Wenn Kabarett zur Kanzel wird

Foto des Autors

von Horst Schulte

Lesezeit: 4 Min.

oder – ein weiterer Beitrag zum Thema: Früher war alles besser …

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn eine Sendung, die einmal als befreiender Schlag gegen die verkrustete Republik wirkte, plötzlich wie ein pädagogisches Trainingslager daherkommt. Genau das ist für mich – und offenbar auch für viele andere – mit der Anstalt und der heute-show geschehen. Diese Formate haben sich, leise und kaum bemerkt, von der Bühne der Widersprüche auf die Kanzel der Gewissheiten geschlichen.

kabarett wandel
kabarett wandel

Früher stand im Kabarett die persönliche Haltung im Vordergrund. Priol war Priol, ungebändigt und fiebrig. Schramm war Schramm, ein verkappter Philosoph, der uns mit seinem brennenden Ernst förmlich durchleuchtete. Die alten Bühnenlöwen hatten Schwung, Ecken, manchmal Übermut. Und vor allem: Sie beugten sich keiner Linie. Sie waren selbst Linie. Ihre Auftritte wirkten wie unverwechselbare Fingerabdrücke — und wenn man nicht einverstanden war, konnte man wenigstens spüren, dass ein Mensch dort sprach, kein Konzept vermittelt werden sollte.

Heute dagegen scheint vieles in diesen beiden Sendungen so sorgfältig austariert, dass jede Spitze den pädagogischen Zweck schon eingebaut mitliefert. Nicht mehr der Funke zählt, sondern die Vermittlung. Nicht mehr die Abweichung, sondern die Einordnung. Man bekommt Wahrheiten serviert wie Infohäppchen: schön aufbereitet, halb ironisch, halb moralisch, aber am Ende immer mit dem Unterton: „So ist es nun einmal, das weiß man doch.“

Vielleicht ist es gerade das, was den Reiz der alten Anstalt so klar werden lässt: Damals traute man dem Publikum noch die Zumutung zu. Die Verwunderung. Die Uneindeutigkeit. Schramm drehte Schleifen, Priol explodierte in Wortgewitter, und manchmal traf das, manchmal ging es daneben. Aber es war immer echt. Die Kunst des politischen Kabaretts lebte vom Risiko, nicht von der abgesicherten Botschaft.

Wenn ich heute diese Formate einschalte, habe ich oft das Gefühl, dass es nicht mehr um die Frage geht, welche unerhörte Sichtweise eine Figur entwickelt – sondern darum, ob die Pointe am Ende auf der „richtigen“ Seite landet. Das Ergebnis wirkt wie politisches Entertainment mit pädagogischer Note. Und pädagogische Unterhaltung: Das ist wie ein Wein, der beim ersten Schluck kräftig duftet, aber im Abgang nach Belehrung schmeckt.

10 Jahre «Die Anstalt», 10 Jahre mittelmäßige Zahlen


In den vergangenen Jahren versuchten Max Uthoff und Claus von Wagner mit «Die Anstalt» die großen und kleinen Geschichten der Politik und Wirtschaft aufzuarbeiten. Zahlreiche Zuschauer haben diese Storys verfolgt, allerdings war die Menge der Personen überschaubar. So ist es dann auch kein Geheimnis, dass die Jubiläumsshow zum zehnjährigen Geburtstag nur 1,87 Millionen Zuschauer holte. Sarah Bosetti und Matthias Renger, die ebenfalls zu Gast waren, sorgten für 11,2 Prozent Marktanteil. Die einstündige Sendung holte 0,31 Millionen junge Zuschauer und fuhr gute 9,4 Prozent Marktanteil ein.


Quelle (2024)

Die offene Einflussnahme drängt sich doch auf. Die Sendungen wollen führen, statt herauszufordern. Sie wollen „erklären“, statt zu irritieren. Und das ist – zumindest für mich – keine gute Entwicklung. Kabarett war nie ein Schulfach. Es war ein Ort der Befreiung. Ein Ort der Wildheit. Ein Ort, an dem Figuren wie Schramm uns nicht sagten, was wir glauben sollen, sondern zeigten, wie man überhaupt zweifelt.

Fest steht: Priol und Pelzig verlassen die Show auf dem Höhepunkt ihres eigenen Erfolges. 3,61 Millionen Zuschauer hatte die Sendung im Juni, eine satte Einschaltquote von 16,5 Prozent. Es war die erfolgreichste „Anstalt“, seit die beiden zusammen auftreten.

Quelle (2013)

Dass viele Zuschauer sich abwenden, überrascht nicht. Ein Publikum, das eine eigene Haltung hat, möchte nicht von Kabarettisten „geführt“ werden. Es möchte begleitet, provoziert, angestoßen werden. Aber nicht im Sinne einer politischen Matinee, sondern im Sinne einer Einladung zum Denken.

Was bleibt?

Vielleicht muss politisches Kabarett den Mut wiederfinden, das es einst kannte: die Lust am Widerspruch. Den Charme der Überzeichnung. Die Freude an Figuren, die sich nicht in moralische Raster pressen lassen. Vielleicht muss es auch wieder Menschen hervorbringen, die wie Schramm oder Priol nicht die Rolle erfüllen, sondern sie sprengen.


Horst Schulte

Herausgeber, Blogger, Amateurfotograf

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe auf dem Land.

hs010225 a

Artikelinformationen

Bereits 51 Mal gelesen51 heute

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


☕ Bleibt neugierig, bleibt menschlich.