
Lars Feld hat im Handelsblatt wieder einmal das alte Lied vom ausufernden Sozialstaat angestimmt. Er rechnet vor, wie Milliarden in Rente, Pflege, Bürgergeld und Wohngeld fließen, und fragt, ob sich Arbeit in Deutschland überhaupt noch lohnt. Die Antwort klingt bei ihm klar: kaum. Die Ursachen sieht er in falschen Anreizen, zu hohen Transfers und einer Bürokratie, die sich im Kreis dreht.
Das klingt vernünftig – und ist es stellenweise auch. Der deutsche Sozialstaat ist tatsächlich ein Labyrinth. Wer heute einen Anspruch auf Unterstützung prüfen will, braucht entweder einen Steuerberater oder Heerscharen an Formularen. Die Verwaltung verschlingt Geld, Zeit, Nerven. Feld hat also recht, wenn er mahnt, dass ein System, das helfen will, sich selbst nicht im Paragrafenwald verlieren darf.
Aber genau hier bleibt er stehen. Seine Kritik endet dort, wo sie unbequem wird – nämlich bei den Ursachen. Wenn Arbeit sich „nicht lohnt“, liegt das selten daran, dass die Sozialleistungen zu hoch wären. Eher daran, dass viele Löhne zu niedrig sind, Mieten zu hoch und Perspektiven zu dünn. Der Sozialstaat fängt auf, was der Arbeitsmarkt nicht mehr leisten kann. Er kompensiert, was längst strukturell falsch läuft: stagnierende Reallöhne, eine Teilzeitfalle, ein Wohnungsmarkt, der aus der Balance geraten ist.
Feld behandelt Armut als Rechenfehler, nicht als gesellschaftliche Folge politischer Entscheidungen. Er spricht von Anreizen, als ginge es um ein Brettspiel, bei dem man nur die Regeln ändern müsse, um alle wieder zum Arbeiten zu bringen. Aber viele Menschen arbeiten längst – oft unter Bedingungen, die kaum zum Leben reichen. „Leistungsträger“ und „Leistungsempfänger“ sind keine Gegensätze mehr, sondern zwei Rollen im selben Stück.
Prof. Sinn, ehemaliger Chef des Ifo-Instituts, hat vor Jahren vor der Einführung von Hartz IV einmal erklärt, dass es Arbeit gebe, die zwar nicht unwichtig wäre, für die die Leute aber kein Geld ausgeben würden. Diese „Jobs“, meinte Sinn damals, müssten dann halt mithilfe staatlicher Subventionen bezahlt werden. Das ist schon ewig (vielleicht 20 Jahre) her, vergessen habe ich diese Aussage bis heute nicht. Ich fand im Internet die Belege nicht mehr. Ich weiß aber noch, dass es sich um ein Kamingespräch handelte, das zwischen ihm und einem Journalisten des ÖRR geführt wurde. Die Idee hat sich unzweifelhaft in diesem Land etabliert. Scheinbar haben die Menschen damit kein Problem, ich schon.
Natürlich wäre es sinnvoll, die Transfersysteme zu vereinfachen. Eine zentrale digitale Schnittstelle, automatische Berechnung, weniger Papierkrieg – all das wäre ein Fortschritt. Man könnte auch mutiger denken: ein Grundeinkommen (von dem ich immer noch nicht überzeugt bin), ein vereinheitlichtes Sozialsystem, das Vertrauen statt Kontrolle setzt. Doch solche Gedanken kommen bei Feld nicht vor. Sie passen nicht in die Denkschule, die alles, was nicht marktkonform ist, gleich als ineffizient abtut.
Am Ende bleibt das Gefühl, dass Feld zwar klug beobachtet, aber zu eng schaut. Er misst den Sozialstaat an ökonomischer Effizienz, nicht an sozialem Frieden. Doch ein Staat ist kein Unternehmen. Seine Bilanz besteht nicht in Überschüssen, sondern in Vertrauen – dem Gefühl, dass niemand durch das Raster fällt.
Lars P. Feld, geboren 1966 in Saarbrücken, ist ein deutscher Ökonom und Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg. Er leitet das Walter Eucken Institut und war von 2011 bis 2021 Mitglied, zuletzt Vorsitzender, des Sachverständigenrats der „Wirtschaftsweisen“. Seit 2022 beriet er Bundesfinanzminister Christian Lindner als persönlicher Beauftragter für gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Feld gilt als Vertreter ordoliberaler Wirtschaftspolitik im Sinne der Freiburger Schule.
Man kann den Sozialstaat kritisieren, ohne ihn zu delegitimieren. Man kann Effizienz fordern, ohne Menschen zu unterstellen, sie arbeiteten zu wenig. Lars Feld weiß das vermutlich selbst. Vielleicht schreibt er deshalb so leidenschaftlich über Zahlen – und so selten über die Menschen dahinter.
Eventuell etwas das von Prof. Sinn?
https://www.hanswernersinn.de/de/medienecho_6507483_ifointerview-nz-15-01-2008
@Willi: Ich habe dort gesucht. Aber nein, das Video habe ich nicht gefunden. Es war ein Kamingespräch mit dem damaligen SWR-Intendanten Peter Voß.
@Horst Schulte: vielleicht das?
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?
Das, nur mal so mitführend und mitdenkend, betrifft auch Kunst.
Kunst ist ehemals wichtig in unserer Gesellschaft betrachtet worden, aus gutem Grund, wie ich meine.
Doch heutzutage pflegt sie ein ärmliches Schattendasein. Es wird kein Geld dafür ausgegeben, auch weil man überhaupt nicht mehr in der Breite weiß, was Kunst ist. Kunst ist eben NICHT ein Entchen in Ton, für 23, 75 €, sondern etwas, wasz.b. in Ton per se so nicht angelegt ist.
Vor 2 Tagen kam auch eine Studie raus, die die Lage der Kunstschaffenden In De schwarz auf weiß schildert.
DE leistet sich das.