Maren Urner zeigt bei Lanz, war­um gefühl­te Mei­nungs­un­frei­heit oft ein medi­al erzeug­tes Trug­bild ist.

Es ist erstaun­lich, wie oft der Begriff Mei­nungs­frei­heit bemüht wird, wenn eigent­lich etwas ganz ande­res gemeint ist. Die gest­ri­ge Aus­ga­be der Talk­show „Mar­kus Lanz“ bot ein erhel­len­des Schau­spiel: auf der Büh­ne die Neu­ro­wis­sen­schaft­le­rin Maren Urner, der Her­aus­ge­ber der Welt Ulf Pos­ch­ardt, der noto­risch wider­bors­ti­ge Boris Pal­mer und natür­lich der Gast­ge­ber selbst – mal Stich­wort­ge­ber, mal süf­fi­san­ter Stichler.

Maren Urner sprach mit ruhi­ger Stim­me, aber mit der Klar­heit einer, die weiß, wovon sie spricht. Für sie ist der Streit um die Mei­nungs­frei­heit vor allem ein Sym­ptom. Kein Aus­druck tat­säch­li­cher Repres­si­on, son­dern das Resul­tat einer Wahr­neh­mung, die sich durch Wie­der­ho­lung, media­le Ver­stär­kung und digi­ta­le Echo­kam­mern zur gefühl­ten Wahr­heit auf­schwingt. Der zen­tra­le Satz ihrer Argu­men­ta­ti­on lau­te­te sinn­ge­mäß: „Wenn Men­schen sagen, sie hät­ten das Gefühl, ihre Mei­nung nicht mehr sagen zu dür­fen, dann ist es genau das – ein Gefühl. Und Gefüh­le ent­ste­hen nicht im luft­lee­ren Raum, son­dern durch unser Umfeld, durch das, was wir sehen, lesen, hören – und glauben.“

Die­se Unter­schei­dung zwi­schen Gefühl und Rea­li­tät war für Urner kein seman­ti­scher Taschen­spie­ler­trick, son­dern der Schlüs­sel zur gan­zen Debat­te. Sie blieb sach­lich, erklär­te neu­ro­na­le Mus­ter, erin­ner­te dar­an, wie leicht sich Mei­nun­gen durch Wie­der­ho­lung ein­schlei­fen – und wie gefähr­lich das ist, wenn popu­lis­ti­sche Kräf­te dar­aus poli­ti­sches Kapi­tal schlagen.

Doch mit die­ser Ana­ly­se stieß sie auf Wider­stand. Ulf Pos­ch­ardt, der sich selbst als Ver­tei­di­ger der libe­ra­len Demo­kra­tie sieht, zeig­te sich schwer beein­druckt – nicht von Urners Argu­men­ten, son­dern von den Zah­len einer Umfra­ge, die nahe­le­gen, dass vie­le Deut­sche sich nicht mehr trau­en, frei zu spre­chen. Für ihn sind die­se Zah­len nicht bloß Gefühl, son­dern Alarm­zei­chen. Dabei ließ er nicht aus, auf ein Meme zu ver­wei­sen, das Robert Habeck als „Schwach­kopf“ titu­lier­te – und auf den ver­meint­lich über­zo­ge­nen Umgang der Behör­den damit. Dass das BKA tätig wur­de, bevor über­haupt ein Straf­an­trag gestellt war, inter­es­sier­te ihn weni­ger als der Umstand, dass man sich heu­te für ein Meme vor Gericht ver­ant­wor­ten müsse.

Pal­mer wie­der­um erzähl­te – wie so oft – von sich selbst. Von sei­nem Bruch mit den Grü­nen, vom Sprach­druck, den er erlebt habe, von der Ver­ach­tung, die ihm ent­ge­gen­schlägt, wenn er bestimm­te Begrif­fe benutzt. Er hielt Urners Argu­men­ta­ti­on für aka­de­misch – und an sei­ner Lebens­rea­li­tät vor­bei. Die Men­schen auf der Stra­ße, sag­te er, sprä­chen ihn an, dank­ten ihm für sei­nen Mut. „Las­sen Sie sich nicht unter­krie­gen“ – das sei der Satz, den er am häu­figs­ten höre. Für ihn der Beweis, dass die gefühl­te Ein­schrän­kung nicht bloß ein Gefühl sei – son­dern geleb­te Wirklichkeit.

Man könn­te an die­ser Stel­le fra­gen: Ist Popu­la­ri­tät ein Indi­ka­tor für Wahr­heit? Oder sind es nicht gera­de auch Wie­der­erken­nungs­me­cha­nis­men, die popu­lis­ti­schen Nar­ra­ti­ven zum Erfolg verhelfen?

Mar­kus Lanz war in die­ser Run­de mehr als nur Mode­ra­tor. Sei­ne Spit­zen tra­fen meist sub­til, manch­mal gezielt unter­halb der Gür­tel­li­nie. Er erin­ner­te dar­an, dass Ange­la Mer­kel in 16 Jah­ren kein ein­zi­ges Mal Anzei­ge wegen Belei­di­gung gestellt habe – ganz im Gegen­satz zu Strack-Zim­mer­mann, Habeck oder Baer­bock. „Viel­leicht war sie ein­fach robus­ter“, sin­nier­te Lanz, wäh­rend Pal­mer und Pos­ch­ardt dank­bar nick­ten. Doch die fei­ne Iro­nie blieb spür­bar: Wer sich von einem Meme aus der Bahn wer­fen lässt, dem ist mög­li­cher­wei­se nicht die Mei­nungs­frei­heit ent­zo­gen wor­den – son­dern schlicht die Souveränität.

Am stärks­ten blieb für mich jedoch Urners Gedan­ke hän­gen, dass der stän­di­ge Alarm­ruf über den Ver­lust von Mei­nungs­frei­heit nicht nur irre­füh­rend, son­dern auch gefähr­lich sei. Denn er ver­schiebt den Fokus. Weg von den tat­säch­li­chen Her­aus­for­de­run­gen – etwa einem digi­ta­len Raum, in dem Algo­rith­men Wut beloh­nen und Dif­fe­ren­zie­rung bestra­fen. Und hin zu einem Debat­ten­set­ting, in dem sich Men­schen nicht mehr über Ideen strei­ten, son­dern über Empfindlichkeiten.

Nein, es geht nicht dar­um, Mei­nun­gen zu ver­bie­ten. Es geht dar­um, Ver­ant­wor­tung für Spra­che zu über­neh­men – beson­ders, wenn man Mil­lio­nen erreicht, wie Pos­ch­ardt. Die Nach­fra­ge Urners, was er mit Begrif­fen wie Ideo­lo­gie bezwe­cke, beant­wor­te­te er mit einem Ver­weis auf Witt­gen­stein und einem Ach­sel­zu­cken. Das war viel­leicht intel­lek­tu­ell gemeint, klang aber eher nach: „Ich sage, was ich will – und wenn’s knallt, dann war’s wohl die Wahrheit.“

Fazit die­ser Run­de? Die klügs­ten Gedan­ken kamen nicht von denen, die von Mei­nungs­frei­heit reden – son­dern von der­je­ni­gen, die sie ana­ly­sier­te. Maren Urner zeig­te: Wer dif­fe­ren­ziert argu­men­tiert, wird in auf­ge­heiz­ten Zei­ten nicht immer gehört. Aber gera­de des­halb brau­chen wir sol­che Stim­men. Nicht nur in Talk­shows, son­dern über­all dort, wo sich Demo­kra­tie bewäh­ren muss: im Dis­kurs, im All­tag, im Zweifel.

Inter­es­sant dazu: Mari­na Weisband

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Kategorie: Empfehlung Medien

Schlagworte: MarenUrner Meinungsfreiheit

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8 Gedanken zu „Die Macht des Gefühls: Wenn Wahrnehmung zur Wahrheit wird“

  1. _Su 30. Mai 2025 um 06:55

    Online ver­hal­ten sich doch vie­le anders als in der Rea­li­tät. Nie­mand wür­de auf der Stra­ße jeman­den so belei­di­gen, wie es oft im Netz pas­siert. Vie­le sind davon über­zeugt, im Netz anonym alles zu dürfen.

  2. Gerhard Mehler 246 30. Mai 2025 um 09:52

    Mich über­zeug­te Urner auch.
    Sie geriet sehr oft in die Zange.
    Mehr Füh­rung hät­te ich da von Lanz erwartet.
    Daß man auch stän­dig sei­ne Aus­sa­gen unter­füt­tern muß, um sei­ne Stand­punk­te klar dar­zu­stel­len, mach­te solch eine Dis­kus­si­on schwer bis unmöglich.

  3. Oft wird der Vor­wurf, man kön­ne nicht mehr sagen, was man denkt, mit der Ant­wort beschie­den: «Sagen darf man alles, aber es hat eben auch Kon­se­quen­zen, die man dann aus­hal­ten muss!»
    Wer also nicht «aus­hal­ten» kann oder will, hält lie­ber den Mund – und beschwert sich über man­geln­de Meinungsfreiheit. 

    Das ist dann wohl das gemein­te Ankom­men in einem «Debat­ten­set­ting, in dem sich Men­schen nicht mehr über Ideen strei­ten, son­dern über Emp­find­lich­kei­ten». Ich sehe hier ein Hen­ne-Ei-Pro­blem: Nicht allein die kol­por­tier­te Beschrän­kung der Mei­nungs­frei­heit moti­viert die Beschwer­de­füh­rer, son­dern die rea­len Shit­s­torm-Erfah­run­gen (womög­lich mit Über­grif­fen ins «rea­le Leben», Anschrei­ben an Arbeit­ge­ber /​Geschäfts­part­ner etc.), die ja nicht erfun­den, son­dern eher häu­fig sind. 

    «Es geht dar­um, Ver­ant­wor­tung für Spra­che zu über­neh­men – beson­ders, wenn man Mil­lio­nen erreicht» – ja, da stim­me ich voll zu. Aller­dings haben die­se Per­so­nen eben auch die Mög­lich­keit, sich durch mut­wil­lig geäu­ßer­te inkri­mi­nier­te For­mu­lie­run­gen (hier z.B. Hal­ler­vor­den) als Opfer und Kämp­fer für die «freie Mei­nungs­äu­ße­rung» auf­zu­spie­len und so mal wie­der Auf­merk­sam­keits­ge­win­ne ein­zu­fah­ren. Das wer­den sie auch wei­ter­hin machen, denn es zahlt sich ja jedes Mal aus, dem Empö­rungs­ka­rus­sel der Algo­rith­men sei Dank.

  4. Dan­ke Horst, dass du über die­se Sen­dung geschrie­ben hast und ich bin sowohl mit dei­nem Bei­trag wie auch mit dei­nem letz­ten Kom­men­tar zu Pal­mer und Pos­ch­ardt abso­lut dei­ner Meinung. 

    Frau Urner ist immer­hin pro­mo­vier­te Pro­fes­so­rin, spe­zi­ell in dem Fach­ge­biet das der Talk zum The­ma hat­te. Das ist schon eine Num­mer. Die Lai­en­dar­stel­ler dazu Pal­mer und Pochardt mein­ten aber, es den­noch bes­ser wis­sen zu müs­sen. Ganz schwa­che Leis­tung der bei­den Herren.

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