Es gibt Sätze, die man ausspricht wie einen Stein, den man ins Wasser wirft: Man weiß nie, welche Kreise er ziehen wird. Hendrik Streeck hat in der Talksendung »Meinungsfreiheit« von Welt TV einen solchen Stein geworfen. Die Frage, ob man sehr alten Menschen noch besonders teure Medikamente verschreiben sollte, trifft mitten ins Herz einer alternden Gesellschaft – und sie trifft auf eine Öffentlichkeit, die äußerst sensibel ist, wenn es um Würde, Fürsorge und die Brüchigkeit des Lebens geht.
Natürlich steckt in Streecks Worten ein realer Kern: Unser Gesundheitssystem ächzt. Die Ressourcen sind endlich, und mancher medizinische Fortschritt wird teuer erkauft. Sein Hinweis, dass man „verschwenderisch“ mit diesen Ressourcen umgehe, klingt nüchtern, beinahe technokratisch – die Konsequenzen solcher Sätze wirken in einer Gesellschaft selten ausgesprochener Tabus plötzlich wie ein kalter Wind im Nacken aller Menschen, die darauf angewiesen sind, dass ihnen nicht nur Gleichbehandlung zugestanden wird, sondern ein vielmehr ein Grundrecht. Es geht nicht nur darum behandelt zu werden, unabhängig vom Alter.
Eine 83-jährige Bekannte erhält nicht die nötige Achillessehnen-Operation. Sie sei zu alt. Sie wurde an zwei Kliniken abgewiesen. Beide Male wurde ihr Alter als Grund genannt.
Streeck untermauert seine Position mit der Geschichte seines verstorbenen Vaters. Die teuren Therapien hätten nichts mehr gebracht, sagt er, und man spürt die Müdigkeit, die Verzweiflung, die persönliche Verletzung. Doch genau darin lauert das Risiko: Die persönliche Erfahrung eines Sohnes kann nicht die Richtschnur für eine gesundheitspolitische Debatte sein, die stets den schmalen Grat zwischen rationaler Ressourcenplanung und menschenwürdiger Versorgung gehen muss. Wir kennen solche Debatten auch aus dem Ausland und es gibt offenbar Gesellschaften, die solche Unterscheidungen aufgrund des Patientenalters treffen. Kosten-Nutzen-Abwägungen unterschiedlicher Schärfe gibt es in Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark, Schweden.
Wie nimmt die Öffentlichkeit eine solche Äußerung auf? Zerrissen, wahrscheinlich. Viele Menschen, deren Eltern oder Lebenspartner in den letzten Jahren ihres Lebens mit unzähligen Therapien traktiert wurden, werden Streeck vielleicht zustimmen. Andere hören darin ein gefährliches Echo: die Ökonomisierung des Alters, die kalte Mathematik, die zwischen lebenswert und nicht mehr rentabel unterscheidet.
Besonders problematisch ist der Zeitpunkt. In einer politischen Stimmung, in der über Selbstbeteiligungen beim Arztbesuch, Reduzierung von Krankenhäusern, lange Wartezeiten, über Eigenanteile und über die Belastbarkeit des Systems diskutiert wird, klingen solche Aussagen schnell nach Empathielosigkeit und technokratischen Überlegungen. Wer alt ist, soll bitte nicht mehr allzu viel kosten. Genau diese Lesart sorgt vermutlich für Empörung, und sie wird sich in den kommenden Tagen durch soziale Netzwerke, Kommentarspalten und Leitartikel ziehen.
Dabei wäre die eigentliche Frage eine andere: Wie schaffen wir es als Gesellschaft, würdevoll über das Lebensende zu sprechen, ohne in Zynismus oder mathematische Kälte zu verfallen? Wie kann medizinische Selbstverwaltung entscheiden, ohne dass es wie eine stille Rationierung wirkt? Und wie vermeiden wir, dass Menschen das Gefühl bekommen, sie seien im Alter nur noch ein Posten in einem überfüllten Budget?
Streecks Vorstoß wird diskutiert werden – und muss diskutiert werden. Aber vielleicht müsste die Debatte behutsamer geführt werden: mit der Demut von Jüngeren, die dem Alter entgegengebracht wird, und mit dem Bewusstsein, dass jedes Leben, selbst im letzten Kapitel, kein Kostenfaktor ist, sondern eine Geschichte, die ihren Wert niemals verlieren darf.



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