Die Machtmechanik der großen Koalition

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schwarz rot balance
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Wenn Schwarz und Rot sich in Berlin zusam­men­tun, ent­steht auf den ers­ten Blick ein Bild von Stabilität. Zwei gro­ße Volksparteien, tief ver­wur­zelt in der deut­schen Geschichte, ver­ei­nen ihre Kräfte, um das Land zu steu­ern. Nur weg vom Chaos der Vorgängerregierung. Doch wer genau­er hin­sieht, erkennt: Diese Koalition ist ein Tanz auf schma­lem Grat – zwi­schen Konsens und Blockade, zwi­schen Pragmatismus und Machtspiel. Der Aufwuchs der Rechtsextremen im Land scheint unauf­halt­sam. Das Wahlvolk ist bockig und wünscht, mal etwas ande­res aus­zu­pro­bie­ren. So viel Schlauheit hät­te ich die­sem über­ra­schend gro­ßen Anteil die­ser Bevölkerung wirk­lich nicht zuge­traut. Wir wis­sen nicht genau, ob die­ses Bonmot wirk­lich von Brecht stamm­te. Jedenfalls passt es zu den Koryphäen des deut­schen Wahlvolks wie die Faust aufs Auge: „Nur die aller­dümms­ten Kälber wäh­len ihren Metzger selber.“

Im Kern ist auch die­se Regierung nicht mehr als der Versuch, die Widersprüche der Gesellschaft abzu­bil­den: das Bedürfnis nach sozia­ler Sicherheit und das Streben nach wirt­schaft­li­cher Wettbewerbsfähigkeit. Das scheint den Menschen immer noch wich­tig zu sein, obwohl die hohe Zustimmung zur AfD gera­de in die­sem Spannungsfeld über­haupt nichts her­gibt. Viele Wähler erhof­fen sich von die­ser Partei Vorteile und ver­ste­hen offen­kun­dig gar nicht, was sie erwar­ten wird, soll­ten die das Ruder übernehmen. 

Der Koalitionsvertrag liest sich wie ein Balanceakt – mal zieht es nach links, mal nach rechts. So ent­steht eine Politik, die oft nicht durch Mut, son­dern durch Kompromiss defi­niert wird. Das ist an sich nichts Schlechtes – jeden­falls, wenn man an die Demokratie glaubt. Viele schei­nen lei­der ihren Glauben dar­an ver­lo­ren zu haben. Im Osten haben vie­le nie dran geglaubt. Jedenfalls habe ich die­sen Eindruck.

Politische Grundrichtung

Die schwarz-​rote Agenda ist ein Flickenteppich aus Prioritäten:
In der Sicherheitspolitik domi­niert die CDU/​CSU mit ihrem Versprechen, inne­re Ordnung zu stär­ken, Grenzen zu kon­trol­lie­ren und Polizei wie Bundeswehr zu moder­ni­sie­ren. Die SPD dage­gen setzt Akzente bei sozia­ler Gerechtigkeit, Bürgerrechten und Bildungsinvestitionen. Man könn­te anneh­men, die bil­den sich ein, alles so wei­ter­ma­chen zu kön­nen wie bis­her. Dabei kam doch aus den Reihen die­ser Regierung so was wie die Feststellung, dass dies die letz­te Patrone der Demokratie sei. Das kam vom Schattenkanzler, Markus Söder.

Wirtschaftlich bewegt sich die Koalition in einem Spannungsfeld: Einerseits drän­gen die Christdemokraten auf soli­de Finanzen und eine strik­te Schuldenbremse. Andererseits möch­te die SPD öffent­li­che Investitionen ankur­beln, um Infrastruktur, Digitalisierung und Klimaschutz vor­an­zu­brin­gen. Das Ergebnis ist oft ein Kompromiss, der weder die einen noch die ande­ren völ­lig zufrie­den­stellt. Von Zumutungen redet kei­ne der Parteien, obwohl es (nicht nur nach Veronika Grimm) vor allem dar­um geht, die­se nicht gera­de tol­le Zukunft end­lich als unse­re wahr­schein­lichs­te anzuerkennen.

Mechanik der Macht

In der „gro­ßen” Koalition von heu­te ist jede Entscheidung ein klei­nes Drama. Hinter ver­schlos­se­nen Türen wer­den Formulierungen gefeilt, bis kein Partner mehr zu viel ver­liert. Die Ressortverteilung folgt dabei einer Machtarithmetik: Ministerien mit hoher Sichtbarkeit wech­seln sich in den Parteifarben ab, wäh­rend stra­te­gi­sche Schlüsselressorts – Finanzen, Inneres, Außen – beson­ders umkämpft sind.

Dieser Mechanismus sorgt für Stabilität, aber er lähmt oft die Handlungsfähigkeit. Gesetze wer­den so lan­ge weich­ge­spült, bis sie zwar zustim­mungs­fä­hig, aber nicht mehr weg­wei­send sind. So ent­steht eine Politik, die weni­ger auf Vision als auf Schadensbegrenzung setzt. Und das geschieht alles unter den ach so wach­sa­men Augen die­ses Riesenheeres von Hauptstadtjournalisten, die das Regieren in sol­chen Zeiten noch mehr erschwe­ren, als das ohne die­se Meute der Fall wäre. Hört man den eben­so zahl- wie atem­lo­sen Podcasts soge­nann­ter Experten zu, kann man alle Lust an der Politik verlieren.

Psychologische Dimension

Politik ist nie nur Sachverwaltung – sie ist auch Bühne. Der Unterhaltungswert von Politik muss rie­sig sein. Das sieht man nicht zuletzt an der Zahl von Journalisten, die den Zirkus beob­ach­ten und über jeden Furz aus­führ­lich berich­ten. Die schwarz-​rote Regierung agiert unter dem stän­di­gen Druck, ihre eige­ne Existenz zu recht­fer­ti­gen. Die CDU/​CSU fürch­tet, ihr kon­ser­va­ti­ves Profil zu ver­wäs­sern, wäh­rend die SPD sich davor hütet, erneut als Juniorpartner zer­rie­ben zu werden.

Auch die Bevölkerung spielt eine Rolle: Viele Bürger seh­nen sich in Zeiten glo­ba­ler Unsicherheit nach Verlässlichkeit. Das ver­leiht der Koalition eine Aura des Schutzes – aber auch den Hang, Risiken zu ver­mei­den. Verlustangst ist ein stil­ler Regisseur die­ser Politik. Sie (die Demografie ohne­hin!) hemmt muti­ge Reformen und för­dert Entscheidungen, die kurz­fris­tig Ruhe, aber lang­fris­tig Stagnation bringen.

Ausblick

Ob die schwarz-​rote Regierung am Ende als Garant der Stabilität oder als Bremser in einer beweg­ten Zeit in Erinnerung bleibt, hängt davon ab, ob sie ihre Kompromisse als Brücken oder als Schranken ver­steht. Solange die psy­cho­lo­gi­sche Logik von Machterhalt und Harmoniebedürfnis stär­ker wirkt als die Bereitschaft zum kla­ren Kurs, bleibt ihre Politik ein Spiegelbild des Landes: sicher­heits­lie­bend, aber zöger­lich. Wenn je ein kla­rer Kurs erkenn­bar wird, dann zäh­le ich aus mei­ner Perspektive einen sicht­ba­ren und ver­ständ­li­chen Ansatz für weit­rei­chen­de Sozialstaatsreformen dazu. Sonst wer­den wir uns den Sozialstaat nicht mehr lan­ge leis­ten können. 


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