Mama, machs gut.

Nicht vie­le wer­den 91 Jah­re alt. Mama fei­er­te ihren Geburts­tag erst vor zwei Wochen. Und das bei guter Gesundheit.

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Vor­ges­tern Mor­gen ist mei­ne Mut­ter nicht mehr aus ihrem Schlaf erwacht. Nichts deu­te­te das an. Ihr ging es gut. Wir waren noch am Vor­abend bei ihr und haben uns für eine Woche in den Urlaub ver­ab­schie­det. Alles war doch gut. 

Ich kann es nicht fas­sen, dass sie nicht mehr da ist. Wir wer­den uns nie mehr umar­men oder mit­ein­an­der reden. Es gab auch zuletzt zwi­schen uns so manch hei­ße poli­ti­sche Dis­kus­si­on. Eigent­lich konn­ten wir über alles, nicht nur Poli­tik, reden, auch kon­tro­vers. Ihr Herz schlug, solan­ge ich den­ken kann, links. 

Mama war stolz dar­auf, dass sie in ihrem Alter so gut bei­ein­an­der war. Und lan­ge – bis weit in ihre 80-er hin­ein, war sie gut zu Fuß unterwegs. 

Sie hat mir oft gesagt, wie wich­tig es sei, in Bewe­gung zu blei­ben, Kon­tak­te zu Freun­den und Bekann­ten zu hal­ten. Ich habe das sehr wohl gehört, mich aber trotz­dem nicht wirk­lich dar­an gehalten. 

Ihre Freun­de und Ver­wand­ten waren längst gegan­gen. Aber sie hat­te ein gro­ßes Talent, neue zu finden. 

Ein schö­nes Bei­spiel dafür, wie sie Kon­tak­te pfleg­te, bleibt mir in leben­di­ger Erin­ne­rung. Mein Vater war ein soge­nann­ter Spät­heim­keh­rer. Er war von 1945 bis 1949 in rus­si­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft. Dort hat­te er sich mit einem Mann aus der Nähe von Dres­den angefreundet. 

Die­se Freund­schaft hielt über die Jahr­zehn­te an, obwohl die Exis­tenz des Eiser­nen Vor­han­ges das nicht unbe­dingt ein­fach gemacht hat. 

Mei­ne Mut­ter hat Jahr für Jahr immer an Weih­nach­ten ein Paket geschnürt, das sie nach Dres­den schick­te. Bit­te nicht falsch ver­ste­hen. Nicht das Paket war der Freund­schafts­akt, son­dern die­ser bestand dar­in, dar­an zu den­ken – die Ges­te jahr­zehn­te­lang regel­mä­ßig beizubehalten. 

Für alle Fami­li­en­mit­glie­der war eine Klei­nig­keit dabei. Mei­ne Eltern sind in den 1970-er Jah­ren dort­hin gefah­ren, die Frau des Freun­des mei­nes Vaters kam nach ihrer Ver­ren­tung in den 1980-er Jah­ren für ein paar Wochen nach Bedburg. Als die Gren­ze fiel, kam die Fami­lie für ein paar Tage zu uns. Es war, als hät­te es die vie­len Jahr­zehn­te dazwi­schen nicht gege­ben. Die Freund­schaft war herz­lich und hat die Zeit überdauert. 

Die, die das geschafft hat, war mei­ne Mut­ter. Der Sohn der Fami­lie stand, nach dem Tod sei­ner Eltern, noch immer in Kon­takt mit mei­ner Mutter. 

Heu­te haben wir einem alten Freund, der selbst erst vor zwei Wochen sei­nen 95. Geburts­ta­ge gefei­ert hat, die trau­ri­ge Nach­richt über­mit­teln. Mama hat­te mit ihm und sei­ner Fami­lie und Freun­den gefei­ert. Bei­de hat­ten am glei­chen Tag Geburts­tag. Sei­ne Frau und mei­ne Mut­ter waren Schul­freun­din­nen. Ich könn­te noch ein paar Geschich­ten über ihre Freund­schaf­ten zu allen mög­li­chen ande­ren Men­schen erzählen. 

Ich habe frü­her scherz­haft davon gespro­chen, dass das Miet­haus, in dem sie und mein Vater seit den 1970-er Jah­ren gewohnt hat, mich manch­mal an die „Lin­den­stra­ße“ erin­nert hat. Die enge Ver­bun­den­heit der Nach­bar­schaft hat­te für mich auch mit der Auf­ge­schlos­sen­heit und Zuge­wandt­heit mei­ner Mut­ter gegen­über allen Bewoh­nern, auch den neu dazu­ge­kom­me­nen zu tun. 

Das Glück, Mama so lan­ge gehabt zu haben, trös­tet mei­ne Schwes­ter und mich, obwohl die­ser plötz­li­che Tod uns furcht­bar unver­mit­telt getrof­fen hat. Es ist ein Trost, dass sie nicht gelit­ten hat. Vie­le haben das Glück nicht, ohne Schmer­zen einzuschlafen. 

Mama hat­te 2022 eine schwe­re Coro­na­in­fek­ti­on über­stan­den. Ansons­ten blieb sie, Gott sei Dank, von schwe­ren Erkran­kun­gen ver­schont. Vor­ges­tern, einem wun­der­schö­nen Mai­tag, ist sie gegan­gen, wie auch mein Vater vor 20 Jah­ren. Ich hof­fe, sie ist jetzt bei Papa, ihrer Schwes­ter und ihrem Bruder. 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.
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3 Gedanken zu „Mama, machs gut.“

  1. Mein herz­li­ches Bei­leid zu Eurem Ver­lust. Es klingt, als sei ein ganz beson­de­rer Mensch gegan­gen. Das Lin­den­stra­ßen­bild kann ich mir gut vorstellen.

  2. Su 67 30. Mai 2023 um 09:06

    Mein herz­li­ches Beileid!

    „Im Schlaf zu sterben“ 

    stel­le ich mir per­sön­lich für mich als sehr o.k. vor. Für die Hin­ter­blie­be­nen natür­lich ist das schwer.

    Erst wenn man älter wird, denkt man an den Tod, weil die eige­ne Zeit abläuft. Und das wird einem immer bewuss­ter (obwohl man ver­sucht, nicht oft dar­an zu den­ken), das eige­ne Leben ist endlich.

  3. Ich füh­le mit. Soweit das über­haupt mög­lich ist. Ich habe bei­de Eltern schon län­ger nicht mehr, rund vier und sie­ben Jah­re ist das jetzt schon her. Die Fehl­stel­len im eige­nen Leben blei­ben, aller­dings leben bei­de schon irgend­wie wei­ter – min­des­tens, solan­ge ich lebe, sind die bei­den auch noch da.

    Aber über 90 zu wer­den, und das ohne schlim­me Defi­zi­te, wie vie­le es erlei­den müs­sen, das hat schon was.

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