aber, ob man mit ebenso einfachen wie grotesken Lösungen, die auch in der Vergangenheit schon darin bestanden, bestimmte Menschengruppen zu SĂŒndenböcken zu erklĂ€ren, weit kommt und bei intensivem Nachdenken nicht zu anderen Einsichten kommt.

Rassismus sei nicht angeboren wird gesagt. DarĂŒber, dass er so virulent ist, sind die allermeisten von uns erschrocken. Rassist genannt zu werden, ist beleidigend, ehrverletzend. Leider scheint es so zu sein, als verfĂŒgten unsere Institutionen und das politische Personal nicht mehr ĂŒber die nötige Überzeugungskraft, um positiv auf dieses PhĂ€nomen einzuwirken. Viele fragen sich, ob die politischen und vor allem polizeilichen Möglichkeiten vorhanden sind, um die Menschen vor den AuswĂŒchsen des Rassismus zu beschĂŒtzen. Wir dĂŒrfen uns diesbezĂŒglich keinen Illusionen hingeben. Die Exekutive kann einiges tun, aber letztlich ist es die Aufgabe der ganzen Gesellschaft, Rassisten zu stellen und zu bekĂ€mpfen.

Selbst was tun

Wir werden uns selbst aufmachen mĂŒssen, den grassierenden Wahnsinn zu stoppen. Als Blogger will ich selbst dazu beitragen, in dem ich in meinen BeitrĂ€gen mehr auf die Wortwahl zu achten, ohne dabei zu vergessen, einen klaren Standpunkt gegen diejenigen, die ich als Menschenfeinde ansehe, einzunehmen. Ich möchte sagen, dass ich im Berufs- und Privatleben immer einen klaren Standpunkt vertreten habe und mich vehement gegen Rassismus gewehrt habe. So, wie es hoffentlich doch auch die meisten anderen getan haben.

Jetzt sind viele davon geschockt, dass die dunkelsten BefĂŒrchtungen sich bewahrheiten. Heute hörte ich im Radio, dass einer der 12 in der letzten Woche verhafteten Rechtsterroristen mit dem Mörder von Hanau bekannt gewesen sein soll. Das ist wohl noch nicht bestĂ€tigt. Wenn es aber zutreffen wĂŒrde, hĂ€tten sich das Szenarium, das diese Verbrecher im Sinn hatten, ohne eigenes Zutun teilweise bereits realisiert.

Dass die Könige des Herunterspielens eigener Verantwortung die Stirn haben, den Mörder von Hanau und seine rassistische Motivation durch „Gutachten von Psychologen“ (Broders Achse des Guten) infrage zu stellen versuchen, ist wirklich typisch und zeigt, welche Allianzen sich auftun. Hoffentlich haben wir endlich den Punkt erreicht, an dem vielen, die die AfD bisher unterstĂŒtzt haben, klar wird, dass es ein furchtbarer Irrweg war, den sie mit der Stimme fĂŒr die AfD eingeschlagen haben.

Update: 22.02.2020 | Heute las ich, dass laut dem Forsa-Meinungsforschungsinstitut die AfD bundesweit auf 9% zurĂŒckgefallen ist. Der Wert ist natĂŒrlich mit Vorsicht zu genießen. Forsa hatte auch in den vergangenen Wochen mehrere Ă€hnliche Ergebnisse fĂŒr die AfD gemeldet. Sie lagen deutlich unter denen der anderen Institute. Aber immerhin: ein kleiner Hoffnungsschimmer. Vielleicht geht da mehr?!

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Horst Schulte

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurĂŒck. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

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Hanau, Rassismus

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8 Gedanken zu „Rassismus in Deutschland: Hoffen auf Einsicht“

  1. Wer davon entsetzt ist, dass Rassismus virulent vorhanden ist, hat glaube ich wenig vom Mensch begriffen. Ich wĂŒrde behaupten das jeder, damit mich natĂŒrlich eingeschlossen, irgendwann zumindest ein Vorurteil hatte, das letztlich Grundlage fĂŒr Rassismus war. Vielleicht hat man den Gedanken fĂŒr sich behalten, vielleicht hat man unauffĂ€llig die Straßenseite gewechselt … Wir sind in vielen Dingen wohl tatsĂ€chlich noch die Höhlenmenschen, die in Gruppen lebten, und andere Gruppen erst einmal als Konkurrent in einem Überlebenskampf wahrnahmen. Ob uns 4.000 Jahre kulturelle Entwicklung davon befreit haben, wage ich zu bezweifeln. Das kann schon in einer funktionierenden Gesellschaft zum Problem werden, in einer sich in zwei Lager spaltenden Gesellschaft kann es in eine Katastrophe ausarten. Das kann der ZĂŒndfunken und zugleich der Brandbeschleuniger sein. Insofern hatte der TĂ€ter in Hanau sicher ein geistig gestörtes Weltbild, und handelte im Wahn. Die Frage ist aber, wĂ€re er unter normalen UmstĂ€nden nicht einfach ein armer Spinner geblieben. So wie es jenseits der medialen Darstellung viele ReichsbĂŒrger sind, die dir was von der BRD GmbH erzĂ€hlen, und du nur die Augen nach oben rollst, weil du weißt, Gegenargumente machen eh keinen Sinn. Eine radikalisierte Gesellschaft allerdings bestĂ€rkt solche Leute zur Tat zu schreiten, und deshalb kann man der AfD auch zurecht eine Mitschuld geben. Solche Menschen gibt es immer und in jeder Gesellschaft, und wer halbwegs intelligent ist, weiß, dass es keinen Unterschied macht, ob ich ihnen den Boden bereite, oder sie offen zur Gewalt aufrufe. Politiker wie Höcke, den ich nicht fĂŒr dumm halte, sondern leider eher fĂŒr recht schlau, mĂŒssen sich meiner Meinung nach völlig darĂŒber im Klaren sein, was sie mit ihren Worten auslösen können. Denn sie wissen nicht was sie tun, passt hier ganz und gar nicht. Sie wissen es, und sie kalkulieren es in ihre Rechnung mit ein.

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  2. Ja, es macht Hoffnung, dass derzeit sehr viele reagieren und zumindest den Eindruck erwecken, der Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus werde nun verstĂ€rkt gefĂŒhrt.
    Sogar bei „Mainz bleibt Mainz“ hat man das Thema nicht ausgelassen.
    Ich habe gerade eine dreiviertel Stunde damit zugebracht, Rassisten auf Twitter zu widersprechen – das ist nicht viel, aber wenn es viel mehr Leute tun wĂŒrden, anstatt sie einfach zu blocken und zu ignorieren, hĂ€tten sie weniger den Eindruck, sie seien richtig VIELE…

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  3. @Horst Schulte: Na ja, aber wenn du KI sagst, dann fallen mir als erstes Beispiel die aussortierten Frauen unter den Bewerbungen bei Amazon aus, oder die geringere Empfehlung fĂŒr eine Begnadigung in den USA, bei Schwarzen. Was wir heute KI nennen, ist ja eigentlich eher ein Regelwerk, dass wir Menschen einem Algorithmus geben, mit zu weilen erschreckenden Ergebnissen. Ich glaube aber tatsĂ€chlich, dass dies in uns angelegt ist, aber nicht ausbrechen muss. Ich lese Ralph Giordano so, dass man sich damit auseinandersetzen und Rassismus bekĂ€mpfen muss, egal bei wem – eben auch bei sich selbst.

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