Folgt man dem Zeitgeist, sollte man sich nicht zu Gegebenheiten äußern, deren Zeuge man nicht selbst gewesen ist. Als Biodeutscher ist es mir unmöglich, Racial Profiling bzw. rassistisches Verhalten bei der Polizei festzustellen.
Auf’m Dorf ist es ohnehin schier unmöglich, solche Erfahrungen zu machen. Bei anderen Gelegenheiten würde die Übernahme von Standpunkten oder Verhaltensweisen womöglich als kulturelle Aneignung gelten.
Struktureller Rassismus
Beobachten kann ich trotzdem. Deshalb weiß ich, dass es Rassisten in der Polizei gibt, vielleicht sogar so etwas wie strukturellen Rassismus.
Man sagt nicht nur der Polizei, sondern auch der Bundeswehr solche Tendenzen nach. Sie sind danach in dieser Umgebung verbreiteter als unter durchschnittlichen Bürgern. Kegelclubs wird man diesbezüglich vermutlich nicht untersucht haben.
Deutschland hat ein Rassismusproblem. Das sagen viele Menschen, nicht nur Migranten. Das Ausmaß ist neu. Es ist eine Binsenweisheit, dass sich im Land nach 2015 viel verändert hat. Die AfD ist gewachsen und liegt inzwischen aufgrund dieser tollen Regierungsarbeit je nach Umfrage über den Werten von Grünen und SPD.
Eigene Erfahrungen helfen bei der Differenzierung
Linke, SPD und Grüne teilen weitgehend die Meinung über den Rassismus in Deutschland. Ich frage mich, inwieweit diese Haltung immer durch eigene Erfahrungen gedeckt sind bzw. was davon dem Sumpf der Ideologie entspringen mag.
Ich bin nicht neutral und möglicherweise ist meine Haltung dazu ebenfalls ideologisch grundiert. Es hat sich inzwischen erwiesen, dass ein junger Mann vor ein paar Monaten in Dortmund von Polizisten erschossen wurde, obwohl es für den Waffeneinsatz keine Begründung gegeben hat.
Es gibt leider viele andere Beispiele dafür, wie Polizisten mit zweifelhaften Methoden vorgegangen sind. Die NSU-Morde und die Untersuchungen durch die Behörden sowie deren Vorgehen nach den Morden von Hanau lassen Raum für Geraune und Vorbehalte.
Polizeiliche Praxis in vielen Fällen
Der polizeiliche Umgang mit solchen Nazi-Morden war dazu ungeeignet, Vertrauen in die Polizei aufzubauen oder zu stärken.
Wenn sich Migranten öffentlich über ihre Erfahrungen äußern, wäre es an uns, diesen Menschen mit Respekt zu begegnen. Dabei ist mir – auch aus eigener Erfahrung – klar, dass es Menschen gibt, deren Vertrauen in die Polizei intakt ist oder die einfach nicht sehen, was sie nicht sehen möchten. Ignoranz ist bei solchen Diskussionen immer auch Teil des “Geschäfts”.
Eine Grundschullehrerin, die zusätzlich an einer Polizeihochschule lehrt, äußerte sich via Twitter:
„Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land. #Polizeiproblem.“
Bahar Aslan, 20. Mai 2023
Dieser Tweet führte nach einem Shitstorm aus der rechts-konservativen Ecke, unterstützt von CDU und GdP, dazu, dass Aslans Verpflichtung als Lehrkraft an der Polizeihochschule nicht verlängert wurde. So einfach geht das, wenn der Mob Blut sehen will. Man darf sich den Wortlaut mancher Tweets nicht zu Herzen nehmen. Das wissen viele. Gelingen wird das nicht immer.
Leichte Ziele
Es ist wahr, dass es Rassismus in Deutschland gibt. Vielleicht ist er überproportional unter Polizisten verbreitet. Studien deuten darauf hin, normale Alltagsgeschichten belegen es. Dass sich Polizisten von Aslans Tweet beleidigt fühlen, kann ich verstehen. Wenn Polizisten oder Rettungskräfte vermehrt bei Einsätzen angegriffen werden, und zwar überproportional häufig von Migrantengruppen, trägt so ein Tweet nicht zur Verbesserung des Klimas bei. Das Gegenteil ist der Fall. Insofern möchte man Menschen an exponierten Positionen (Frau Aslan ist ein Beispiel dafür) raten, sich mit leicht missverständlichen und dazu noch anekdotischen Gemeinplätzen zurückzuhalten.
Die Ausdrucksweise mag man kritisieren. Vielleicht war es eine unglückliche Wortwahl. Es tut mir leid, wenn sich Polizisten angesprochen fühlen, die vorbildlich ihren Dienst tun. Es ging mir um jene Beamtinnen und Beamte, die sich an rechtsextremen Chats beteiligen, die mit ihrer rassistischen Geisteshaltung ganze Dienststellen vergiften. Sie haben das Vertrauen in diese Institution gerade in der migrantischen Community tief erschüttert.
Bahar Aslan am 22. Mai 2023 auf Twitter
Asoziale Netzwerke funktionieren so. Jeder sollte das wissen und der Gegenseite keine offene Flanke bieten.
Ich forderte die Weiterbeschäftigung von Frau Aslan, auch an der betreffenden Hochschule der Polizei und als Grundschullehrerin. Die Debatte im Netz enthält Forderungen, dass Frau Aslan auch diesen Job verlieren soll.