
Natürlich hat Deutschland seine Schwäche selbst zu verantworten. Es sind nicht die Russen, die Chinesen und auch nicht die Amis. Auch nicht die Umstände und der Fehler namens Nord Stream 2. Nicht nur das hohe Alter der Bevölkerung spricht für sich genommen für Blockade und Stillstand. Die Frage ist nicht das „ob“, sondern das „wer“ und „wie“. Wenn ein Land, das einst für industrielle Vernunft und technologische Präzision stand, scheinbar plötzlich an seiner Moralorientierung scheitert, dann ist das kein Betriebsunfall, sondern Ausweis bewusster Entscheidungen. Dass solche Erscheinungen nicht plötzlich eintreten, sondern das Ergebnis langfristiger Entwicklung sind, liegt auf der Hand. Die oft gehörte Behauptung, dass die Grünen oder die »Ampel« dies alles verursacht haben sollten, ist kleinkariert und führt zu nichts.
Ich beginne trotzdem mit dem Ausstieg aus der Atomkraft. Er war nicht nur Symbolpolitik, sondern entsprach den Vorstellungen eines langjährigen Glaubensbekenntnisses. Irgendwie wollte man wohl zeigen, dass Fortschritt und Verzicht dasselbe sein können. Diese Idee klang ja auch verführerisch, besonders für jene, die in urbaner Distanz zur Produktion leben. Dort, wo Strom aus der Steckdose und das Gewissen aus der Kolumne kommt, war der Abschied vom Atom eine ästhetische Geste, keine existenzielle.
Der Atomausstieg, erst von Merkel eingeleitet und später endgültig von der „Ampel“ umgesetzt, bleibt ein Punkt auf der Fehlerliste, den bestimmte politische Lager bis heute nicht anerkennen können. Ideologische Überzeugungen behindern insofern gewonnene Einsichten.
Der Wohlstand Deutschlands sei akut in Gefahr, sagte Fuest. »Weniger private Investitionen bedeuten mittelfristig weniger Wachstum, weniger Steuereinnahmen und damit auch weniger Geld für staatliche Leistungen.«
Heute zeigt sich, wie sehr diese Haltung das Land verändert hat. Russlands verbrecherischer Krieg gegen die Ukraine vor allem, hat die Energie verteuert, Industrie wandert ab, die Bürokratie lähmt die dringend nötige Innovationsfähigkeit.
Eine Politik von Haltung und Moral hat inzwischen manche Bevölkerungsschichten von Wohlstand, Sicherheit und Zuversicht gelöst, die Jahrzehnte getragen haben. Trotzdem hält man am moralischen Überlegenheitsgefühl fest, als wäre es das letzte Exportgut, das noch funktioniert.
| Problemfeld | Beschreibung / Wirkung | Quelle |
|---|---|---|
| Investitionsschwäche | Jahrzehntelang zu geringe öffentliche und private Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung, Energie. Folgen: Modernisierungsstau, Wettbewerbsverlust. | DIHK, 2025 |
| Bürokratie und Regulierungsflut | Lange Genehmigungsverfahren, komplexes Steuer- und Berichtswesen, Rechtsunsicherheit hemmen Innovation und Bauprojekte. | Sachverständigenrat, 2025 |
| Fachkräftemangel und Demografie | Schrumpfende Erwerbsbevölkerung, zu wenig qualifizierte Zuwanderung, Bildungsdefizite. Führt zu Produktionsengpässen und Lohnkostendruck. | IWF, 2024 |
| Hohe Energie- und Produktionskosten | Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie und durch globale Marktpreise liegt das Energieniveau deutlich über dem EU-Durchschnitt. | Bundesbank, 2024 |
| Strukturelle Exportabhängigkeit | Einbruch globaler Nachfrage, geopolitische Risiken, Schwäche des chinesischen Marktes treffen Deutschland überproportional. | Atlantic Council, 2024 |
| Verlust an Innovationsdynamik | Fehlende Gründungsförderung, Kapitalmarkthemmnisse, Überalterung etablierter Industrien. | ifo Institut, 2024 |
Natürlich muss man sagen, dass auch andere Faktoren hineinspielen: die Globalisierung, die Alterung der Gesellschaft, der schon erwähnte existierende Druck durch teure Energie und der beschleunigte ökonomische Erfolg anderer Weltregionen. Aber das ändert nichts daran, dass Deutschland sich freiwillig geschwächt hat, während andere ihre Interessen beharrlich und konsequent durchsetzten.
Es ist nicht nur politische Schuld, es ist eine gesellschaftliche. Ein kollektiver Irrtum, geboren aus der Sehnsucht, gut zu sein, statt stark zu bleiben. Die deutsche Politik hat vergessen, dass Ethik ohne Realitätssinn zur Pose verkommt. Und die Bürger haben es ihr durchgehen lassen – weil das gute Gefühl bequemer war als der nüchterne Blick.
Vielleicht ist das die eigentliche Tragödie: ein Land, das viel zu bieten hatte, sich Zielen verschrieben hat, die andere Nationen längst verworfen und korrigiert haben.
Deutschland wollte bei einer grünen Transformation die Pace machen, Vorbild für die Welt sein. Andere Nationen haben ebenfalls Probleme. Die wachsende Verschuldung ist eines davon. Aber sich damit zu trösten, dass unsere Staatsverschuldung noch im akzeptablen Bereich (60 % des BiP) zu liegen scheint, ist gemessen an den Problemen, vor denen unser Land steht, nur ein Placebo von mehr als zweifelhaftem Wert. Der Schuldenstand wird nicht auf diesem Niveau verbleiben. Weil die neuen Schulden Sondervermögen heißen und rechtlich anderen »Gesetzmäßigkeiten« unterliegen, soll der Schuldenstand also nicht steigen. Ja, schöner kann man sich selbst nicht belügen. Wie die Mittel verwendet werden, steht außerdem auf einem anderen Blatt.

Wenn man die aktuell offizielle Staatsverschuldung von etwa 2,6 Billionen € (2025) nimmt und die Kreditrahmen aus diesen Sondervermögen – rund 500–550 Mrd. € – dazurechnet, landet man bei einer Gesamtverschuldung von 3,1 Billionen €. Bei einem nominalen BIP von etwa 4,3 Billionen € (2024) entspricht das eben jenen 68–72 %.
Auch wenn dadurch der Schuldenstand bis 2029 auf rund 3,6 Billionen Euro oder rund 72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigt, bliebe die Schuldenquote noch unter ihrem bisherigen Höchststand von 80 Prozent, der 2010 nach der globalen Finanzkrise erreicht worden sei, sagte Eiko Sievert, Scope-Lead-Analyst für Deutschland, am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters.
Das ifo-Institut nannte das einmal „eine zweite Etage der Schulden“ – rechtlich ausgelagert, aber ökonomisch dieselbe Last. Im Verschleiern unserer Schulden sind wir wohl erstklassig.
Wenn man die Sondervermögen vollständig einrechnet, läge Deutschlands Verschuldung eben deutlich höher. Die „Sondervermögen“ werden als das identifiziert, was sie sind: Schulden im PR-Kostüm.
Viele haben scheinbar noch nicht begriffen, dass wir es in ökonomischer Hinsicht nicht mit einer konjunkturellen Delle zu tun haben, sondern mit schwerwiegenden strukturellen Nachteilen. Wir reden bei der Klimakatastrophe oft von Kipppunkten. Was wohl wird, wenn wir erkennen, wie die Kipppunkte unseres demokratischen Systems (z.B. des Sozialstaats) funktionieren? Heulen und Zähneknirschen sind die Begriffe, die mir dazu einfallen.



Chapeau! Genau auf den Punkt. Ich bin zwar in Bezug auf die AKW’s anderer Meinung, aber vom Grundsatz her symbolisiert die Entscheidung den eingeschlagenen Weg der Bundesregierung. Es galt die Utopie, das Industrieland Deutschland über lang oder kurz „abzuwickeln“. Mindestens die energiereiche Industrie sollte abwandern. Das war noch nicht ein einmal eine Idee der Grünen, respektive Habeck, sondern von Marcel Fratscher.
Zusammengefasst fordert konkret Marcel Fratzscher, die Abwanderung energieintensiver Industrien zuzulassen und sieht dies als gesellschaftlichen und wirtschaftlichen „notwendigen Prozess“ im Rahmen der Energiewende in Deutschland. Habecks Fehler als Wirtschaftsminister war der Zwiespalt zwischen seinen Visionen und der Wirklichkeit.
Zudem glaubte er, Schaden mit viel Geld „zudecken“ zu können. Was aber die Ampel komplett vernachlässigte, war die Tatsache, dass in Deutschland die Industrie wie ein Getriebe funktioniert; ein Rädchen greift ins andere. Funktioniert die Autoindustrie nicht mehr, funktionieren die tausende von Zulieferern ebenfalls nicht mehr. Funktioniert die Bauwirtschaft nicht mehr, funktionieren die Schmieden und die tausende von Bearbeitern der Metallindustrie nicht mehr. Und so weiter und so fort.
Natürlich ist das nicht die Alleinschuld der Ampel. Wenn Autos vom Normalverdiener nicht mehr bezahlt werden können, bricht eben der Absatz ein.
Die Grünen haben nicht verstanden, dass niemand bereit ist, auf Kosten des Wohlstands die Idee von einem klimaneutralen Deutschland zu unterstützen. Die Wählerschaft die das anders sieht, rekrutierte sich in erster Linie aus Staatsangehörigen der oberen Einkommensschicht.
Besonders unter höheren Beamten liegt der Anteil der Grün-Wähler laut Forsa bei etwa 40 Prozent.
Natürlich müssen wir das Klima schützen und die Dinge die du ansprichst sind ebenfalls für die Wirtschaftskrise verantwortlich. Neben dem Kipppunkt des Klimas ist aber jener der Demokratie ebenso wichtig. Und erklär mal einem Industriearbeiter warum sein Job klimaschädlicher ein soll, als das Hobby des Millionärs mit 300 Sachen über die Autobahn zu brettern, um im Anschluss mit steuerbegünstigtem Sprit für das Privatflugzeug nach Mailand zum shoppen zu fliegen.
Wenn wir nicht aufpassen und die Deindustrialisierung nicht stoppen, sind die Prozesse die dann in Gang gesetzt wohl ebenfalls unumkehrbar – und weitaus gefährlicher.
@Peter Lohren: Danke, Peter.
Ich denke, Fratzscher war damals nicht allein mit dieser Einschätzung – mehrere namhafte Ökonomen kamen zu ähnlichen Schlüssen.
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1. Marcel Fratzscher (Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW)
• Fratzscher sagte: „Bis zur Vollendung der Energiewende werden einige energieintensive Branchen aus Deutschland verschwinden.“
• Und weiter: „Das ist nicht schlimm, sondern gut, wenn es den Unternehmen ermöglicht, ihre Innovationskraft und qualifizierten Arbeitskräfte in Deutschland zu halten und so wettbewerbsfähig zu bleiben.“
• Kontext: Er versteht das als notwendigen Strukturwandel – nicht als Ausnahme, sondern als Entwicklung, die Deutschland aktiv gestalten müsse.
2. ifo Institut (München)
• In der Analyse „Industriestandort Deutschland“ heißt es: Steigende Energie- und Rohstoffpreise setzen energieintensive Industrien unter Druck – mit der Folge, dass sie Produktion drosseln oder ins Ausland verlagern könnten.
• Zentrale Aussage: „Neue Investitionen werden wohl eher in Ländern mit niedrigeren Energiekosten getätigt.“
3. Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln
• Im Kurzbericht heißt es: „Die Klimaschutzziele Deutschlands implizieren hohe Transformationsanforderungen für die Industrie. Die energieintensiven Branchen verzeichnen seit 2001 einen kontinuierlichen Rückgang ihres Kapitalstocks.“
• Das deutet nicht zwingend auf Abwanderung hin, aber auf einen klaren Rückzug: geringere Investitionen, schwindende Standortrelevanz.
4. Weitere Stimmen und statistische Hinweise
• Laut Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums steht der Industriestandort Deutschland „unter Druck durch steigende Energiepreise und geopolitische Spannungen“.
• Euractiv zitiert: „Die Verfügbarkeit günstiger Energie wird darüber entscheiden, welche Standorte für die Industrie am attraktivsten bleiben.“
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Wir stecken längst mitten in diesem Prozess der Deindustrialisierung – und reagieren viel zu zögerlich. Statt zu handeln, wird vor allem geklagt.
Visionen für die wirtschaftliche Zukunft zu formulieren, ist wichtig. Doch die von Habeck und Scholz beschworene „grüne Transformation“ blieb bislang ohne greifbare Erfolge – besonders, was die versprochene Vollbeschäftigung betrifft. Heute wirken diese Ankündigungen wie ein Dokument politischer Selbstüberschätzung.
Erschütternd finde ich, dass auf die sich abzeichnende Autokrise kaum reagiert wurde. Dass Konzerne wie VW oder Porsche trotz allem auf überteuerte, große Modelle setzten, wirkt rückblickend fatal kurzsichtig.
Viele Bürger bringen diese Fehlentwicklungen nun direkt mit den Grünen in Verbindung. Du hast recht: Ihre Anhängerschaft spiegelt eine gesellschaftliche Blase wider, deren Führungsschicht sich zunehmend von den Grundprinzipien demokratischer Bodenhaftung entfernt hat. Sie sprechen von Dialog, setzen aber dogmatisch durch, was sie für richtig halten. Das erzeugt Widerstand – und zwar zu Recht.
Gerade habe ich das Fünf-Punkte-Programm der Grünen-Fraktionschefs zum Thema Stadtbild gelesen. Was soll man sagen? Symbolpolitik in Reinform – realitätsfern und weit entfernt von den Fragen, die Merz angesprochen hat. Genau dort liegt der eigentliche Konflikt.